Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_237.001 § 84. Lateinische Sprache. p3b_237.002 p3b_237.016 p3b_237.021 p3b_237.023
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<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0263" n="237"/> </div> </div> <div n="3"> <lb n="p3b_237.001"/> <head> <hi rendition="#c">§ 84. Lateinische Sprache.</hi> </head> <p><lb n="p3b_237.002"/><hi rendition="#g">Vorbemerkungen für das Übersetzen lateinischer Verse.</hi> Wer <lb n="p3b_237.003"/> Verse aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzen lernen will, bedarf genauer <lb n="p3b_237.004"/> Kenntnis der Metrik und Prosodik. Man versuche sich zunächst am Hexameter <lb n="p3b_237.005"/> und Pentameter, wobei man eine Anthologie, Chrestomathie oder <hi rendition="#aq">palaestra <lb n="p3b_237.006"/> musarum</hi> (z. B. von Gaupp oder Seyffert) wählen kann. Dort <lb n="p3b_237.007"/> sind zunächst einzelne Hexameter oder Pentameter ohne Elisionen und sonstige <lb n="p3b_237.008"/> Abweichungen geboten. Man achte besonders auf die Wortstellung, auf die <lb n="p3b_237.009"/> Abweichungen der Dichter u. a. Es ist gerade nicht notwendig, daß man verstehe, <lb n="p3b_237.010"/> eigene lateinische Verse zu bilden. Wohl aber halten wir es für unerläßlich, <lb n="p3b_237.011"/> daß man sich im Retrovertieren von Versen übe, wobei man bald <lb n="p3b_237.012"/> bemerken wird, daß es am leichtesten zum Ziele führt, wenn zuerst der Schluß <lb n="p3b_237.013"/> des Verses gewonnen wird, (wenn man also die beiden Schlußtakte zuerst <lb n="p3b_237.014"/> bildet); für das Griechische freilich ist letzteres Verfahren keine solch wesentliche <lb n="p3b_237.015"/> Erleichterung.</p> <p><lb n="p3b_237.016"/> An die Anthologie reiht sich dann Ovid und Vergil. Hat man sich auf <lb n="p3b_237.017"/> diese Art vorbereitet und jedesmal eine gute Übersetzung nachgelesen, dann <lb n="p3b_237.018"/> wage man sich an den formenreichen Horaz, der nicht weniger als 26 sapphische <lb n="p3b_237.019"/> und 37 alcäische Oden bietet. Für besonders fruchtbringend halten wir es, <lb n="p3b_237.020"/> ein und dasselbe Thema in verschiedenen Maßen zu behandeln.</p> <p><lb n="p3b_237.021"/><hi rendition="#g">Aufgabe</hi> 1. Es ist <hi rendition="#aq">Vergils Aen. II</hi>, 3─20 ins Deutsche zu <lb n="p3b_237.022"/> übertragen.</p> <p><lb n="p3b_237.023"/><hi rendition="#g">Stoff.</hi> (Nach Wagners Ausgabe.)</p> <lb n="p3b_237.024"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l>Infandum, regina, jubes renovare dolorem,</l> <lb n="p3b_237.025"/> <l>Troianas ut opes et lamentabile regnum</l> <lb n="p3b_237.026"/> <l>Eruerint Danai; quaeque ipse miserrima vidi,</l> <lb n="p3b_237.027"/> <l>Et quorum pars magna fui. Quis talia fando</l> <lb n="p3b_237.028"/> <l>Myrmidonum Dolopumve aut duri miles Ulixi</l> <lb n="p3b_237.029"/> <l>Temperet a lacrimis! et jam nox humida caelo</l> <lb n="p3b_237.030"/> <l>Praecipitat, suadentque cadentia sidera somnos.</l> <lb n="p3b_237.031"/> <l>Sed si tantus amor casus cognoscere nostros</l> <lb n="p3b_237.032"/> <l>Et breviter Troiae supremum audire laborem,</l> <lb n="p3b_237.033"/> <l>Quamquam animus meminisse horret, luctuque refugit,</l> <lb n="p3b_237.034"/> <l>Incipiam.</l> <lb n="p3b_237.035"/> <l> Fracti bello fatisque repulsi</l> <lb n="p3b_237.036"/> <l>Ductores Danaum, tot jam labentibus annis,</l> <lb n="p3b_237.037"/> <l>Instar montis equum divina Palladis arte</l> <lb n="p3b_237.038"/> <l>Aedificant, sectaque intexunt abiete costas;</l> <lb n="p3b_237.039"/> <l>Votum pro reditu simulant; ea fama vagatur.</l> <lb n="p3b_237.040"/> <l>Huc delecta virum sortiti corpora furtim</l> <lb n="p3b_237.041"/> <l> Includunt caeco lateri, penitusque cavernas</l> <lb n="p3b_237.042"/> <l> Ingentis uterumque armato milite complent.</l> </lg> </hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [237/0263]
