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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Wirkung des Einvernehmens mit Oestreich. Unterredung mit Karolyi.
bündet waren, so fand die englische Politik nicht ihres Dienstes,
ihnen etwa im Bunde mit einer von den ihr gefährlichen Mächten,
Frankreich und Rußland, feindlich gegenüberzutreten. Sobald aber
die preußisch-östreichische Freundschaft gesprengt worden wäre, würde
auch damals das Eingreifen des europäischen Seniorenconvents in
der dänischen Frage unter englischer Führung erfolgt sein. Es
war deshalb, wenn unsre Politik nicht wiederum entgleisen sollte,
von höchster Wichtigkeit, das Einverständniß mit Wien festzuhalten;
in ihm lag unsre Deckung gegen englisch-europäisches Eingreifen.

Ich hatte am 4. December 1862 gegenüber dem Grafen Karolyi,
mit dem ich auf vertrautem Fuße stand, mit offnen Karten gespielt.
Ich sagte ihm:

"Unsre Beziehungen müssen entweder besser oder schlechter
werden, als sie sind. Ich bin bereit zu einem gemeinschaftlichen
Versuche, sie besser zu machen. Mißlingt derselbe durch Ihre
Weigerung, so rechnen Sie nicht darauf, daß wir uns durch bundes¬
freundliche Redensarten werden fesseln lassen. Sie werden mit uns
als europäische Großmacht zu thun bekommen; die Paragraphen
der Wiener Schlußacte haben nicht die Kraft, die Entwicklung
der deutschen Geschichte zu hemmen"1).

Graf Karolyi, ein ehrlicher und unabhängiger Charakter, hat
ohne Zweifel genau berichtet, was wir unter vier Augen vertraulich
besprochen haben. In Wien aber hatte man seit der Olmützer
und Dresdner Zeit und der Präpotenz Schwarzenbergs eine irrige
Ansicht gewonnen; man hatte sich gewöhnt, uns für schwächer und
namentlich für furchtsamer zu halten, als wir zu sein brauchen,
und das Gewicht fürstlicher Verwandschaft und Liebe in Fragen
internationaler Politik für die Dauer zu hoch in Ansatz gebracht.
Die ältern militärischen Vermuthungen sprachen allerdings dafür,

1) Vgl. die Depesche vom 24. Januar 1863, in der Bismarck über den
Inhalt seiner Unterredungen mit Karolyi vom 4. und 13. Dec. 1862 Rechen¬
schaft giebt, Staatsarchiv VIII S. 55 ff. Nr. 1751.

Wirkung des Einvernehmens mit Oeſtreich. Unterredung mit Karolyi.
bündet waren, ſo fand die engliſche Politik nicht ihres Dienſtes,
ihnen etwa im Bunde mit einer von den ihr gefährlichen Mächten,
Frankreich und Rußland, feindlich gegenüberzutreten. Sobald aber
die preußiſch-öſtreichiſche Freundſchaft geſprengt worden wäre, würde
auch damals das Eingreifen des europäiſchen Seniorenconvents in
der däniſchen Frage unter engliſcher Führung erfolgt ſein. Es
war deshalb, wenn unſre Politik nicht wiederum entgleiſen ſollte,
von höchſter Wichtigkeit, das Einverſtändniß mit Wien feſtzuhalten;
in ihm lag unſre Deckung gegen engliſch-europäiſches Eingreifen.

Ich hatte am 4. December 1862 gegenüber dem Grafen Karolyi,
mit dem ich auf vertrautem Fuße ſtand, mit offnen Karten geſpielt.
Ich ſagte ihm:

„Unſre Beziehungen müſſen entweder beſſer oder ſchlechter
werden, als ſie ſind. Ich bin bereit zu einem gemeinſchaftlichen
Verſuche, ſie beſſer zu machen. Mißlingt derſelbe durch Ihre
Weigerung, ſo rechnen Sie nicht darauf, daß wir uns durch bundes¬
freundliche Redensarten werden feſſeln laſſen. Sie werden mit uns
als europäiſche Großmacht zu thun bekommen; die Paragraphen
der Wiener Schlußacte haben nicht die Kraft, die Entwicklung
der deutſchen Geſchichte zu hemmen“1).

