Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_294.001 Spähet dann noch weiter draußen, p2b_294.002 [Spaltenumbruch]
p2b_294.101Drüben an dem andern Hause, p2b_294.003 An der Feuerspitze Ende, p2b_294.004 An der langen Landzung' Biegung, p2b_294.005 Dicht am Wasserfall voll Feuer, p2b_294.006 An des heil'gen Stromes Strudel. p2b_294.007 Einst an einem Tage endlich p2b_294.008 Vers 80. Warf er um die Morgenstunde p2b_294.009 Gegen Nordwest seine Blicke, p2b_294.010 Wandte seinen Kopf zur Sonne, p2b_294.011 Sah was Schwarzes auf dem Meere, p2b_294.012 Auf den Fluten etwas Blaues: p2b_294.013 "Jst das ein Gewölk im Osten, p2b_294.014 Jst es etwa Morgendämmrung?" p2b_294.015 Nicht war es Gewölk im Osten, p2b_294.016 Keineswegs die Morgendämmrung, p2b_294.017 Wäinämöinen war's der alte, p2b_294.018 Vers 90. Dieser ew'ge Zaubersänger, p2b_294.019 Zog dort seinen Weg zum Nordland, p2b_294.020 Ritt drauf los zum Düsterlande, p2b_294.021 Auf dem Roß, dem strohhalmleichten, p2b_294.022 Auf dem erbsenstengelgleichen. p2b_294.023 Hastig faßte Joukahainen, p2b_294.024 Dieser schwache Lappenjüngling, p2b_294.025 Seinen Bogen voller Feuer, p2b_294.026 Wendete den wunderschönen p2b_294.027 Zum Verderben Wäinämöinens, p2b_294.028 Vers 100. Um den Wogenfreund zu töten. p2b_294.029 Vorher fragte ihn die Mutter, p2b_294.030 Forscht' ihn aus die greise Alte: p2b_294.031 "Gegen wen schufst du den Bogen p2b_294.032 Und beschlugst du ihn mit Eisen?" p2b_294.033 Joukahainen gab zur Antwort, p2b_294.034 Redet Worte solcher Weise: p2b_294.035 "Schuf den Bogen gegen diesen, p2b_294.036 Hab' mit Eisen ihn beschlagen p2b_294.037 Zum Verderben Wäinämöinens, p2b_294.038 Vers 110. Um den Wogenfreund zu töten, p2b_294.039 Wäinämöinen will ich treffen, p2b_294.040 Jhn, den ew'gen Zaubersänger, p2b_294.041 Durch das Herz und durch die Leber, p2b_294.042 Durch das Schulterfleisch ihm schießen." p2b_294.043 p2b_294.044 Sie verbietet ihm zu schießen, p2b_294.045 Nicht erlaubte es die Mutter: p2b_294.046 "Schieße nicht auf Wäinämöinen, p2b_294.047 Auf den Heldensohn Kalewas, p2b_294.048 Wäinö ist von großem Stamme, p2b_294.049 Vers 120. Meiner Schwester Sohn, mein p2b_294.050 Neffe." "Tötest du den Wäinämöinen, p2b_294.102 u. s. w.[Ende Spaltensatz]
Jhn, den Helden von Kalewa, p2b_294.103 Dann ach! schwindet alle Freude, p2b_294.104 Schwindet der Gesang von hinnen p2b_294.105 Besser ist die Freud' auf Erden, p2b_294.106 Schöner der Gesang hier oben, p2b_294.107 Als in Unterweltsgefilden, p2b_294.108 Jn des Totenreiches Stuben." p2b_294.109 Doch der junge Joukahainen p2b_294.110 Vers 130. Dachte nach ein kleines Bischen, p2b_294.111 Hielt zurück sich nur ein wenig; p2b_294.112 Trieb die eine Hand zum Schießen, p2b_294.113 Schien die andre es zu hindern, p2b_294.114 An die Sehne dringt der Finger. p2b_294.115 Redet endlich noch die Worte, p2b_294.116 Läßt sich selber also hören: p2b_294.117 "Möge immerhin verschwinden p2b_294.118 Alle Freude von der Erde, p2b_294.119 Mögen alle Lieder schwinden, p2b_294.120 Vers 140. Schießen werd' ich, nichts beachtend." p2b_294.121 Spannte seinen Feuerbogen, p2b_294.122 Stützt die kupferreiche Waffe p2b_294.123 Auf dem linken seiner Kniee, p2b_294.124 Stemmt den rechten seiner Füße, p2b_294.125 Nimmt den Pfeil dann aus dem p2b_294.126 Köcher, p2b_294.127 Holt hervor den federreichen, p2b_294.128 Wählte wohl den allergradsten, p2b_294.129 Mit dem allerbesten Schafte, p2b_294.130 Diesen that er auf den Bogen, p2b_294.131 Vers 150. Fügt' er an die Flachsessehne. p2b_294.132 Richtet dann den Feuerbogen p2b_294.133 An der rechten seiner Schultern, p2b_294.134 Stellt sich hin um loszuschießen p2b_294.135 Auf den alten Wäinämöinen, p2b_294.136 Redet selber diese Worte: p2b_294.137 "Geh nun los, du Birkenspitze, p2b_294.138 Strecke dich, du Tannenrücken, p2b_294.139 Gleite ab, du Flachsessehne; p2b_294.140 Wenn die Hand zu niedrig zielet, p2b_294.141 Vers 160. Mag der Pfeil sich höher richten, p2b_294.142 Zielt die Hand zu sehr nach oben, p2b_294.143 Mag der Pfeil nach unten gehen!" p2b_294.144 Rasch bewegt er nun den Drücker p2b_294.145 Schoß den ersten Pfeil behende, p2b_294.146 Viel zu hoch enteilet dieser, p2b_294.147 Über seinen Kopf zum Himmel, p2b_294.148 Daß die Wolken schier zerbersten, p2b_294.149 Er die Lämmerwolken sprenget b. Kalewipoeg, das Volksepos der Esten. Die Sagen p2b_294.151 p2b_294.001 Spähet dann noch weiter draußen, p2b_294.002 [Spaltenumbruch]
