Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_201.001 a. eine schlicht prosaische, die uns - wie Luthers Bibelübersetzung p3b_201.004 b. eine parodistische, welche - wie Wielands Übersetzungen - das p3b_201.008 c. eine treue, welche dem Original identisch ist und somit an seine p3b_201.012 p3b_201.015 p3b_201.020 p3b_201.026 p3b_201.001 a. eine schlicht prosaische, die uns ─ wie Luthers Bibelübersetzung p3b_201.004 b. eine parodistische, welche ─ wie Wielands Übersetzungen ─ das p3b_201.008 c. eine treue, welche dem Original identisch ist und somit an seine p3b_201.012 p3b_201.015 p3b_201.020 p3b_201.026 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0227" n="201"/> <p><lb n="p3b_201.001"/> 3. Goethe unterscheidet (in einer Note am Schlusse des westöstlichen <lb n="p3b_201.002"/> Divans [<hi rendition="#aq">IV</hi>. 323.]) dreierlei Arten von Übersetzungen:</p> <lb n="p3b_201.003"/> <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">a</hi>. eine schlicht prosaische, die uns ─ wie Luthers Bibelübersetzung <lb n="p3b_201.004"/> ─ mit dem fremden Vortrefflichen mitten in unserer nationalen <lb n="p3b_201.005"/> Häuslichkeit überrascht und ohne daß wir wissen, wie uns geschieht, <lb n="p3b_201.006"/> eine höhere Stimmung verleiht und wahrhaft erbaut;</hi> </p> <lb n="p3b_201.007"/> <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">b</hi>. eine parodistische, welche ─ wie Wielands Übersetzungen ─ das <lb n="p3b_201.008"/> Fremde sich aneignet, um es mit eigenem Sinn wieder zu geben, <lb n="p3b_201.009"/> welche also nach Art der Franzosen für jede fremde Frucht ein <lb n="p3b_201.010"/> Surrogat fordert, das auf eigenem Grund und Boden gewachsen ist;</hi> </p> <lb n="p3b_201.011"/> <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">c</hi>. eine treue, welche dem Original identisch ist und somit an seine <lb n="p3b_201.012"/> Stelle treten kann. Der Übersetzer giebt hier die Originalität seiner <lb n="p3b_201.013"/> Nation auf und bietet etwas, wozu sich der Geschmack der Menge <lb n="p3b_201.014"/> erst heranbilden muß.</hi> </p> <p><lb n="p3b_201.015"/> Goethe hielt diese Form für die höchste (letzte), weil sie sich einer Jnterlinearversion <lb n="p3b_201.016"/> nähere und das Verständnis des Originals höchlich erleichtere, an <lb n="p3b_201.017"/> den Grundtext führe und den ganzen Zirkel abschließe, in welchem sich die <lb n="p3b_201.018"/> Annäherung des Fremden und Einheimischen, des Bekannten und Unbekannten <lb n="p3b_201.019"/> bewege.</p> <p><lb n="p3b_201.020"/> Aber Goethe hat übersehen, daß die Zeit noch einer vierten Form fähig <lb n="p3b_201.021"/> sein müsse, nämlich der auf den Schultern seiner eigenen klassischen Sprachweise <lb n="p3b_201.022"/> ruhenden, mit dem Urbild möglichst identischen, dabei aber die Lesbarkeit <lb n="p3b_201.023"/> erstrebenden Form, bei welcher der Übersetzer nicht die Originalität seiner Nation <lb n="p3b_201.024"/> aufgiebt, vielmehr seine deutsche Eigenart in der Prosodie, im Ausdruck, im <lb n="p3b_201.025"/> Rhythmus und im Wohlklang mit allen Mitteln wahrt.</p> <p><lb n="p3b_201.026"/> 4. Bis zu Goethe und Herder galt bei allen Übersetzern der Grundsatz, <lb n="p3b_201.027"/> daß die Übersetzung in ihrer peinlichen Worttreue den fremden Ursprung nicht <lb n="p3b_201.028"/> verleugnen dürfe. Man erstrebte allzu pietätsvolle Abhängigkeit vom Original <lb n="p3b_201.029"/> auch in Wortstellung und Satzbildung und erzielte daher steife, gegen den <lb n="p3b_201.030"/> Sprachgenius verstoßende Übersetzungen, welche den einzigen, mitunter zweifelhaften <lb n="p3b_201.031"/> Nutzen hatten, daß sie unsere Sprache fort=, manchmal auch verbildeten. <lb n="p3b_201.032"/> Eine pedantisch genaue Wiedergabe des Wortsinns war selbst den besten philologischen <lb n="p3b_201.033"/> Übersetzern das Höchste. Darüber vernachlässigten sie gar häufig <lb n="p3b_201.034"/> Wortgeist und Sprachgeist; daher findet man in ihren Übersetzungen weder <lb n="p3b_201.035"/> die Leichtigkeit des Originals, noch jenes liebliche Gepräge, welches dem Freunde <lb n="p3b_201.036"/> deutscher Poesie Genuß bereitet. Diese Übersetzungen können nicht lesbar sein, <lb n="p3b_201.037"/> weil sie der Sprache Gewalt anthun. Selbst der handwerksmäßige Gesetzesdienst <lb n="p3b_201.038"/> Vossens hat in dieser Richtung recht oft dem Zufälligen das Wesentliche <lb n="p3b_201.039"/> geopfert, namentlich in der Übersetzung der Verwandlungen des Ovid. Mit <lb n="p3b_201.040"/> pedantischer Ängstlichkeit hat dieser große Übersetzer sein deutsches Wort dem <lb n="p3b_201.041"/> griechischen oder lateinischen angekünstelt, angeschmiegt, angeschlossen, nachgeformt, <lb n="p3b_201.042"/> dabei aber nicht selten Einfalt und Anmut geopfert, so daß man die allgemeine <lb n="p3b_201.043"/> Äußerung von Jakobs, daß eine Übersetzung immer der Rückseite einer gewirkten <lb n="p3b_201.044"/> Tapete gleiche, auf ihn anwenden möchte.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [201/0227]
