Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_086.001 Stein- und Holz-Reden. p3b_086.002[Beginn Spaltensatz] Stoff. p3b_086.003 Lösung. Von Gottfried Keller. p3b_086.102Auf Lüneburger Heide p3b_086.103 p3b_086.106Da steht der alte Stein, p3b_086.104 Daneben die alte Eiche, p3b_086.105 Sie mag wohl tausendjährig sein. Es ziehn vorbei Gesellen p3b_086.107 p3b_086.110Jm Lenz mit frischem Sang; p3b_086.108 Sie singen von deutscher Freiheit, p3b_086.109 Auf weitem Plan verhallt der Klang. Da spricht der Stein zur Eiche, p3b_086.111 p3b_086.115Als wacht' er auf vom Traum: p3b_086.112 "Ging nicht vorbei die Freiheit? p3b_086.113 Wach' auf, wach' auf, du deutscher p3b_086.114 Baum!" Und durch des Baumes Krone p3b_086.116 p3b_086.119Da fährt ein Saus und Braus, p3b_086.117 Die moosigen Äste schlagen p3b_086.118 Jn tausend jungen Augen aus! Die Sänger sind gezogen p3b_086.120 p3b_086.123Fernhin durchs Heidekraut: p3b_086.121 Die Eich' hat ihnen von oben p3b_086.122 Gar lang und traurig nachgeschaut. Sie hub sich aus der Wurzel p3b_086.124 p3b_086.127Den fernen Sängern nach: p3b_086.125 Es klang des Liedes Nachhall p3b_086.126 Wohl durch ihr hohes Blätterdach. Den letzten Hall verklingen p3b_086.128 p3b_086.131Hat sie im Herbst gehört: p3b_086.129 Da hat sie, schüttelnd, die Äste p3b_086.130 Vom letzten Laub im Zorn geleert. "Nun will ich wieder schlafen," p3b_086.132 [Ende Spaltensatz]
Spricht sie zum alten Stein; p3b_086.133 "Du wunderlicher Träumer, p3b_086.134 Sollst mir nun einmal stille sein!" p3b_086.001 Stein- und Holz-Reden. p3b_086.002[Beginn Spaltensatz] Stoff. p3b_086.003 Lösung. Von Gottfried Keller. p3b_086.102Auf Lüneburger Heide p3b_086.103 p3b_086.106Da steht der alte Stein, p3b_086.104 Daneben die alte Eiche, p3b_086.105 Sie mag wohl tausendjährig sein. Es ziehn vorbei Gesellen p3b_086.107 p3b_086.110Jm Lenz mit frischem Sang; p3b_086.108 Sie singen von deutscher Freiheit, p3b_086.109 Auf weitem Plan verhallt der Klang. Da spricht der Stein zur Eiche, p3b_086.111 p3b_086.115Als wacht' er auf vom Traum: p3b_086.112 „Ging nicht vorbei die Freiheit? p3b_086.113 Wach' auf, wach' auf, du deutscher p3b_086.114 Baum!“ Und durch des Baumes Krone p3b_086.116 p3b_086.119Da fährt ein Saus und Braus, p3b_086.117 Die moosigen Äste schlagen p3b_086.118 Jn tausend jungen Augen aus! Die Sänger sind gezogen p3b_086.120 p3b_086.123Fernhin durchs Heidekraut: p3b_086.121 Die Eich' hat ihnen von oben p3b_086.122 Gar lang und traurig nachgeschaut. Sie hub sich aus der Wurzel p3b_086.124 p3b_086.127Den fernen Sängern nach: p3b_086.125 Es klang des Liedes Nachhall p3b_086.126 Wohl durch ihr hohes Blätterdach. Den letzten Hall verklingen p3b_086.128 p3b_086.131Hat sie im Herbst gehört: p3b_086.129 Da hat sie, schüttelnd, die Äste p3b_086.130 Vom letzten Laub im Zorn geleert. „Nun will ich wieder schlafen,“ p3b_086.132 [Ende Spaltensatz]
Spricht sie zum alten Stein; p3b_086.133 „Du wunderlicher Träumer, p3b_086.134 Sollst mir nun einmal stille sein!“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0112" n="86"/> <lb n="p3b_086.001"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Stein- und Holz-Reden.</hi> </hi> </p> <lb n="p3b_086.002"/> <cb type="start"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Stoff.