Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_118.001 5. Distichon. p3b_118.002Hoch an den Felsen erblüht Alpröslein so rot und so lieblich; p3b_118.003 p3b_118.014Brechen wohl möcht' ich es gern, aber es dräuet der Tod. p3b_118.004 Röschen, wie hast du das Herz und die Sinne mir völlig bezaubert! p3b_118.005 Sehnen nach dir wird nie schwinden in meinem Gemüt. p3b_118.006 Jmmer beschau' ich nur dich und ich weiß nicht besseren Wunsch mehr; p3b_118.007 Kostet es auch mein Blut, brechen wohl muß ich dich noch. p3b_118.008 Röschen, dich wähl' ich zum Schmuck für die Liebste vor anderem Zierrat, p3b_118.009 Hat sie nur Freude daran, ist es mir Lohnes genug. - p3b_118.010 Wagenden Mutes erklimmt er die steile, die felsige Höhe, p3b_118.011 Pflücket die Rose sich schon ab mit ermattender Hand. p3b_118.012 Nicht mehr kehrt er zurück zu den Seinen, - er stürzt in den Abgrund, p3b_118.013 Wo ihm das Röslein so lieb schmücket verwelkend das Grab. 6. Trimeter. p3b_118.015Dort blüht ein Alpenröslein hoch an Felsen rot, p3b_118.016 p3b_118.027Gern möcht' ich's brechen, aber es dräuet mir Gefahr. p3b_118.017 Und doch, o Röslein, blühest du so zaubrisch schön, p3b_118.018 Daß ich nach dir vor Sehnsucht fast vergehen muß. p3b_118.019 Jch schau' nach dir nur, achtend für das Beste dich, p3b_118.020 Und will dich brechen, müßte fließen auch mein Blut. p3b_118.021 Jch hefte dich ans Mieder meiner geliebten Braut, p3b_118.022 Und wenn sie dein sich freuet, ist mir's Lohn genug. - p3b_118.023 Darauf bestieg er kühnlich hohes Felsgestein p3b_118.024 Und knickte schon die Rose, zitternd, doch beglückt. p3b_118.025 Rückkehren sah ihn niemand, denn er stürzte tief, p3b_118.026 Und nur das Alpenröslein ward ihm Grabesschmuck. 7. Anapästische Achttakter. p3b_118.028Hast je du gehört, was in früherer Zeit im Tirolergebirge sich zutrug? p3b_118.029
Da stand einstmals an dem Felsengestein hoch droben ein blühendes Röslein; p3b_118.030 Das schaute von fern sich ein Jüngling an voll brünstigen Sehnens der Liebe. p3b_118.031 Der sprach zu der Ros': Ab bräch' ich dich gern, doch ist's mit Gefahren p3b_118.032 verbunden. p3b_118.033 O Röslein rot, wie erblühtest du schön, wie so zauberisch blickst du hernieder, p3b_118.034 Daß Verlangen nach dir du erweckst in der Brust, und es wird mir doch p3b_118.035 nimmer gestillt sein. p3b_118.036 Lang schau' ich zu dir in die Höhe hinan und erkenn' als süßestes Gut dich; p3b_118.037 Wahrhaftig, du mußt noch heut mein sein, sollt' auch mein Leben ich wagen, p3b_118.038 Um der Liebsten zum Schmuck dich zu holen herab. Dann steck' ich dich ihr p3b_118.039 an das Mieder; p3b_118.040 Wenn sie sich daran mag herzlich erfreun, wird das schon Lohns mir genug sein! - p3b_118.041 Und der Jüngling stieg zu der Felswand auf, zu der steilen, mit mächtigen p3b_118.042 Schritten, p3b_118.001 5. Distichon. p3b_118.002Hoch an den Felsen erblüht Alpröslein so rot und so lieblich; p3b_118.003 p3b_118.014Brechen wohl möcht' ich es gern, aber es dräuet der Tod. p3b_118.004 Röschen, wie hast du das Herz und die Sinne mir völlig bezaubert! p3b_118.005 Sehnen nach dir wird nie schwinden in meinem Gemüt. p3b_118.006 Jmmer beschau' ich nur dich und ich weiß nicht besseren Wunsch mehr; p3b_118.007 Kostet es auch mein Blut, brechen wohl muß ich dich noch. p3b_118.008 Röschen, dich wähl' ich zum Schmuck für die Liebste vor anderem Zierrat, p3b_118.009 Hat sie nur Freude daran, ist es mir Lohnes genug. ─ p3b_118.010 Wagenden Mutes erklimmt er die steile, die felsige Höhe, p3b_118.011 Pflücket die Rose sich schon ab mit ermattender Hand. p3b_118.012 Nicht mehr kehrt er zurück zu den Seinen, ─ er stürzt