Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_007.001 p2b_007.012 § 4. Einteilung der Poesie nach Stoff und Form. p2b_007.024 p2b_007.027 p2b_007.029 p2b_007.031 p2b_007.001 p2b_007.012 § 4. Einteilung der Poesie nach Stoff und Form. p2b_007.024 p2b_007.027 p2b_007.029 p2b_007.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0029" n="7"/><lb n="p2b_007.001"/> litterarischer Parteiname, als <hi rendition="#g">Tieck</hi> 1800 seine Gedichte unter dem mit voller <lb n="p2b_007.002"/> Unbefangenheit gewählten Titel „<hi rendition="#g">Romantische Dichtungen</hi>“ herausgegeben <lb n="p2b_007.003"/> hatte. (Vgl. R. Köpke: „Ludwig Tieck.“ <hi rendition="#aq">I</hi>. 265.) Die romantische <lb n="p2b_007.004"/> Schule erstrebte Verjüngung der mittelalterlichen Poesie und eine Vereinung <lb n="p2b_007.005"/> der Litteraturen, besonders der romantischen, zur Weltlitteratur. Jhre mit <lb n="p2b_007.006"/> Fichtes Jdealismus und Schellings Naturphilosophie durchtränkte Weltanschauung <lb n="p2b_007.007"/> versuchte eine Art Verbindung von mittelalterlich=christlicher Schwärmerei und Pantheismus. <lb n="p2b_007.008"/> Die Gedichte der romantischen Dichter (vgl. Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>. S. 58 und 88) <lb n="p2b_007.009"/> zeichnen sich durch eine gewisse Überschwenglichkeit aus, durch eine märchenhafte <lb n="p2b_007.010"/> Behandlung des Stoffs, den man auch in demselben Sinne romantisch nennen <lb n="p2b_007.011"/> kann, wie man etwa eine Gegend durch dieses Attribut charakterisiert.</p> <p><lb n="p2b_007.012"/><hi rendition="#g">Moderne</hi> Poesie endlich nennt man diejenige Poesie, welche in dem <lb n="p2b_007.013"/> Anschauungskreise unserer Generation sich bewegt, welche ihre Figuren und <lb n="p2b_007.014"/> Helden der Gegenwart entsprechend zeichnet, welche absichtlich zu dem Traum= <lb n="p2b_007.015"/> und Phantasieleben der romantischen Poesie einen Gegensatz bildet und dem <lb n="p2b_007.016"/> Realismus der modernen Zeit mit ihren Empfindungen, Bestrebungen, Kämpfen, <lb n="p2b_007.017"/> Kriegen, Kulturfortschritten und Eroberungen auf allen Gebieten Rechnung <lb n="p2b_007.018"/> trägt und das Edelmenschliche, Vernünftige und Freiheitliche pflegt. Freilich <lb n="p2b_007.019"/> schält sich der moderne Dichter in der Einfachheit und Gediegenheit seines <lb n="p2b_007.020"/> Kunstwerkes ebensowenig vom klassischen Dichter los, als er in Bezug auf Anschaulichkeit <lb n="p2b_007.021"/> und Lebendigkeit der bilderreichen Phantasie und im Geschmack der <lb n="p2b_007.022"/> Darstellung hinter dem romantischen Dichter zurückbleiben will.</p> </div> <lb n="p2b_007.023"/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#c">§ 4. Einteilung der Poesie nach Stoff und Form.</hi> </head> <p><lb n="p2b_007.024"/> 1. Die geläufigste, allgemeinste und bezeichnendste Einteilung der <lb n="p2b_007.025"/> Poesie ist die in <hi rendition="#g">lyrische, didaktische, epische</hi> und <hi rendition="#g">dramatische</hi> <lb n="p2b_007.026"/> Poesie.</p> <p><lb n="p2b_007.027"/> 2. Diese Einteilung entbehrt nur scheinbar des einheitlichen <lb n="p2b_007.028"/> Fundaments.</p> <p><lb n="p2b_007.029"/> 3. Bei näherer Betrachtung liegt dieses Fundament <hi rendition="#aq">a</hi>. im Zweck, <lb n="p2b_007.030"/> <hi rendition="#aq">b</hi>. im Ursprung und Stoff der Poesie.</p> <p><lb n="p2b_007.031"/> 1. Die Einteilung der Poesie in lyrische, didaktische, epische und dramatische <lb n="p2b_007.032"/> Poesie ist späteren Datums. Platon kennt (in der Stelle <hi rendition="#aq">Rep. II. 379 A</hi>. <lb n="p2b_007.033"/> in freilich nur vorübergehender Erwähnung) nur Epos und Tragödie: („<foreign xml:lang="grc">Τοιοίδε</foreign> <lb n="p2b_007.034"/> <foreign xml:lang="grc">που τινὲς</foreign>, ─ <hi rendition="#aq">sc</hi>. <foreign xml:lang="grc">εἰσὶν οἱ περὶ θεολογίας τύποι</foreign> ─ <foreign xml:lang="grc">ἦν δ' ἐγώ, οἷος</foreign> <lb n="p2b_007.035"/> <foreign xml:lang="grc">τυγχάνει ὁ θεὸς ὤν, ἀεὶ δή που ἀποδοτέον, ἐάν τε τις αὐτὸν ἐν</foreign> <lb n="p2b_007.036"/> <foreign xml:lang="grc">ἔπεσι ποιῇ, ἐάν τε ἐν τραγῳδίᾳ</foreign>.“) Als Philosoph macht er nicht gelegentlich, <lb n="p2b_007.037"/> sondern recht systematisch nur einen Unterschied zwischen nachahmender und <lb n="p2b_007.038"/> heiliger Poesie. Selbst Homer verbannt er aus seinem Jdealstaate, in welchem <lb n="p2b_007.039"/> nur die heilige Poesie geduldet sein soll. (<hi rendition="#aq">Rep</hi>. Buch <hi rendition="#aq">II. III</hi>. gelegentlich, <lb n="p2b_007.040"/> dann <hi rendition="#aq">X</hi>. bis <hi rendition="#aq">pg</hi>. 607.) Anderwärts teilt er nach Bedürfnis ein in Epos <lb n="p2b_007.041"/> und Tragödie oder in diese und Komödie, oder er spricht auch noch vom Drama <lb n="p2b_007.042"/> (<hi rendition="#aq">Sympos. 222 D</hi>.).</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [7/0029]