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§ 84. Lateinische Sprache. p3b_237.002
Vorbemerkungen für das Übersetzen lateinischer Verse. Wer p3b_237.003
Verse aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzen lernen will, bedarf genauer p3b_237.004
Kenntnis der Metrik und Prosodik. Man versuche sich zunächst am Hexameter p3b_237.005
und Pentameter, wobei man eine Anthologie, Chrestomathie oder palaestra p3b_237.006
musarum (z. B. von Gaupp oder Seyffert) wählen kann. Dort p3b_237.007
sind zunächst einzelne Hexameter oder Pentameter ohne Elisionen und sonstige p3b_237.008
Abweichungen geboten. Man achte besonders auf die Wortstellung, auf die p3b_237.009
Abweichungen der Dichter u. a. Es ist gerade nicht notwendig, daß man verstehe, p3b_237.010
eigene lateinische Verse zu bilden. Wohl aber halten wir es für unerläßlich, p3b_237.011
daß man sich im Retrovertieren von Versen übe, wobei man bald p3b_237.012
bemerken wird, daß es am leichtesten zum Ziele führt, wenn zuerst der Schluß p3b_237.013
des Verses gewonnen wird, (wenn man also die beiden Schlußtakte zuerst p3b_237.014
bildet); für das Griechische freilich ist letzteres Verfahren keine solch wesentliche p3b_237.015
Erleichterung.
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An die Anthologie reiht sich dann Ovid und Vergil. Hat man sich auf p3b_237.017
diese Art vorbereitet und jedesmal eine gute Übersetzung nachgelesen, dann p3b_237.018
wage man sich an den formenreichen Horaz, der nicht weniger als 26 sapphische p3b_237.019
und 37 alcäische Oden bietet. Für besonders fruchtbringend halten wir es, p3b_237.020
ein und dasselbe Thema in verschiedenen Maßen zu behandeln.
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Aufgabe 1. Es ist Vergils Aen. II, 3─20 ins Deutsche zu p3b_237.022
übertragen.
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Stoff. (Nach Wagners Ausgabe.)
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Infandum, regina, jubes renovare dolorem, p3b_237.025
Troianas ut opes et lamentabile regnum p3b_237.026
Eruerint Danai; quaeque ipse miserrima vidi, p3b_237.027
Et quorum pars magna fui. Quis talia fando p3b_237.028
Myrmidonum Dolopumve aut duri miles Ulixi p3b_237.029
Temperet a lacrimis! et jam nox humida caelo p3b_237.030
Praecipitat, suadentque cadentia sidera somnos. p3b_237.031
Sed si tantus amor casus cognoscere nostros p3b_237.032
Et breviter Troiae supremum audire laborem, p3b_237.033
Quamquam animus meminisse horret, luctuque refugit, p3b_237.034
Incipiam. p3b_237.035
Fracti bello fatisque repulsi p3b_237.036
Ductores Danaum, tot jam labentibus annis, p3b_237.037
Instar montis equum divina Palladis arte p3b_237.038
Aedificant, sectaque intexunt abiete costas; p3b_237.039
Votum pro reditu simulant; ea fama vagatur. p3b_237.040
Huc delecta virum sortiti corpora furtim p3b_237.041
Includunt caeco lateri, penitusque cavernas p3b_237.042
Ingentis uterumque armato milite complent.
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