Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_272.001 Sie gingen hinaus mit Hochzeitschar, p2b_272.002 Sie tanzten freudig und ohn' Gefahr, p2b_272.003 Sie tanzten nieder bis an den Strand, p2b_272.004 Sie waren allein jetzt Hand in Hand. p2b_272.005 "Halt', schönes Mädchen, das Roß mir hier! p2b_272.006 Das niedlichste Schiffchen bring' ich dir." p2b_272.007 Und als sie kamen auf'n weißen Sand, p2b_272.008 Da kehrten sich alle Schiffe zu Land! p2b_272.009 Und als sie kamen auf den Sund, p2b_272.010 Das schöne Mädchen sank zu Grund. p2b_272.011 Noch lange hörten am Lande sie, p2b_272.012 Wie das schöne Mädchen im Wasser schrie. p2b_272.013 Jch rat' euch, Jungfern, was ich kann: p2b_272.014 Geht nicht in Tanz mit dem Wassermann. p2b_272.015 Litteratur der Ballade. p2b_272.019 p2b_272.036 p2b_272.001 Sie gingen hinaus mit Hochzeitschar, p2b_272.002 Sie tanzten freudig und ohn' Gefahr, p2b_272.003 Sie tanzten nieder bis an den Strand, p2b_272.004 Sie waren allein jetzt Hand in Hand. p2b_272.005 „Halt', schönes Mädchen, das Roß mir hier! p2b_272.006 Das niedlichste Schiffchen bring' ich dir.“ p2b_272.007 Und als sie kamen auf'n weißen Sand, p2b_272.008 Da kehrten sich alle Schiffe zu Land! p2b_272.009 Und als sie kamen auf den Sund, p2b_272.010 Das schöne Mädchen sank zu Grund. p2b_272.011 Noch lange hörten am Lande sie, p2b_272.012 Wie das schöne Mädchen im Wasser schrie. p2b_272.013 Jch rat' euch, Jungfern, was ich kann: p2b_272.014 Geht nicht in Tanz mit dem Wassermann. p2b_272.015 Litteratur der Ballade. p2b_272.019 p2b_272.036 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0294" n="272"/> <lb n="p2b_272.001"/> <lg> <l> Sie gingen hinaus mit Hochzeitschar,</l> <lb n="p2b_272.002"/> <l>Sie tanzten freudig und ohn' Gefahr, </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_272.003"/> <l> Sie tanzten nieder bis an den Strand,</l> <lb n="p2b_272.004"/> <l>Sie waren allein jetzt Hand in Hand. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_272.005"/> <l> „Halt', schönes Mädchen, das Roß mir hier!</l> <lb n="p2b_272.006"/> <l>Das niedlichste Schiffchen bring' ich dir.“ </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_272.007"/> <l> Und als sie kamen auf'n weißen Sand,</l> <lb n="p2b_272.008"/> <l>Da kehrten sich alle Schiffe zu Land! </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_272.009"/> <l> Und als sie kamen auf den Sund,</l> <lb n="p2b_272.010"/> <l>Das schöne Mädchen sank zu Grund. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_272.011"/> <l> Noch lange hörten am Lande sie,</l> <lb n="p2b_272.012"/> <l>Wie das schöne Mädchen im Wasser schrie. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_272.013"/> <l> Jch rat' euch, Jungfern, was ich kann:</l> <lb n="p2b_272.014"/> <l>Geht nicht in Tanz mit dem Wassermann.</l> </lg> <p><lb n="p2b_272.015"/> Weitere bekannte Beispiele der Ballade sind: <lb n="p2b_272.016"/> Goethes Erlkönig, <lb n="p2b_272.017"/> Bürgers Lenore &c.</p> <lb n="p2b_272.018"/> <p> <hi rendition="#c">Litteratur der Ballade.</hi> </p> <p><lb n="p2b_272.019"/> Volkstümlich war die Ballade schon im 11ten und 12ten Jahrhundert <lb n="p2b_272.020"/> in Nord-England, wo sie der Erzählung ritterlicher Abenteuer in einfacher <lb n="p2b_272.021"/> Sprache diente, welche von den sogenannten <hi rendition="#g">Minstrels</hi> mit Harfenbegleitung <lb n="p2b_272.022"/> vorgetragen wurden. Den Namen Ballade erhielt sie in Vorder-England und <lb n="p2b_272.023"/> Schottland im 14. Jahrhundert. Auf deutschen Boden wurde sie durch Herder <lb n="p2b_272.024"/> mit glänzendem Erfolg verpflanzt, so daß sie eine Zierde unserer Litteratur <lb n="p2b_272.025"/> bildete. Er übersetzte teilweise die durch <hi rendition="#g">Percy</hi> gesammelten schottischen Volkslieder: <lb n="p2b_272.026"/> <hi rendition="#aq">Reliques of ancient english poetry</hi> 1765, in welcher Form sie <lb n="p2b_272.027"/> dem ersten Balladendichter Deutschlands, <hi rendition="#g">Bürger,</hi> vorlagen, dem auch das <lb n="p2b_272.028"/> Volkstümliche und eigenartig Geheimnisvolle, oft Schauerhafte jener Natur= <lb n="p2b_272.029"/> Poesien durch Übersetzung oder freie Nachbildung wiederzugeben gelungen ist. <lb n="p2b_272.030"/> Derselbe und die folgenden Kunstdichter haben häufig geeignete Stoffe in der <lb n="p2b_272.031"/> beschriebenen volkstümlichen Art behandelt. Sie haben aber auch oft in ihre <lb n="p2b_272.032"/> Darstellung eine tiefere Jdee gebracht. Dadurch ist die Ballade von ihnen zur <lb n="p2b_272.033"/> Kunstpoesie erhoben worden, den Gebildeten verständlich in ihrer Tiefe und in <lb n="p2b_272.034"/> ihrer andeutenden Sprache, den Ungebildeten wenigstens ahnen lassend, was <lb n="p2b_272.035"/> darin liegt, ohne ausgesprochen zu sein.