in den Abgrund, p3b_118.013 Wo ihm das Röslein so lieb schmücket verwelkend das Grab. 6. Trimeter. p3b_118.015Dort blüht ein Alpenröslein hoch an Felsen rot, p3b_118.016 p3b_118.027Gern möcht' ich's brechen, aber es dräuet mir Gefahr. p3b_118.017 Und doch, o Röslein, blühest du so zaubrisch schön, p3b_118.018 Daß ich nach dir vor Sehnsucht fast vergehen muß. p3b_118.019 Jch schau' nach dir nur, achtend für das Beste dich, p3b_118.020 Und will dich brechen, müßte fließen auch mein Blut. p3b_118.021 Jch hefte dich ans Mieder meiner geliebten Braut, p3b_118.022 Und wenn sie dein sich freuet, ist mir's Lohn genug. ─ p3b_118.023 Darauf bestieg er kühnlich hohes Felsgestein p3b_118.024 Und knickte schon die Rose, zitternd, doch beglückt. p3b_118.025 Rückkehren sah ihn niemand, denn er stürzte tief, p3b_118.026 Und nur das Alpenröslein ward ihm Grabesschmuck. 7. Anapästische Achttakter. p3b_118.028Hast je du gehört, was in früherer Zeit im Tirolergebirge sich zutrug? p3b_118.029
Da stand einstmals an dem Felsengestein hoch droben ein blühendes Röslein; p3b_118.030 Das schaute von fern sich ein Jüngling an voll brünstigen Sehnens der Liebe. p3b_118.031 Der sprach zu der Ros': Ab bräch' ich dich gern, doch ist's mit Gefahren p3b_118.032 verbunden. p3b_118.033 O Röslein rot, wie erblühtest du schön, wie so zauberisch blickst du hernieder, p3b_118.034 Daß Verlangen nach dir du erweckst in der Brust, und es wird mir doch p3b_118.035 nimmer gestillt sein. p3b_118.036 Lang schau' ich zu dir in die Höhe hinan und erkenn' als süßestes Gut dich; p3b_118.037 Wahrhaftig, du mußt noch heut mein sein, sollt' auch mein Leben ich wagen, p3b_118.038 Um der Liebsten zum Schmuck dich zu holen herab. Dann steck' ich dich ihr p3b_118.039 an das Mieder; p3b_118.040 Wenn sie sich daran mag herzlich erfreun, wird das schon Lohns mir genug sein! ─ p3b_118.041 Und der Jüngling stieg zu der Felswand auf, zu der steilen, mit mächtigen p3b_118.042 Schritten, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0144" n="118"/> <lb n="p3b_118.001"/> <p> <hi rendition="#c">5. <hi rendition="#g">Distichon.</hi></hi> </p> <lb n="p3b_118.002"/> <lg> <l>Hoch an den Felsen erblüht Alpröslein so rot und so lieblich;</l> <lb n="p3b_118.003"/> <l> Brechen wohl möcht' ich es gern, aber es dräuet der Tod.</l> <lb n="p3b_118.004"/> <l>Röschen, wie hast du das Herz und die Sinne mir völlig bezaubert!</l> <lb n="p3b_118.005"/> <l> Sehnen nach dir wird nie schwinden in meinem Gemüt.</l> <lb n="p3b_118.006"/> <l>Jmmer beschau' ich nur dich und ich weiß nicht besseren Wunsch mehr;</l> <lb n="p3b_118.007"/> <l> Kostet es auch mein Blut, brechen wohl muß ich dich noch.</l> <lb n="p3b_118.008"/> <l>Röschen, dich wähl' ich zum Schmuck für die Liebste vor anderem Zierrat,</l> <lb n="p3b_118.009"/> <l> Hat sie nur Freude daran, ist es mir Lohnes genug. ─</l> <lb n="p3b_118.010"/> <l>Wagenden Mutes erklimmt er die steile, die felsige Höhe,</l> <lb n="p3b_118.011"/> <l> Pflücket die Rose sich schon ab mit ermattender Hand.</l> <lb n="p3b_118.012"/> <l>Nicht mehr kehrt er zurück zu den Seinen, ─ er stürzt in den Abgrund,</l> <lb n="p3b_118.013"/> <l>Wo ihm das Röslein so lieb schmücket verwelkend das Grab.</l> </lg> <lb n="p3b_118.014"/> <p> <hi rendition="#c">6. <hi rendition="#g">Trimeter.</hi></hi> </p> <lb n="p3b_118.015"/> <lg> <l>Dort blüht ein Alpenröslein hoch an Felsen rot,</l> <lb n="p3b_118.016"/> <l>Gern möcht' ich's brechen, aber es dräuet mir Gefahr.</l> <lb n="p3b_118.017"/> <l>Und doch, o Röslein, blühest du so zaubrisch schön,</l> <lb n="p3b_118.018"/> <l>Daß ich nach dir vor Sehnsucht fast vergehen muß.