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litterarischer Parteiname, als Tieck 1800 seine Gedichte unter dem mit voller p2b_007.002
Unbefangenheit gewählten Titel „Romantische Dichtungen“ herausgegeben p2b_007.003
hatte. (Vgl. R. Köpke: „Ludwig Tieck.“ I. 265.) Die romantische p2b_007.004
Schule erstrebte Verjüngung der mittelalterlichen Poesie und eine Vereinung p2b_007.005
der Litteraturen, besonders der romantischen, zur Weltlitteratur. Jhre mit p2b_007.006
Fichtes Jdealismus und Schellings Naturphilosophie durchtränkte Weltanschauung p2b_007.007
versuchte eine Art Verbindung von mittelalterlich=christlicher Schwärmerei und Pantheismus. p2b_007.008
Die Gedichte der romantischen Dichter (vgl. Bd. I. S. 58 und 88) p2b_007.009
zeichnen sich durch eine gewisse Überschwenglichkeit aus, durch eine märchenhafte p2b_007.010
Behandlung des Stoffs, den man auch in demselben Sinne romantisch nennen p2b_007.011
kann, wie man etwa eine Gegend durch dieses Attribut charakterisiert.
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Moderne Poesie endlich nennt man diejenige Poesie, welche in dem p2b_007.013
Anschauungskreise unserer Generation sich bewegt, welche ihre Figuren und p2b_007.014
Helden der Gegenwart entsprechend zeichnet, welche absichtlich zu dem Traum= p2b_007.015
und Phantasieleben der romantischen Poesie einen Gegensatz bildet und dem p2b_007.016
Realismus der modernen Zeit mit ihren Empfindungen, Bestrebungen, Kämpfen, p2b_007.017
Kriegen, Kulturfortschritten und Eroberungen auf allen Gebieten Rechnung p2b_007.018
trägt und das Edelmenschliche, Vernünftige und Freiheitliche pflegt. Freilich p2b_007.019
schält sich der moderne Dichter in der Einfachheit und Gediegenheit seines p2b_007.020
Kunstwerkes ebensowenig vom klassischen Dichter los, als er in Bezug auf Anschaulichkeit p2b_007.021
und Lebendigkeit der bilderreichen Phantasie und im Geschmack der p2b_007.022
Darstellung hinter dem romantischen Dichter zurückbleiben will.
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§ 4. Einteilung der Poesie nach Stoff und Form. p2b_007.024
1. Die geläufigste, allgemeinste und bezeichnendste Einteilung der p2b_007.025
Poesie ist die in lyrische, didaktische, epische und dramatische p2b_007.026
Poesie.
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2. Diese Einteilung entbehrt nur scheinbar des einheitlichen p2b_007.028
Fundaments.
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3. Bei näherer Betrachtung liegt dieses Fundament a. im Zweck, p2b_007.030
b. im Ursprung und Stoff der Poesie.
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1. Die Einteilung der Poesie in lyrische, didaktische, epische und dramatische p2b_007.032
Poesie ist späteren Datums. Platon kennt (in der Stelle Rep. II. 379 A. p2b_007.033
in freilich nur vorübergehender Erwähnung) nur Epos und Tragödie: („Τοιοίδε p2b_007.034
που τινὲς, ─ sc. εἰσὶν οἱ περὶ θεολογίας τύποι ─ ἦν δ' ἐγώ, οἷος p2b_007.035
τυγχάνει ὁ θεὸς ὤν, ἀεὶ δή που ἀποδοτέον, ἐάν τε τις αὐτὸν ἐν p2b_007.036
ἔπεσι ποιῇ, ἐάν τε ἐν τραγῳδίᾳ.“) Als Philosoph macht er nicht gelegentlich, p2b_007.037
sondern recht systematisch nur einen Unterschied zwischen nachahmender und p2b_007.038
heiliger Poesie. Selbst Homer verbannt er aus seinem Jdealstaate, in welchem p2b_007.039
nur die heilige Poesie geduldet sein soll. (Rep. Buch II. III. gelegentlich, p2b_007.040
dann X. bis pg. 607.) Anderwärts teilt er nach Bedürfnis ein in Epos p2b_007.041
und Tragödie oder in diese und Komödie, oder er spricht auch noch vom Drama p2b_007.042
(Sympos. 222 D.).
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