dern ihn nur frei von den Zuthaten zur Anschauung bringen, welche seinem Wesen nicht nothwendig eigen sind. Zu solchen rechne ich ferner die ungerechten Kriege und Eroberungen. Diese sind kein eigenthümliches Attribut der Familie Bonaparte oder des nach ihr benannten Regirungssystems. Legitime Erben alter Throne können das auch. Ludwig XIV. hat nach seinen Kräften nicht weniger heidnisch in Deutschland gewirthschaftet als Napoleon, und wenn letztrer mit seinen Anlagen und Neigungen als Sohn Ludwigs XVI. geboren wäre, so hätte er uns vermuthlich auch das Leben sauer genug gemacht.
Der Trieb zum Erobern ist England, Nordamerika, Rußland und andern nicht minder eigen als dem Napoleonischen Frankreich, und sobald Macht und Gelegenheit dazu sich finden, ist es auch bei der legitimsten Monarchie schwerlich die Bescheidenheit oder die Gerechtigkeitsliebe, welche ihm Schranken setzt. Bei Napoleon III. scheint er als Instinct nicht zu dominiren; derselbe ist kein Feld¬ herr, und im großen Kriege, mit großen Erfolgen oder Gefahren könnte es kaum fehlen, daß die Blicke der französischen Armee, der Trägerin seiner Herrschaft, sich mehr auf einen glücklichen General als auf den Kaiser richteten. Er wird daher den Krieg nur dann suchen, wenn er sich durch innre Gefahren dazu genöthigt glaubt. Eine solche Nöthigung würde aber für den legitimen König von Frankreich, wenn er jetzt zur Regirung käme, von Hause aus vor¬ handen sein.
Weder die Erinnerung an die Eroberungssucht des Onkels, noch die Thatsache des ungerechten Ursprungs seiner Macht be¬ rechtigt mich also, den gegenwärtigen Kaiser der Franzosen als den ausschließlichen Repräsentanten der Revolution, als vorzugsweises Object des Kampfes gegen dieselbe zu betrachten. Den zweiten Makel theilt er mit vielen bestehenden Gewalten, und des erstern ist er bisher nicht verdächtiger als Andre. Sie, verehrtester Freund, werfen ihm vor, daß er sich nicht halten könne, wenn nicht ringsum alles so sei, wie bei ihm; wenn ich das für richtig erkännte, so
Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich.
dern ihn nur frei von den Zuthaten zur Anſchauung bringen, welche ſeinem Weſen nicht nothwendig eigen ſind. Zu ſolchen rechne ich ferner die ungerechten Kriege und Eroberungen. Dieſe ſind kein eigenthümliches Attribut der Familie Bonaparte oder des nach ihr benannten Regirungsſyſtems. Legitime Erben alter Throne können das auch. Ludwig XIV. hat nach ſeinen Kräften nicht weniger heidniſch in Deutſchland gewirthſchaftet als Napoleon, und wenn letztrer mit ſeinen Anlagen und Neigungen als Sohn Ludwigs XVI. geboren wäre, ſo hätte er uns vermuthlich auch das Leben ſauer genug gemacht.
Der Trieb zum Erobern iſt England, Nordamerika, Rußland und andern nicht minder eigen als dem Napoleoniſchen Frankreich, und ſobald Macht und Gelegenheit dazu ſich finden, iſt es auch bei der legitimſten Monarchie ſchwerlich die Beſcheidenheit oder die Gerechtigkeitsliebe, welche ihm Schranken ſetzt. Bei Napoleon III. ſcheint er als Inſtinct nicht zu dominiren; derſelbe iſt kein Feld¬ herr, und im großen Kriege, mit großen Erfolgen oder Gefahren könnte es kaum fehlen, daß die Blicke der franzöſiſchen Armee, der Trägerin ſeiner Herrſchaft, ſich mehr auf einen glücklichen General als auf den Kaiſer richteten. Er wird daher den Krieg nur dann ſuchen, wenn er ſich durch innre Gefahren dazu genöthigt glaubt. Eine ſolche Nöthigung würde aber für den legitimen König von Frankreich, wenn er jetzt zur Regirung käme, von Hauſe aus vor¬ handen ſein.
Weder die Erinnerung an die Eroberungsſucht des Onkels, noch die Thatſache des ungerechten Urſprungs ſeiner Macht be¬ rechtigt mich alſo, den gegenwärtigen Kaiſer der Franzoſen als den ausſchließlichen Repräſentanten der Revolution, als vorzugsweiſes Object des Kampfes gegen dieſelbe zu betrachten. Den zweiten Makel theilt er mit vielen beſtehenden Gewalten, und des erſtern iſt er bisher nicht verdächtiger als Andre. Sie, verehrteſter Freund, werfen ihm vor, daß er ſich nicht halten könne, wenn nicht ringsum alles ſo ſei, wie bei ihm; wenn ich das für richtig erkännte, ſo
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Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich.
dern ihn nur frei von den Zuthaten zur Anſchauung bringen, welche
ſeinem Weſen nicht nothwendig eigen ſind. Zu ſolchen rechne ich
ferner die ungerechten Kriege und Eroberungen. Dieſe ſind kein
eigenthümliches Attribut der Familie Bonaparte oder des nach ihr
benannten Regirungsſyſtems. Legitime Erben alter Throne können
das auch. Ludwig XIV. hat nach ſeinen Kräften nicht weniger
heidniſch in Deutſchland gewirthſchaftet als Napoleon, und wenn
letztrer mit ſeinen Anlagen und Neigungen als Sohn Ludwigs XVI.
geboren wäre, ſo hätte er uns vermuthlich auch das Leben ſauer
genug gemacht.
Der Trieb zum Erobern iſt England, Nordamerika, Rußland
und andern nicht minder eigen als dem Napoleoniſchen Frankreich,
und ſobald Macht und Gelegenheit dazu ſich finden, iſt es auch
bei der legitimſten Monarchie ſchwerlich die Beſcheidenheit oder die
Gerechtigkeitsliebe, welche ihm Schranken ſetzt. Bei Napoleon III.
ſcheint er als Inſtinct nicht zu dominiren; derſelbe iſt kein Feld¬
herr, und im großen Kriege, mit großen Erfolgen oder Gefahren
könnte es kaum fehlen, daß die Blicke der franzöſiſchen Armee, der
Trägerin ſeiner Herrſchaft, ſich mehr auf einen glücklichen General
als auf den Kaiſer richteten. Er wird daher den Krieg nur dann
ſuchen, wenn er ſich durch innre Gefahren dazu genöthigt glaubt.
Eine ſolche Nöthigung würde aber für den legitimen König von
Frankreich, wenn er jetzt zur Regirung käme, von Hauſe aus vor¬
handen ſein.
Weder die Erinnerung an die Eroberungsſucht des Onkels,
noch die Thatſache des ungerechten Urſprungs ſeiner Macht be¬
rechtigt mich alſo, den gegenwärtigen Kaiſer der Franzoſen als den
ausſchließlichen Repräſentanten der Revolution, als vorzugsweiſes
Object des Kampfes gegen dieſelbe zu betrachten. Den zweiten
Makel theilt er mit vielen beſtehenden Gewalten, und des erſtern
iſt er bisher nicht verdächtiger als Andre. Sie, verehrteſter Freund,
werfen ihm vor, daß er ſich nicht halten könne, wenn nicht ringsum
alles ſo ſei, wie bei ihm; wenn ich das für richtig erkännte, ſo
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/206>, abgerufen am 16.02.2025.
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