</hi> </hi> </p> <p><lb n="p3b_086.003"/> 1. Auf der Lüneburger Heide │ <lb n="p3b_086.004"/> steht ein alter Stein, │ daneben eine <lb n="p3b_086.005"/> alte, │ wohl tausendjährige Eiche. ‖ 2. Es <lb n="p3b_086.006"/> ziehen im Frühling │ fröhliche Gesellen <lb n="p3b_086.007"/> vorbei; │ sie singen von deutscher Freiheit, <lb n="p3b_086.008"/> │ aber ihr Sang verhallt in der <lb n="p3b_086.009"/> Ebene. ‖ 3. Da spricht der Stein zur <lb n="p3b_086.010"/> Eiche, │ wie wenn er vom Traum erwachte: <lb n="p3b_086.011"/> │ „Ging nicht die Freiheit <lb n="p3b_086.012"/> vorüber? │ Erwache, deutscher Baum!“ ‖ <lb n="p3b_086.013"/> 4. Da fuhr ein Brausen │ durch die <lb n="p3b_086.014"/> Krone des Baumes, │ und seine alten <lb n="p3b_086.015"/> Äste │ trieben tausend Knospen. ‖ <lb n="p3b_086.016"/> 5. Die Sänger zogen weit fort durch <lb n="p3b_086.017"/> die Heide; │ die Eiche hat ihnen von <lb n="p3b_086.018"/> oben │ traurig nachgeschaut. ‖ 6. Dann <lb n="p3b_086.019"/> dehnte sie sich in der Wurzel, │ um <lb n="p3b_086.020"/> den Sängern nachzusehen. │ Des Liedes <lb n="p3b_086.021"/> Nachhall klang │ durch ihr Blätterdach. <lb n="p3b_086.022"/> ‖ 7. Jm Herbste │ hörte sie den <lb n="p3b_086.023"/> letzten Hall verklingen, │ dann schüttelte <lb n="p3b_086.024"/> sie sich zornig, │ daß das letzte Laub <lb n="p3b_086.025"/> von den Ästen fiel. ‖ 8. Und zum <lb n="p3b_086.026"/> alten Steine sprach sie: │ „Jch will <lb n="p3b_086.027"/> nun wieder schlafen. │ Du, wunderlicher <lb n="p3b_086.028"/> Träumer, │ sollst mich nicht mehr stören.“ ‖</p> <cb/> <lb n="p3b_086.101"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Lösung. Von Gottfried Keller.</hi> </hi> </p> <lb n="p3b_086.102"/> <lg> <l>Auf Lüneburger Heide</l> <lb n="p3b_086.103"/> <l>Da steht der alte Stein,</l> <lb n="p3b_086.104"/> <l>Daneben die alte Eiche,</l> <lb n="p3b_086.105"/> <l>Sie mag wohl tausendjährig sein. </l> </lg> <lb n="p3b_086.106"/> <lg> <l>Es ziehn vorbei Gesellen</l> <lb n="p3b_086.107"/> <l>Jm Lenz mit frischem Sang;</l> <lb n="p3b_086.108"/> <l>Sie singen von deutscher Freiheit,</l> <lb n="p3b_086.109"/> <l>Auf weitem Plan verhallt der Klang. </l> </lg> <lb n="p3b_086.110"/> <lg> <l>Da spricht der Stein zur Eiche,</l> <lb n="p3b_086.111"/> <l>Als wacht' er auf vom Traum:</l> <lb n="p3b_086.112"/> <l>„Ging nicht vorbei die Freiheit?</l> <lb n="p3b_086.113"/> <l>Wach' auf, wach' auf, du deutscher</l> <lb n="p3b_086.114"/> <l> <hi rendition="#et">Baum!“</hi> </l> </lg> <lb n="p3b_086.115"/> <lg> <l>Und durch des Baumes Krone</l> <lb n="p3b_086.116"/> <l>Da fährt ein Saus und Braus,</l> <lb n="p3b_086.117"/> <l>Die moosigen Äste schlagen</l> <lb n="p3b_086.118"/> <l>Jn tausend jungen Augen aus! </l> </lg> <lb n="p3b_086.119"/> <lg> <l>Die Sänger sind gezogen</l> <lb n="p3b_086.120"/> <l>Fernhin durchs Heidekraut:</l> <lb n="p3b_086.121"/> <l>Die Eich' hat ihnen von oben</l> <lb n="p3b_086.122"/> <l>Gar lang und traurig nachgeschaut. </l> </lg> <lb n="p3b_086.123"/> <lg> <l>Sie hub sich aus der Wurzel</l> <lb n="p3b_086.124"/> <l>Den fernen Sängern nach:</l> <lb n="p3b_086.125"/> <l>Es klang des Liedes Nachhall</l> <lb n="p3b_086.126"/> <l>Wohl durch ihr hohes Blätterdach. </l> </lg> <lb n="p3b_086.127"/> <lg> <l>Den letzten Hall verklingen</l> <lb n="p3b_086.128"/> <l>Hat sie im Herbst gehört:</l> <lb n="p3b_086.129"/> <l>Da hat sie, schüttelnd, die Äste</l> <lb n="p3b_086.130"/> <l>Vom letzten Laub im Zorn geleert. </l> </lg> <lb n="p3b_086.131"/> <lg> <l>„Nun will ich wieder schlafen,“</l> <lb n="p3b_086.132"/> <l>Spricht sie zum alten Stein;</l> <lb n="p3b_086.133"/> <l>„Du wunderlicher Träumer,</l> <lb n="p3b_086.134"/> <l>Sollst mir nun einmal stille sein!“</l> </lg> <cb type="end"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [86/0112]
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Stein- und Holz-Reden.