Graf Karolyi, ein ehrlicher und unabhängiger Charakter, hat
ohne Zweifel genau berichtet, was wir unter vier Augen vertraulich
beſprochen haben. In Wien aber hatte man ſeit der Olmützer
und Dresdner Zeit und der Präpotenz Schwarzenbergs eine irrige
Anſicht gewonnen; man hatte ſich gewöhnt, uns für ſchwächer und
namentlich für furchtſamer zu halten, als wir zu ſein brauchen,
und das Gewicht fürſtlicher Verwandſchaft und Liebe in Fragen
internationaler Politik für die Dauer zu hoch in Anſatz gebracht.
Die ältern militäriſchen Vermuthungen ſprachen allerdings dafür,

1) Vgl. die Depeſche vom 24. Januar 1863, in der Bismarck über den
Inhalt ſeiner Unterredungen mit Karolyi vom 4. und 13. Dec. 1862 Rechen¬
ſchaft giebt, Staatsarchiv VIII S. 55 ff. Nr. 1751.
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[335/0362] Wirkung des Einvernehmens mit Oeſtreich. Unterredung mit Karolyi. bündet waren, ſo fand die engliſche Politik nicht ihres Dienſtes, ihnen etwa im Bunde mit einer von den ihr gefährlichen Mächten, Frankreich und Rußland, feindlich gegenüberzutreten. Sobald aber die preußiſch-öſtreichiſche Freundſchaft geſprengt worden wäre, würde auch damals das Eingreifen des europäiſchen Seniorenconvents in der däniſchen Frage unter engliſcher Führung erfolgt ſein. Es war deshalb, wenn unſre Politik nicht wiederum entgleiſen ſollte, von höchſter Wichtigkeit, das Einverſtändniß mit Wien feſtzuhalten; in ihm lag unſre Deckung gegen engliſch-europäiſches Eingreifen. Ich hatte am 4. December 1862 gegenüber dem Grafen Karolyi, mit dem ich auf vertrautem Fuße ſtand, mit offnen Karten geſpielt. Ich ſagte ihm: „Unſre Beziehungen müſſen entweder beſſer oder ſchlechter werden, als ſie ſind. Ich bin bereit zu einem gemeinſchaftlichen Verſuche, ſie beſſer zu machen. Mißlingt derſelbe durch Ihre Weigerung, ſo rechnen Sie nicht darauf, daß wir uns durch bundes¬ freundliche Redensarten werden feſſeln laſſen. Sie werden mit uns als europäiſche Großmacht zu thun bekommen; die Paragraphen der Wiener Schlußacte haben nicht die Kraft, die Entwicklung der deutſchen Geſchichte zu hemmen“ 1). Graf Karolyi, ein ehrlicher und unabhängiger Charakter, hat ohne Zweifel genau berichtet, was wir unter vier Augen vertraulich beſprochen haben. In Wien aber hatte man ſeit der Olmützer und Dresdner Zeit und der Präpotenz Schwarzenbergs eine irrige Anſicht gewonnen; man hatte ſich gewöhnt, uns für ſchwächer und namentlich für furchtſamer zu halten, als wir zu ſein brauchen, und das Gewicht fürſtlicher Verwandſchaft und Liebe in Fragen internationaler Politik für die Dauer zu hoch in Anſatz gebracht. Die ältern militäriſchen Vermuthungen ſprachen allerdings dafür, 1) Vgl. die Depeſche vom 24. Januar 1863, in der Bismarck über den Inhalt ſeiner Unterredungen mit Karolyi vom 4. und 13. Dec. 1862 Rechen¬ ſchaft giebt, Staatsarchiv VIII S. 55 ff. Nr. 1751.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/362>, abgerufen am 26.11.2024.