Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_264.001 Neuntes Hauptstück. p3b_264.002 p3b_264.003Selbstkritik und dichterische Feile. ------ § 91. Angeborenes Genie. Die Selbstkritik der namhaftesten p3b_264.004 p3b_264.024Dichter. p3b_264.005 p3b_264.010 p3b_264.015 p3b_264.019 p3b_264.021 § 92. Normen, Grundsätze, Ratschläge für Selbstkritik und p3b_264.025 Feile. p3b_264.026 p3b_264.001 Neuntes Hauptstück. p3b_264.002 p3b_264.003Selbstkritik und dichterische Feile. ────── § 91. Angeborenes Genie. Die Selbstkritik der namhaftesten p3b_264.004 p3b_264.024Dichter. p3b_264.005 p3b_264.010 p3b_264.015 p3b_264.019 p3b_264.021 § 92. Normen, Grundsätze, Ratschläge für Selbstkritik und p3b_264.025 Feile. p3b_264.026 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0290" n="E264"/> </div> </div> </div> <div n="1"> <lb n="p3b_264.001"/> <head> <hi rendition="#c">Neuntes Hauptstück. <lb n="p3b_264.002"/> <hi rendition="#g">Selbstkritik und dichterische Feile</hi>. ──────</hi> </head> <lb n="p3b_264.003"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#c">§ 91. Angeborenes Genie. Die Selbstkritik der namhaftesten <lb n="p3b_264.004"/> Dichter.</hi> </head> <p><lb n="p3b_264.005"/> 1. Man teilt in vielen Kreisen immer noch die von der sog. Jdentitätsphilosophie <lb n="p3b_264.006"/> ererbte Ansicht, daß dem dichterischen Jngenium die Verse ohne <lb n="p3b_264.007"/> weiteres in vollendeter, glatter Form mühelos entquellen, daß der Dichter sie <lb n="p3b_264.008"/> infolge höherer Jnspiration improvisatorisch ─ so zu sagen ─ aus dem Ärmel <lb n="p3b_264.009"/> schüttle u. s. w.</p> <p><lb n="p3b_264.010"/> 2. Aber wir haben schon mehrfach (z. B. <hi rendition="#aq">I</hi>. 2, 27─32 dieser Poetik, <lb n="p3b_264.011"/> sowie S. 22 der 3. Aufl. unserer „Erziehung zur Vernunft“) darauf hingewiesen, <lb n="p3b_264.012"/> daß die größten Dichter den angestrengtesten Fleiß auf ihre Schöpfungen <lb n="p3b_264.013"/> verwenden, wenn sie es auch für überflüssig finden, von ihren stillen Mühen <lb n="p3b_264.014"/> zu sprechen.</p> <p><lb n="p3b_264.015"/> 3. Wir vermögen die Behauptung zu erhärten, daß Lieder von leichten, <lb n="p3b_264.016"/> geringen Formen, oder auch scheinbar flüchtig hingeworfene größere Dichtwerke <lb n="p3b_264.017"/> der gefeiertsten Dichter aller Zeiten unendlich sorgfältig gefeilt und überarbeitet <lb n="p3b_264.018"/> wurden. (Vgl. S. 275.)</p> <p><lb n="p3b_264.019"/> 4. Jhr Beispiel möge genügen, dem Anfänger die Notwendigkeit der <lb n="p3b_264.020"/> Selbstkritik und der dichterischen Feile zu illustrieren.</p> <p><lb n="p3b_264.021"/> 5. Dasselbe möge auch das Verlangen nach festen Normen für die Selbstkritik <lb n="p3b_264.022"/> begründen, wie wir solche auf Grund gewissenhafter Vergleichung dichterischen <lb n="p3b_264.023"/> Materials im Nachstehenden lehren und praktisch nachweisen wollen.</p> </div> <lb n="p3b_264.024"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#c">§ 92. Normen, Grundsätze, Ratschläge für Selbstkritik und <lb n="p3b_264.025"/> Feile.</hi> </head> <p><lb n="p3b_264.026"/> 1. Man entwerfe und schreibe („schleudre“) das Gedicht hin, wie es <lb n="p3b_264.027"/> nach Maßgabe seiner Veranlassung kommen mag. Je geübter oder talentvoller <lb n="p3b_264.028"/> der Dichter ist, desto weniger wird er zu fürchten brauchen, daß er etwas im <lb n="p3b_264.029"/> Bau verfehle.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [E264/0290]
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Neuntes Hauptstück. p3b_264.002
Selbstkritik und dichterische Feile. ────── p3b_264.003
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Dichter. p3b_264.005
1. Man teilt in vielen Kreisen immer noch die von der sog. Jdentitätsphilosophie p3b_264.006
ererbte Ansicht, daß dem dichterischen Jngenium die Verse ohne p3b_264.007
weiteres in vollendeter, glatter Form mühelos entquellen, daß der Dichter sie p3b_264.008
infolge höherer Jnspiration improvisatorisch ─ so zu sagen ─ aus dem Ärmel p3b_264.009
schüttle u. s. w.
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2. Aber wir haben schon mehrfach (z. B. I. 2, 27─32 dieser Poetik, p3b_264.011
sowie S. 22 der 3. Aufl. unserer „Erziehung zur Vernunft“) darauf hingewiesen, p3b_264.012
daß die größten Dichter den angestrengtesten Fleiß auf ihre Schöpfungen p3b_264.013
verwenden, wenn sie es auch für überflüssig finden, von ihren stillen Mühen p3b_264.014
zu sprechen.
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3. Wir vermögen die Behauptung zu erhärten, daß Lieder von leichten, p3b_264.016
geringen Formen, oder auch scheinbar flüchtig hingeworfene größere Dichtwerke p3b_264.017
der gefeiertsten Dichter aller Zeiten unendlich sorgfältig gefeilt und überarbeitet p3b_264.018
wurden. (Vgl. S. 275.)
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4. Jhr Beispiel möge genügen, dem Anfänger die Notwendigkeit der p3b_264.020
Selbstkritik und der dichterischen Feile zu illustrieren.
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5. Dasselbe möge auch das Verlangen nach festen Normen für die Selbstkritik p3b_264.022
begründen, wie wir solche auf Grund gewissenhafter Vergleichung dichterischen p3b_264.023
Materials im Nachstehenden lehren und praktisch nachweisen wollen.
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1. Man entwerfe und schreibe („schleudre“) das Gedicht hin, wie es p3b_264.027
nach Maßgabe seiner Veranlassung kommen mag. Je geübter oder talentvoller p3b_264.028
der Dichter ist, desto weniger wird er zu fürchten brauchen, daß er etwas im p3b_264.029
Bau verfehle.
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