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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Briefwechsel mit Roon über den Eintritt ins Ministerium.
los'. Dann sind alle Centralen und Halben zum Unterhandeln
geneigt.

Das Alles beruht mehr auf instinctivem Gefühl, als daß ich
beweisen könnte, es sei so; und ich gehe nicht so weit, zu irgend
etwas, das mir der König befiehlt, deshalb auf eigne Faust nein
zu sagen. Wenn ich aber um meine Ansicht gefragt werde, so bin
ich dafür, noch einige Monat hinter dem Busch gehalten zu werden.

Vielleicht ist dieß Alles Rechnung ohne den Wirth, vielleicht
entschließt sich Se. Majestät niemals dazu, mich zu ernennen, denn
ich sehe nicht ein, warum es überhaupt geschehn sollte, nachdem es
seit 6 Wochen nicht geschehn ist. Daß ich aber hier den heißen
Staub von Paris schlucken, in Cafes und Theatern gähnen, oder
mich in Berlin wieder als politischer Dilettant in's Hotel Royal ein¬
lagern soll, dazu fehlt aller Grund, die Zeit ist besser im Bade zu
verwenden.

Ich bin doch erstaunt von der politischen Unfähigkeit unsrer
Kammern, und wir sind doch ein sehr gebildetes Land; ohne Zweifel
zu sehr; die Andern sind bestimmt auch nicht klüger, als die Blüthe
unsrer Klassenwahlen, aber sie haben nicht dieß kindliche Selbst¬
vertrauen, mit dem die Unsrigen ihre unfähigen Schamtheile in voller
Nacktheit als mustergültig an die Oeffentlichkeit bringen. Wie sind
wir Deutschen doch in den Ruf schüchterner Bescheidenheit gekommen?
Es ist Keiner unter uns, der nicht vom Kriegführen bis zum Hunde¬
flöhen alles besser verstände, als sämmtliche gelernte Fachmänner,
während es doch in andern Ländern Viele giebt, die einräumen, von
manchen Dingen weniger zu verstehn als Andre, und deshalb sich
bescheiden und schweigen.

Den 16. Ich muß heut schleunig schließen, nachdem meine
Zeit von andern Geschäften fortgenommen ist.

Mit herzlichen Empfehlungen an die Ihrigen bin ich in alter
Treue
Ihr
v. B."

Briefwechſel mit Roon über den Eintritt ins Miniſterium.
los‘. Dann ſind alle Centralen und Halben zum Unterhandeln
geneigt.

Das Alles beruht mehr auf inſtinctivem Gefühl, als daß ich
beweiſen könnte, es ſei ſo; und ich gehe nicht ſo weit, zu irgend
etwas, das mir der König befiehlt, deshalb auf eigne Fauſt nein
zu ſagen. Wenn ich aber um meine Anſicht gefragt werde, ſo bin
ich dafür, noch einige Monat hinter dem Buſch gehalten zu werden.

Vielleicht iſt dieß Alles Rechnung ohne den Wirth, vielleicht
entſchließt ſich Se. Majeſtät niemals dazu, mich zu ernennen, denn
ich ſehe nicht ein, warum es überhaupt geſchehn ſollte, nachdem es
ſeit 6 Wochen nicht geſchehn iſt. Daß ich aber hier den heißen
Staub von Paris ſchlucken, in Cafés und Theatern gähnen, oder
mich in Berlin wieder als politiſcher Dilettant in's Hôtel Royal ein¬
lagern ſoll, dazu fehlt aller Grund, die Zeit iſt beſſer im Bade zu
verwenden.

Ich bin doch erſtaunt von der politiſchen Unfähigkeit unſrer
Kammern, und wir ſind doch ein ſehr gebildetes Land; ohne Zweifel
zu ſehr; die Andern ſind beſtimmt auch nicht klüger, als die Blüthe
unſrer Klaſſenwahlen, aber ſie haben nicht dieß kindliche Selbſt¬
vertrauen, mit dem die Unſrigen ihre unfähigen Schamtheile in voller
Nacktheit als muſtergültig an die Oeffentlichkeit bringen. Wie ſind
wir Deutſchen doch in den Ruf ſchüchterner Beſcheidenheit gekommen?
Es iſt Keiner unter uns, der nicht vom Kriegführen bis zum Hunde¬
flöhen alles beſſer verſtände, als ſämmtliche gelernte Fachmänner,
während es doch in andern Ländern Viele giebt, die einräumen, von
manchen Dingen weniger zu verſtehn als Andre, und deshalb ſich
beſcheiden und ſchweigen.

Den 16. Ich muß heut ſchleunig ſchließen, nachdem meine
Zeit von andern Geſchäften fortgenommen iſt.

Mit herzlichen Empfehlungen an die Ihrigen bin ich in alter
Treue
Ihr
v. B.“

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[261/0288] Briefwechſel mit Roon über den Eintritt ins Miniſterium. los‘. Dann ſind alle Centralen und Halben zum Unterhandeln geneigt. Das Alles beruht mehr auf inſtinctivem Gefühl, als daß ich beweiſen könnte, es ſei ſo; und ich gehe nicht ſo weit, zu irgend etwas, das mir der König befiehlt, deshalb auf eigne Fauſt nein zu ſagen. Wenn ich aber um meine Anſicht gefragt werde, ſo bin ich dafür, noch einige Monat hinter dem Buſch gehalten zu werden. Vielleicht iſt dieß Alles Rechnung ohne den Wirth, vielleicht entſchließt ſich Se. Majeſtät niemals dazu, mich zu ernennen, denn ich ſehe nicht ein, warum es überhaupt geſchehn ſollte, nachdem es ſeit 6 Wochen nicht geſchehn iſt. Daß ich aber hier den heißen Staub von Paris ſchlucken, in Cafés und Theatern gähnen, oder mich in Berlin wieder als politiſcher Dilettant in's Hôtel Royal ein¬ lagern ſoll, dazu fehlt aller Grund, die Zeit iſt beſſer im Bade zu verwenden. Ich bin doch erſtaunt von der politiſchen Unfähigkeit unſrer Kammern, und wir ſind doch ein ſehr gebildetes Land; ohne Zweifel zu ſehr; die Andern ſind beſtimmt auch nicht klüger, als die Blüthe unſrer Klaſſenwahlen, aber ſie haben nicht dieß kindliche Selbſt¬ vertrauen, mit dem die Unſrigen ihre unfähigen Schamtheile in voller Nacktheit als muſtergültig an die Oeffentlichkeit bringen. Wie ſind wir Deutſchen doch in den Ruf ſchüchterner Beſcheidenheit gekommen? Es iſt Keiner unter uns, der nicht vom Kriegführen bis zum Hunde¬ flöhen alles beſſer verſtände, als ſämmtliche gelernte Fachmänner, während es doch in andern Ländern Viele giebt, die einräumen, von manchen Dingen weniger zu verſtehn als Andre, und deshalb ſich beſcheiden und ſchweigen. Den 16. Ich muß heut ſchleunig ſchließen, nachdem meine Zeit von andern Geſchäften fortgenommen iſt. Mit herzlichen Empfehlungen an die Ihrigen bin ich in alter Treue Ihr v. B.“

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/288>, abgerufen am 22.11.2024.