p2b_294.101Drüben an dem andern Hause, p2b_294.003 An der Feuerspitze Ende, p2b_294.004 An der langen Landzung' Biegung, p2b_294.005 Dicht am Wasserfall voll Feuer, p2b_294.006 An des heil'gen Stromes Strudel. p2b_294.007 Einst an einem Tage endlich p2b_294.008 Vers 80. Warf er um die Morgenstunde p2b_294.009 Gegen Nordwest seine Blicke, p2b_294.010 Wandte seinen Kopf zur Sonne, p2b_294.011 Sah was Schwarzes auf dem Meere, p2b_294.012 Auf den Fluten etwas Blaues: p2b_294.013 „Jst das ein Gewölk im Osten, p2b_294.014 Jst es etwa Morgendämmrung?“ p2b_294.015 Nicht war es Gewölk im Osten, p2b_294.016 Keineswegs die Morgendämmrung, p2b_294.017 Wäinämöinen war's der alte, p2b_294.018 Vers 90. Dieser ew'ge Zaubersänger, p2b_294.019 Zog dort seinen Weg zum Nordland, p2b_294.020 Ritt drauf los zum Düsterlande, p2b_294.021 Auf dem Roß, dem strohhalmleichten, p2b_294.022 Auf dem erbsenstengelgleichen. p2b_294.023 Hastig faßte Joukahainen, p2b_294.024 Dieser schwache Lappenjüngling, p2b_294.025 Seinen Bogen voller Feuer, p2b_294.026 Wendete den wunderschönen p2b_294.027 Zum Verderben Wäinämöinens, p2b_294.028 Vers 100. Um den Wogenfreund zu töten. p2b_294.029 Vorher fragte ihn die Mutter, p2b_294.030 Forscht' ihn aus die greise Alte: p2b_294.031 „Gegen wen schufst du den Bogen p2b_294.032 Und beschlugst du ihn mit Eisen?“ p2b_294.033 Joukahainen gab zur Antwort, p2b_294.034 Redet Worte solcher Weise: p2b_294.035 „Schuf den Bogen gegen diesen, p2b_294.036 Hab' mit Eisen ihn beschlagen p2b_294.037 Zum Verderben Wäinämöinens, p2b_294.038 Vers 110. Um den Wogenfreund zu töten, p2b_294.039 Wäinämöinen will ich treffen, p2b_294.040 Jhn, den ew'gen Zaubersänger, p2b_294.041 Durch das Herz und durch die Leber, p2b_294.042 Durch das Schulterfleisch ihm schießen.“ p2b_294.043 p2b_294.044 Sie verbietet ihm zu schießen, p2b_294.045 Nicht erlaubte es die Mutter: p2b_294.046 „Schieße nicht auf Wäinämöinen, p2b_294.047 Auf den Heldensohn Kalewas, p2b_294.048 Wäinö ist von großem Stamme, p2b_294.049 Vers 120. Meiner Schwester Sohn, mein p2b_294.050 Neffe.“ „Tötest du den Wäinämöinen, p2b_294.102 u. s. w.[Ende Spaltensatz]
Jhn, den Helden von Kalewa, p2b_294.103 Dann ach! schwindet alle Freude, p2b_294.104 Schwindet der Gesang von hinnen p2b_294.105 Besser ist die Freud' auf Erden, p2b_294.106 Schöner der Gesang hier oben, p2b_294.107 Als in Unterweltsgefilden, p2b_294.108 Jn des Totenreiches Stuben.“ p2b_294.109 Doch der junge Joukahainen p2b_294.110 Vers 130. Dachte nach ein kleines Bischen, p2b_294.111 Hielt zurück sich nur ein wenig; p2b_294.112 Trieb die eine Hand zum Schießen, p2b_294.113 Schien die andre es zu hindern, p2b_294.114 An die Sehne dringt der Finger. p2b_294.115 Redet endlich noch die Worte, p2b_294.116 Läßt sich selber also hören: p2b_294.117 „Möge immerhin verschwinden p2b_294.118 Alle Freude von der Erde, p2b_294.119 Mögen alle Lieder schwinden, p2b_294.120 Vers 140. 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Kreuzwald in </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [294/0316]
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Einst an einem Tage endlich p2b_294.008
Warf er um die Morgenstunde p2b_294.009
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Wandte seinen Kopf zur Sonne, p2b_294.011
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Auf den Fluten etwas Blaues: p2b_294.013