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Stoff.
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1. Auf der Lüneburger Heide │ p3b_086.004
steht ein alter Stein, │ daneben eine p3b_086.005
alte, │ wohl tausendjährige Eiche. ‖ 2. Es p3b_086.006
ziehen im Frühling │ fröhliche Gesellen p3b_086.007
vorbei; │ sie singen von deutscher Freiheit, p3b_086.008
│ aber ihr Sang verhallt in der p3b_086.009
Ebene. ‖ 3. Da spricht der Stein zur p3b_086.010
Eiche, │ wie wenn er vom Traum erwachte: p3b_086.011
│ „Ging nicht die Freiheit p3b_086.012
vorüber? │ Erwache, deutscher Baum!“ ‖ p3b_086.013
4. Da fuhr ein Brausen │ durch die p3b_086.014
Krone des Baumes, │ und seine alten p3b_086.015
Äste │ trieben tausend Knospen. ‖ p3b_086.016
5. Die Sänger zogen weit fort durch p3b_086.017
die Heide; │ die Eiche hat ihnen von p3b_086.018
oben │ traurig nachgeschaut. ‖ 6. Dann p3b_086.019
dehnte sie sich in der Wurzel, │ um p3b_086.020
den Sängern nachzusehen. │ Des Liedes p3b_086.021
Nachhall klang │ durch ihr Blätterdach. p3b_086.022
‖ 7. Jm Herbste │ hörte sie den p3b_086.023
letzten Hall verklingen, │ dann schüttelte p3b_086.024
sie sich zornig, │ daß das letzte Laub p3b_086.025
von den Ästen fiel. ‖ 8. Und zum p3b_086.026
alten Steine sprach sie: │ „Jch will p3b_086.027
nun wieder schlafen. │ Du, wunderlicher p3b_086.028
Träumer, │ sollst mich nicht mehr stören.“ ‖
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Lösung. Von Gottfried Keller.
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Auf Lüneburger Heide p3b_086.103
Da steht der alte Stein, p3b_086.104
Daneben die alte Eiche, p3b_086.105
Sie mag wohl tausendjährig sein.
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Jm Lenz mit frischem Sang; p3b_086.108
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Auf weitem Plan verhallt der Klang.
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Als wacht' er auf vom Traum: p3b_086.112
„Ging nicht vorbei die Freiheit? p3b_086.113
Wach' auf, wach' auf, du deutscher p3b_086.114
Baum!“
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Und durch des Baumes Krone p3b_086.116
Da fährt ein Saus und Braus, p3b_086.117
Die moosigen Äste schlagen p3b_086.118
Jn tausend jungen Augen aus!
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Die Sänger sind gezogen p3b_086.120
Fernhin durchs Heidekraut: p3b_086.121
Die Eich' hat ihnen von oben p3b_086.122
Gar lang und traurig nachgeschaut.
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Sie hub sich aus der Wurzel p3b_086.124
Den fernen Sängern nach: p3b_086.125
Es klang des Liedes Nachhall p3b_086.126
Wohl durch ihr hohes Blätterdach.
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Den letzten Hall verklingen p3b_086.128
Hat sie im Herbst gehört: p3b_086.129
Da hat sie, schüttelnd, die Äste p3b_086.130
Vom letzten Laub im Zorn geleert.
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„Nun will ich wieder schlafen,“ p3b_086.132
Spricht sie zum alten Stein; p3b_086.133
„Du wunderlicher Träumer, p3b_086.134
Sollst mir nun einmal stille sein!“
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