Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.Viertes Buch, drittes Kapitel. Willen der Zeit versteht. Und denkt ihr denn, ichhabe den alten Hut voll Geld gekriegt, um eine Bouillonkultur Seelenkrebs anzulegen? Ich habe das Amt erhalten, die Berliner in ein künstlerisches Leben hinüber zu amüsieren, nicht aber, sie mit Literatur zu mopsen. Der Zweck des Momus ist direkt, eurer ganzen Literatur den Rest von In¬ teresse zu nehmen, den sie etwa noch hat. Wir wollen die Berliner ästhetisch machen. Es giebt hier immer noch Menschen, die Bücher lesen. Das muß aufhören. In den Spitzenunterhöschen meiner kleinen Mädchen steckt mehr Lyrik, als in euren sämtlichen Werken, und wenn die Zeit erst so weit ist, daß ich ohne Unter¬ höschen tanzen lassen kann, dann werdet sogar ihr begreifen, daß es überflüssig ist, andere Verse zu machen, als solche, die bei mir gesungen werden. Umgotteswillen, begreift doch die Situation! Schöne Kleider, schöne Frisuren, schöne Arme, Brüste, Beine, Bewegungen -- darauf kommts an. Erfindet mir Tänze, dichtet Pantomimen, löst mir das Problem der Emancipation vom Tricot, -- das sind Sachen, die ich brauchen kann. Und wenn ihr schon durchaus Verse machen müßt, so vergeßt doch nicht, daß sie von schönen Mädchen gesungen werden, die nicht mit leeren Corsetts auftreten. Und seht euch Viertes Buch, drittes Kapitel. Willen der Zeit verſteht. Und denkt ihr denn, ichhabe den alten Hut voll Geld gekriegt, um eine Bouillonkultur Seelenkrebs anzulegen? Ich habe das Amt erhalten, die Berliner in ein künſtleriſches Leben hinüber zu amüſieren, nicht aber, ſie mit Literatur zu mopſen. Der Zweck des Momus iſt direkt, eurer ganzen Literatur den Reſt von In¬ tereſſe zu nehmen, den ſie etwa noch hat. Wir wollen die Berliner äſthetiſch machen. Es giebt hier immer noch Menſchen, die Bücher leſen. Das muß aufhören. In den Spitzenunterhöschen meiner kleinen Mädchen ſteckt mehr Lyrik, als in euren ſämtlichen Werken, und wenn die Zeit erſt ſo weit iſt, daß ich ohne Unter¬ höschen tanzen laſſen kann, dann werdet ſogar ihr begreifen, daß es überflüſſig iſt, andere Verſe zu machen, als ſolche, die bei mir geſungen werden. Umgotteswillen, begreift doch die Situation! Schöne Kleider, ſchöne Friſuren, ſchöne Arme, Brüſte, Beine, Bewegungen — darauf kommts an. Erfindet mir Tänze, dichtet Pantomimen, löſt mir das Problem der Emancipation vom Tricot, — das ſind Sachen, die ich brauchen kann. Und wenn ihr ſchon durchaus Verſe machen müßt, ſo vergeßt doch nicht, daß ſie von ſchönen Mädchen geſungen werden, die nicht mit leeren Corſetts auftreten. Und ſeht euch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0391" n="377"/><fw place="top" type="header">Viertes Buch, drittes Kapitel.<lb/></fw> Willen der Zeit verſteht. Und denkt ihr denn, ich<lb/> habe den alten Hut voll Geld gekriegt, um eine<lb/> Bouillonkultur Seelenkrebs anzulegen? Ich habe<lb/> das Amt erhalten, die Berliner in ein künſtleriſches<lb/> Leben hinüber zu amüſieren, nicht aber, ſie mit<lb/> Literatur zu mopſen. Der Zweck des Momus iſt<lb/> direkt, eurer ganzen Literatur den Reſt von In¬<lb/> tereſſe zu nehmen, den ſie etwa noch hat. Wir wollen<lb/> die Berliner äſthetiſch machen. Es giebt hier immer<lb/> noch Menſchen, die Bücher leſen. Das muß aufhören.<lb/> In den Spitzenunterhöschen meiner kleinen Mädchen<lb/> ſteckt mehr Lyrik, als in euren ſämtlichen Werken, und<lb/> wenn die Zeit erſt ſo weit iſt, daß ich ohne Unter¬<lb/> höschen tanzen laſſen kann, dann werdet ſogar ihr<lb/> begreifen, daß es überflüſſig iſt, andere Verſe zu<lb/> machen, als ſolche, die bei mir geſungen werden.<lb/> Umgotteswillen, begreift doch die Situation! Schöne<lb/> Kleider, ſchöne Friſuren, ſchöne Arme, Brüſte, Beine,<lb/> Bewegungen — darauf kommts an. Erfindet mir<lb/> Tänze, dichtet Pantomimen, löſt mir das Problem<lb/> der Emancipation vom Tricot, — das ſind Sachen,<lb/> die ich brauchen kann. Und wenn ihr ſchon<lb/> durchaus Verſe machen müßt, ſo vergeßt doch nicht,<lb/> daß ſie von ſchönen Mädchen geſungen werden, die<lb/> nicht mit leeren Corſetts auftreten. Und ſeht euch<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [377/0391]
Viertes Buch, drittes Kapitel.
Willen der Zeit verſteht. Und denkt ihr denn, ich
habe den alten Hut voll Geld gekriegt, um eine
Bouillonkultur Seelenkrebs anzulegen? Ich habe
das Amt erhalten, die Berliner in ein künſtleriſches
Leben hinüber zu amüſieren, nicht aber, ſie mit
Literatur zu mopſen. Der Zweck des Momus iſt
direkt, eurer ganzen Literatur den Reſt von In¬
tereſſe zu nehmen, den ſie etwa noch hat. Wir wollen
die Berliner äſthetiſch machen. Es giebt hier immer
noch Menſchen, die Bücher leſen. Das muß aufhören.
In den Spitzenunterhöschen meiner kleinen Mädchen
ſteckt mehr Lyrik, als in euren ſämtlichen Werken, und
wenn die Zeit erſt ſo weit iſt, daß ich ohne Unter¬
höschen tanzen laſſen kann, dann werdet ſogar ihr
begreifen, daß es überflüſſig iſt, andere Verſe zu
machen, als ſolche, die bei mir geſungen werden.
Umgotteswillen, begreift doch die Situation! Schöne
Kleider, ſchöne Friſuren, ſchöne Arme, Brüſte, Beine,
Bewegungen — darauf kommts an. Erfindet mir
Tänze, dichtet Pantomimen, löſt mir das Problem
der Emancipation vom Tricot, — das ſind Sachen,
die ich brauchen kann. Und wenn ihr ſchon
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daß ſie von ſchönen Mädchen geſungen werden, die
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