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Jst es etwa Morgendämmrung?“ p2b_294.015
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Auf dem erbsenstengelgleichen. p2b_294.023
Hastig faßte Joukahainen, p2b_294.024
Dieser schwache Lappenjüngling, p2b_294.025
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Wendete den wunderschönen p2b_294.027
Zum Verderben Wäinämöinens, p2b_294.028
Um den Wogenfreund zu töten. p2b_294.029
Vorher fragte ihn die Mutter, p2b_294.030
Forscht' ihn aus die greise Alte: p2b_294.031
„Gegen wen schufst du den Bogen p2b_294.032
Und beschlugst du ihn mit Eisen?“ p2b_294.033
Joukahainen gab zur Antwort, p2b_294.034
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„Schuf den Bogen gegen diesen, p2b_294.036
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Zum Verderben Wäinämöinens, p2b_294.038
Um den Wogenfreund zu töten, p2b_294.039
Wäinämöinen will ich treffen, p2b_294.040
Jhn, den ew'gen Zaubersänger, p2b_294.041
Durch das Herz und durch die Leber, p2b_294.042
Durch das Schulterfleisch ihm schießen.“ p2b_294.043
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Sie verbietet ihm zu schießen, p2b_294.045
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„Schieße nicht auf Wäinämöinen, p2b_294.047
Auf den Heldensohn Kalewas, p2b_294.048
Wäinö ist von großem Stamme, p2b_294.049
Meiner Schwester Sohn, mein p2b_294.050
Neffe.“
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„Tötest du den Wäinämöinen, p2b_294.102
Jhn, den Helden von Kalewa, p2b_294.103
Dann ach! schwindet alle Freude, p2b_294.104
Schwindet der Gesang von hinnen p2b_294.105
Besser ist die Freud' auf Erden, p2b_294.106
Schöner der Gesang hier oben, p2b_294.107
Als in Unterweltsgefilden, p2b_294.108
Jn des Totenreiches Stuben.“ p2b_294.109
Doch der junge Joukahainen p2b_294.110
Dachte nach ein kleines Bischen, p2b_294.111
Hielt zurück sich nur ein wenig; p2b_294.112
Trieb die eine Hand zum Schießen, p2b_294.113
Schien die andre es zu hindern, p2b_294.114
An die Sehne dringt der Finger. p2b_294.115
Redet endlich noch die Worte, p2b_294.116
Läßt sich selber also hören: p2b_294.117
„Möge immerhin verschwinden p2b_294.118
Alle Freude von der Erde, p2b_294.119
Mögen alle Lieder schwinden, p2b_294.120
Schießen werd' ich, nichts beachtend.“ p2b_294.121
Spannte seinen Feuerbogen, p2b_294.122
Stützt die kupferreiche Waffe p2b_294.123
Auf dem linken seiner Kniee, p2b_294.124
Stemmt den rechten seiner Füße, p2b_294.125
Nimmt den Pfeil dann aus dem p2b_294.126
Köcher, p2b_294.127
Holt hervor den federreichen, p2b_294.128
Wählte wohl den allergradsten, p2b_294.129
Mit dem allerbesten Schafte, p2b_294.130
Diesen that er auf den Bogen, p2b_294.131
Fügt' er an die Flachsessehne. p2b_294.132
Richtet dann den Feuerbogen p2b_294.133
An der rechten seiner Schultern, p2b_294.134
Stellt sich hin um loszuschießen p2b_294.135
Auf den alten Wäinämöinen, p2b_294.136
Redet selber diese Worte: p2b_294.137
„Geh nun los, du Birkenspitze, p2b_294.138
Strecke dich, du Tannenrücken, p2b_294.139
Gleite ab, du Flachsessehne; p2b_294.140
Wenn die Hand zu niedrig zielet, p2b_294.141
Mag der Pfeil sich höher richten, p2b_294.142
Zielt die Hand zu sehr nach oben, p2b_294.143
Mag der Pfeil nach unten gehen!“ p2b_294.144
Rasch bewegt er nun den Drücker p2b_294.145
Schoß den ersten Pfeil behende, p2b_294.146
Viel zu hoch enteilet dieser, p2b_294.147
Über seinen Kopf zum Himmel, p2b_294.148
Daß die Wolken schier zerbersten, p2b_294.149
Er die Lämmerwolken sprenget
u. s. w.
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b. Kalewipoeg, das Volksepos der Esten. Die Sagen p2b_294.151
der Esten wurden auf Veranlassung der gelehrten Estnischen Gesellschaft p2b_294.152
zu Dorpat aus Volksmunde gesammelt und von Dr. Kreuzwald in
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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