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3. Goethe unterscheidet (in einer Note am Schlusse des westöstlichen p3b_201.002
Divans [IV. 323.]) dreierlei Arten von Übersetzungen:
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a. eine schlicht prosaische, die uns ─ wie Luthers Bibelübersetzung p3b_201.004
─ mit dem fremden Vortrefflichen mitten in unserer nationalen p3b_201.005
Häuslichkeit überrascht und ohne daß wir wissen, wie uns geschieht, p3b_201.006
eine höhere Stimmung verleiht und wahrhaft erbaut;
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b. eine parodistische, welche ─ wie Wielands Übersetzungen ─ das p3b_201.008
Fremde sich aneignet, um es mit eigenem Sinn wieder zu geben, p3b_201.009
welche also nach Art der Franzosen für jede fremde Frucht ein p3b_201.010
Surrogat fordert, das auf eigenem Grund und Boden gewachsen ist;
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c. eine treue, welche dem Original identisch ist und somit an seine p3b_201.012
Stelle treten kann. Der Übersetzer giebt hier die Originalität seiner p3b_201.013
Nation auf und bietet etwas, wozu sich der Geschmack der Menge p3b_201.014
erst heranbilden muß.
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Goethe hielt diese Form für die höchste (letzte), weil sie sich einer Jnterlinearversion p3b_201.016
nähere und das Verständnis des Originals höchlich erleichtere, an p3b_201.017
den Grundtext führe und den ganzen Zirkel abschließe, in welchem sich die p3b_201.018
Annäherung des Fremden und Einheimischen, des Bekannten und Unbekannten p3b_201.019
bewege.
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Aber Goethe hat übersehen, daß die Zeit noch einer vierten Form fähig p3b_201.021
sein müsse, nämlich der auf den Schultern seiner eigenen klassischen Sprachweise p3b_201.022
ruhenden, mit dem Urbild möglichst identischen, dabei aber die Lesbarkeit p3b_201.023
erstrebenden Form, bei welcher der Übersetzer nicht die Originalität seiner Nation p3b_201.024
aufgiebt, vielmehr seine deutsche Eigenart in der Prosodie, im Ausdruck, im p3b_201.025
Rhythmus und im Wohlklang mit allen Mitteln wahrt.
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4. Bis zu Goethe und Herder galt bei allen Übersetzern der Grundsatz, p3b_201.027
daß die Übersetzung in ihrer peinlichen Worttreue den fremden Ursprung nicht p3b_201.028
verleugnen dürfe. Man erstrebte allzu pietätsvolle Abhängigkeit vom Original p3b_201.029
auch in Wortstellung und Satzbildung und erzielte daher steife, gegen den p3b_201.030
Sprachgenius verstoßende Übersetzungen, welche den einzigen, mitunter zweifelhaften p3b_201.031
Nutzen hatten, daß sie unsere Sprache fort=, manchmal auch verbildeten. p3b_201.032
Eine pedantisch genaue Wiedergabe des Wortsinns war selbst den besten philologischen p3b_201.033
Übersetzern das Höchste. Darüber vernachlässigten sie gar häufig p3b_201.034
Wortgeist und Sprachgeist; daher findet man in ihren Übersetzungen weder p3b_201.035
die Leichtigkeit des Originals, noch jenes liebliche Gepräge, welches dem Freunde p3b_201.036
deutscher Poesie Genuß bereitet. Diese Übersetzungen können nicht lesbar sein, p3b_201.037
weil sie der Sprache Gewalt anthun. Selbst der handwerksmäßige Gesetzesdienst p3b_201.038
Vossens hat in dieser Richtung recht oft dem Zufälligen das Wesentliche p3b_201.039
geopfert, namentlich in der Übersetzung der Verwandlungen des Ovid. Mit p3b_201.040
pedantischer Ängstlichkeit hat dieser große Übersetzer sein deutsches Wort dem p3b_201.041
griechischen oder lateinischen angekünstelt, angeschmiegt, angeschlossen, nachgeformt, p3b_201.042
dabei aber nicht selten Einfalt und Anmut geopfert, so daß man die allgemeine p3b_201.043
Äußerung von Jakobs, daß eine Übersetzung immer der Rückseite einer gewirkten p3b_201.044
Tapete gleiche, auf ihn anwenden möchte.
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