</p> <p><lb n="p2b_272.036"/> Weiße, Löwen († 1773), Gleim, Schiebeler haben schon vor Herder und <lb n="p2b_272.037"/> Bürger einzelne Nachahmungen fremder Balladen geliefert. Goethe drückte auch <lb n="p2b_272.038"/> einigen parabelartig gebildeten Balladen den Stempel des Echtdeutschen auf. <lb n="p2b_272.039"/> Jm Erlkönig hat er die deutsche Normal-Ballade geschaffen. Er zeigt weniger, <lb n="p2b_272.040"/> <hi rendition="#g">wie</hi> die deutsche Ballade ist, als <hi rendition="#g">wohin</hi> sie streben soll, indem sein Erlkönig <lb n="p2b_272.041"/> alle germanischen Elemente in der höchsten Kunst-Vollendung dieser <lb n="p2b_272.042"/> Volksdichtung umfaßt. Trefflich sind auch seine Balladen: Der untreue Knabe, <lb n="p2b_272.043"/> Der Totentanz, Die wandelnde Glocke, Der Fischer, Der Schatzgräber &c. </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [272/0294]
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Sie gingen hinaus mit Hochzeitschar, p2b_272.002
Sie tanzten freudig und ohn' Gefahr,
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Sie tanzten nieder bis an den Strand, p2b_272.004
Sie waren allein jetzt Hand in Hand.
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„Halt', schönes Mädchen, das Roß mir hier! p2b_272.006
Das niedlichste Schiffchen bring' ich dir.“
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Und als sie kamen auf'n weißen Sand, p2b_272.008
Da kehrten sich alle Schiffe zu Land!
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Und als sie kamen auf den Sund, p2b_272.010
Das schöne Mädchen sank zu Grund.
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Noch lange hörten am Lande sie, p2b_272.012
Wie das schöne Mädchen im Wasser schrie.
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Jch rat' euch, Jungfern, was ich kann: p2b_272.014
Geht nicht in Tanz mit dem Wassermann.
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Weitere bekannte Beispiele der Ballade sind: p2b_272.016
Goethes Erlkönig, p2b_272.017
Bürgers Lenore &c.
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Litteratur der Ballade.
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Volkstümlich war die Ballade schon im 11ten und 12ten Jahrhundert p2b_272.020
in Nord-England, wo sie der Erzählung ritterlicher Abenteuer in einfacher p2b_272.021
Sprache diente, welche von den sogenannten Minstrels mit Harfenbegleitung p2b_272.022
vorgetragen wurden. Den Namen Ballade erhielt sie in Vorder-England und p2b_272.023
Schottland im 14. Jahrhundert. Auf deutschen Boden wurde sie durch Herder p2b_272.024
mit glänzendem Erfolg verpflanzt, so daß sie eine Zierde unserer Litteratur p2b_272.025
bildete. Er übersetzte teilweise die durch Percy gesammelten schottischen Volkslieder: p2b_272.026
Reliques of ancient english poetry 1765, in welcher Form sie p2b_272.027
dem ersten Balladendichter Deutschlands, Bürger, vorlagen, dem auch das p2b_272.028
Volkstümliche und eigenartig Geheimnisvolle, oft Schauerhafte jener Natur= p2b_272.029
Poesien durch Übersetzung oder freie Nachbildung wiederzugeben gelungen ist. p2b_272.030
Derselbe und die folgenden Kunstdichter haben häufig geeignete Stoffe in der p2b_272.031
beschriebenen volkstümlichen Art behandelt. Sie haben aber auch oft in ihre p2b_272.032
Darstellung eine tiefere Jdee gebracht. Dadurch ist die Ballade von ihnen zur p2b_272.033
Kunstpoesie erhoben worden, den Gebildeten verständlich in ihrer Tiefe und in p2b_272.034
ihrer andeutenden Sprache, den Ungebildeten wenigstens ahnen lassend, was p2b_272.035
darin liegt, ohne ausgesprochen zu sein.
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Weiße, Löwen († 1773), Gleim, Schiebeler haben schon vor Herder und p2b_272.037
Bürger einzelne Nachahmungen fremder Balladen geliefert. Goethe drückte auch p2b_272.038
einigen parabelartig gebildeten Balladen den Stempel des Echtdeutschen auf. p2b_272.039
Jm Erlkönig hat er die deutsche Normal-Ballade geschaffen. Er zeigt weniger, p2b_272.040
wie die deutsche Ballade ist, als wohin sie streben soll, indem sein Erlkönig p2b_272.041
alle germanischen Elemente in der höchsten Kunst-Vollendung dieser p2b_272.042
Volksdichtung umfaßt. Trefflich sind auch seine Balladen: Der untreue Knabe, p2b_272.043
Der Totentanz, Die wandelnde Glocke, Der Fischer, Der Schatzgräber &c.
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