</l> <lb n="p3b_118.019"/> <l>Jch schau' nach dir nur, achtend für das Beste dich,</l> <lb n="p3b_118.020"/> <l>Und will dich brechen, müßte fließen auch mein Blut.</l> <lb n="p3b_118.021"/> <l>Jch hefte dich ans Mieder meiner geliebten Braut,</l> <lb n="p3b_118.022"/> <l>Und wenn sie dein sich freuet, ist mir's Lohn genug. ─</l> <lb n="p3b_118.023"/> <l>Darauf bestieg er kühnlich hohes Felsgestein</l> <lb n="p3b_118.024"/> <l>Und knickte schon die Rose, zitternd, doch beglückt.</l> <lb n="p3b_118.025"/> <l>Rückkehren sah ihn niemand, denn er stürzte tief,</l> <lb n="p3b_118.026"/> <l>Und nur das Alpenröslein ward ihm Grabesschmuck.</l> </lg> <lb n="p3b_118.027"/> <p> <hi rendition="#c">7. <hi rendition="#g">Anapästische Achttakter.</hi></hi> </p> <lb n="p3b_118.028"/> <lg> <l>Hast je du gehört, was in früherer Zeit im Tirolergebirge sich zutrug?</l> <lb n="p3b_118.029"/> <l>Da stand einstmals an dem Felsengestein hoch droben ein blühendes Röslein;</l> <lb n="p3b_118.030"/> <l>Das schaute von fern sich ein Jüngling an voll brünstigen Sehnens der Liebe.</l> <lb n="p3b_118.031"/> <l>Der sprach zu der Ros': Ab bräch' ich dich gern, doch ist's mit Gefahren</l> <lb n="p3b_118.032"/> <l> <hi rendition="#et">verbunden.</hi> </l> <lb n="p3b_118.033"/> <l>O Röslein rot, wie erblühtest du schön, wie so zauberisch blickst du hernieder,</l> <lb n="p3b_118.034"/> <l>Daß Verlangen nach dir du erweckst in der Brust, und es wird mir doch</l> <lb n="p3b_118.035"/> <l> <hi rendition="#et">nimmer gestillt sein.</hi> </l> <lb n="p3b_118.036"/> <l>Lang schau' ich zu dir in die Höhe hinan und erkenn' als süßestes Gut dich;</l> <lb n="p3b_118.037"/> <l>Wahrhaftig, du mußt noch heut mein sein, sollt' auch mein Leben ich wagen,</l> <lb n="p3b_118.038"/> <l>Um der Liebsten zum Schmuck dich zu holen herab. Dann steck' ich dich ihr</l> <lb n="p3b_118.039"/> <l> <hi rendition="#et">an das Mieder;</hi> </l> <lb n="p3b_118.040"/> <l>Wenn sie sich daran mag herzlich erfreun, wird das schon Lohns mir genug sein! ─</l> <lb n="p3b_118.041"/> <l>Und der Jüngling stieg zu der Felswand auf, zu der steilen, mit mächtigen</l> <lb n="p3b_118.042"/> <l> <hi rendition="#et">Schritten,</hi> </l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [118/0144]
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5. Distichon.
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Hoch an den Felsen erblüht Alpröslein so rot und so lieblich; p3b_118.003
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Wo ihm das Röslein so lieb schmücket verwelkend das Grab.
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Dort blüht ein Alpenröslein hoch an Felsen rot, p3b_118.016
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Darauf bestieg er kühnlich hohes Felsgestein p3b_118.024
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Und nur das Alpenröslein ward ihm Grabesschmuck.
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7. Anapästische Achttakter.
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Hast je du gehört, was in früherer Zeit im Tirolergebirge sich zutrug? p3b_118.029
Da stand einstmals an dem Felsengestein hoch droben ein blühendes Röslein; p3b_118.030
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Der sprach zu der Ros': Ab bräch' ich dich gern, doch ist's mit Gefahren p3b_118.032
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an das Mieder; p3b_118.040
Wenn sie sich daran mag herzlich erfreun, wird das schon Lohns mir genug sein! ─ p3b_118.041
Und der Jüngling stieg zu der Felswand auf, zu der steilen, mit mächtigen p3b_118.042
Schritten,
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/144>, abgerufen am 16.02.2025. |