Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_006.001 p2b_006.012 Polyxenes: Sei's: p2b_006.002 Doch wird Natur durch keine Art gebessert, p2b_006.003 Schafft nicht Natur die Art: so, ob der Kunst, p2b_006.004 Die, wie du sagst, Natur bestreitet, giebt es p2b_006.005 Noch eine Kunst, von der Natur erschaffen. p2b_006.006 Du siehst, mein holdes Kind, wie wir vermählen p2b_006.007 Den edlern Sproß dem allerwild'sten Stamm, p2b_006.008 Befruchten so die Rinde schlecht'rer Art p2b_006.009 Durch Knospen edler Frucht: Dies ist 'ne Kunst, p2b_006.010 Die die Natur verbessert - mind'stens ändert: p2b_006.011 Doch diese Kunst ist selbst Natur. § 3. Einteilung der Poesie in klassische, romantische und p2b_006.013 moderne Poesie. p2b_006.014 p2b_006.020 p2b_006.023 p2b_006.031 p2b_006.035 p2b_006.001 p2b_006.012 Polyxenes: Sei's: p2b_006.002 Doch wird Natur durch keine Art gebessert, p2b_006.003 Schafft nicht Natur die Art: so, ob der Kunst, p2b_006.004 Die, wie du sagst, Natur bestreitet, giebt es p2b_006.005 Noch eine Kunst, von der Natur erschaffen. p2b_006.006 Du siehst, mein holdes Kind, wie wir vermählen p2b_006.007 Den edlern Sproß dem allerwild'sten Stamm, p2b_006.008 Befruchten so die Rinde schlecht'rer Art p2b_006.009 Durch Knospen edler Frucht: Dies ist 'ne Kunst, p2b_006.010 Die die Natur verbessert ─ mind'stens ändert: p2b_006.011 Doch diese Kunst ist selbst Natur. § 3. 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Häufiger teilt man sie in <hi rendition="#g">klassische, romantische</hi> <lb n="p2b_006.019"/> und <hi rendition="#g">moderne</hi> Poesie ein.</p> <p><lb n="p2b_006.020"/> Wie man unter einem <hi rendition="#g">Klassiker</hi> einen Dichter versteht, der anderen <lb n="p2b_006.021"/> zum Vorbild dient, so begreift man unter <hi rendition="#g">klassischer Poesie eine mustergültige, <lb n="p2b_006.022"/> fehlerlose, einfach erhabene Poesie in relativer Vollendung.</hi></p> <p><lb n="p2b_006.023"/> Vorzugsweise hat man bisher die Poesie der Griechen und Römer klassisch <lb n="p2b_006.024"/> genannt, und neuere Dichtungen hat man mit diesem <hi rendition="#aq">Epitheton ornans</hi> nur <lb n="p2b_006.025"/> dann belegt, wenn sie in der Einfachheit und Regelmäßigkeit des Baus, in <lb n="p2b_006.026"/> der Gediegenheit der Form, in der Jdealisierung und in der Erhabenheit des <lb n="p2b_006.027"/> innern Gehaltes mit jenen Poesien vergleichbar waren. Heutzutage hat man <lb n="p2b_006.028"/> anerkannt, daß die Dichtungen eines Wieland, Lessing, Goethe, Schiller, <lb n="p2b_006.029"/> Rückert &c. allen Anforderungen an vollendete Kunstwerke entsprechen, und man <lb n="p2b_006.030"/> hat diese Dichter als deutsche Klassiker bezeichnet. (Vgl. Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>. S. 88.)</p> <p><lb n="p2b_006.031"/> Die Bezeichnung <hi rendition="#g">klassisch</hi> ist selbstverständlich nur relativ zu verstehen; <lb n="p2b_006.032"/> denn der menschliche Geist entwickelt sich in stetem Aufbau auf das Vorhandene, <lb n="p2b_006.033"/> und es läßt sich erwarten, daß Geister kommen werden, welche größer sein <lb n="p2b_006.034"/> werden, als Wieland, Lessing, Goethe, Schiller, Rückert &c.</p> <p><lb n="p2b_006.035"/> Unter <hi rendition="#g">romantischer Poesie</hi> versteht man diejenige Poesie, welche <lb n="p2b_006.036"/> dem Geiste des mittelalterlichen Rittertums entspricht, welche der Frauenverehrung <lb n="p2b_006.037"/> und den religiösen Anschauungen des Mittelalters dient, nach welchen <lb n="p2b_006.038"/> Anschauungen das Wunder und die dämonischen, feenartigen, geisterhaften Wesen <lb n="p2b_006.039"/> eine Rolle spielen. Da in den Anschauungen, Empfindungen und Dichtungen <lb n="p2b_006.040"/> des Mittelalters sich ein dunkler Drang nach dem Jenseits und dem Übernatürlichen <lb n="p2b_006.041"/> zeigt; da ferner das Ahnungsvolle, Phantastische allenthalben hervortritt, <lb n="p2b_006.042"/> so begriff man unter <hi rendition="#g">Romantik das Wunderbare und Rätselhafte.</hi> <lb n="p2b_006.043"/> Seit dem letzten Decennium des vorigen Jahrhunderts pflegte eine <lb n="p2b_006.044"/> ganze Dichterschule diese Poesie. Das Wort „<hi rendition="#g">romantisch</hi>“ wurde zuerst </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [6/0028]
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Polyxenes: Sei's: p2b_006.002
Doch wird Natur durch keine Art gebessert, p2b_006.003
Schafft nicht Natur die Art: so, ob der Kunst, p2b_006.004
Die, wie du sagst, Natur bestreitet, giebt es p2b_006.005
Noch eine Kunst, von der Natur erschaffen. p2b_006.006
Du siehst, mein holdes Kind, wie wir vermählen p2b_006.007
Den edlern Sproß dem allerwild'sten Stamm, p2b_006.008
Befruchten so die Rinde schlecht'rer Art p2b_006.009
Durch Knospen edler Frucht: Dies ist 'ne Kunst, p2b_006.010
Die die Natur verbessert ─ mind'stens ändert: p2b_006.011
Doch diese Kunst ist selbst Natur.
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§ 3. Einteilung der Poesie in klassische, romantische und p2b_006.013
moderne Poesie. p2b_006.014
Jn Bezug auf das Gebiet, dem der Stoff entlehnt ist, kann p2b_006.015
man die Poesie in geistliche und weltliche einteilen; ferner in ernste p2b_006.016
und komische Poesie, insofern sie traurige, mitleidsvolle, strafende, p2b_006.017
erziehliche, oder aber belebte, heitere, den Humor erregende Stimmung p2b_006.018
hervorzuzaubern bezweckt. Häufiger teilt man sie in klassische, romantische p2b_006.019
und moderne Poesie ein.
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Wie man unter einem Klassiker einen Dichter versteht, der anderen p2b_006.021
zum Vorbild dient, so begreift man unter klassischer Poesie eine mustergültige, p2b_006.022
fehlerlose, einfach erhabene Poesie in relativer Vollendung.
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Vorzugsweise hat man bisher die Poesie der Griechen und Römer klassisch p2b_006.024
genannt, und neuere Dichtungen hat man mit diesem Epitheton ornans nur p2b_006.025
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innern Gehaltes mit jenen Poesien vergleichbar waren. Heutzutage hat man p2b_006.028
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Rückert &c. allen Anforderungen an vollendete Kunstwerke entsprechen, und man p2b_006.030
hat diese Dichter als deutsche Klassiker bezeichnet. (Vgl. Bd. I. S. 88.)
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Die Bezeichnung klassisch ist selbstverständlich nur relativ zu verstehen; p2b_006.032
denn der menschliche Geist entwickelt sich in stetem Aufbau auf das Vorhandene, p2b_006.033
und es läßt sich erwarten, daß Geister kommen werden, welche größer sein p2b_006.034
werden, als Wieland, Lessing, Goethe, Schiller, Rückert &c.
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Unter romantischer Poesie versteht man diejenige Poesie, welche p2b_006.036
dem Geiste des mittelalterlichen Rittertums entspricht, welche der Frauenverehrung p2b_006.037
und den religiösen Anschauungen des Mittelalters dient, nach welchen p2b_006.038
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eine Rolle spielen. Da in den Anschauungen, Empfindungen und Dichtungen p2b_006.040
des Mittelalters sich ein dunkler Drang nach dem Jenseits und dem Übernatürlichen p2b_006.041
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so begriff man unter Romantik das Wunderbare und Rätselhafte. p2b_006.043
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ganze Dichterschule diese Poesie. Das Wort „romantisch“ wurde zuerst
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