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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.
er an das Gefolge eines altgermanischen Fürsten, das freiwillig
mit ihm stirbt.

Neben Gerlach und vielleicht in höherem Grade war Rauch
seit 1848 von Einfluß auf den König. Sehr begabt, der fleisch¬
gewordene gesunde Menschenverstand, tapfer und ehrlich, ohne
Schulbildung, mit den Tendenzen eines preußischen Generals von
der besten Sorte, war er wiederholt als Militärbevollmächtigter in
Petersburg in der Diplomatie thätig gewesen. Einmal war Rauch
von Berlin in Sanssouci erschienen mit dem mündlichen Auftrage
des Ministerpräsidenten Grafen Brandenburg, von dem Könige die
Entscheidung über eine Frage von Wichtigkeit zu erbitten. Als der
König, dem die Entscheidung schwer wurde, nicht zum Entschluß
kommen konnte, zog endlich Rauch die Uhr aus der Tasche und
sagte mit einem Blick auf das Zifferblatt: "Jetzt sind noch zwanzig
Minuten, bis mein Zug abgeht; da werden Ew. Majestät doch nun
befehlen müssen, ob ich dem Grafen Brandenburg Ja sagen soll
oder Nee, oder ob ich ihm melden soll, daß Ew. Majestät nich Ja
und nich Nee sagen wollen." Diese Aeußerung kam heraus in
dem Tone der Gereiztheit, gedämpft durch die militärische Disciplin,
als Ausdruck der Verstimmung, die bei dem klaren, entschiedenen
und durch die lange fruchtlose Discussion ermüdeten General erklär¬
lich war. Der König sagte: "Na, denn meinetwegen Ja", worauf
Rauch sich sofort entfernte, um in beschleunigter Gangart durch die
Stadt zum Bahnhof zu fahren. Nachdem der König eine Weile
schweigend dagestanden hatte, wie wenn er die Folgen der wider¬
willig getroffenen Entscheidung noch erwöge, wandte er sich gegen
Gerlach und mich und sagte: "Dieser Rauch! Er kann nicht richtig
Deutsch sprechen, aber er hat mehr gesunden Menschenverstand als
wir Alle," und darauf gegen Gerlach gewandt und das Zimmer
verlassend: "Klüger wie Sie ist er immer schon gewesen." Ob der
König darin Recht hatte, lasse ich dahingestellt; geistreicher war
Gerlach, praktischer Rauch.

Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.
er an das Gefolge eines altgermaniſchen Fürſten, das freiwillig
mit ihm ſtirbt.

Neben Gerlach und vielleicht in höherem Grade war Rauch
ſeit 1848 von Einfluß auf den König. Sehr begabt, der fleiſch¬
gewordene geſunde Menſchenverſtand, tapfer und ehrlich, ohne
Schulbildung, mit den Tendenzen eines preußiſchen Generals von
der beſten Sorte, war er wiederholt als Militärbevollmächtigter in
Petersburg in der Diplomatie thätig geweſen. Einmal war Rauch
von Berlin in Sansſouci erſchienen mit dem mündlichen Auftrage
des Miniſterpräſidenten Grafen Brandenburg, von dem Könige die
Entſcheidung über eine Frage von Wichtigkeit zu erbitten. Als der
König, dem die Entſcheidung ſchwer wurde, nicht zum Entſchluß
kommen konnte, zog endlich Rauch die Uhr aus der Taſche und
ſagte mit einem Blick auf das Zifferblatt: „Jetzt ſind noch zwanzig
Minuten, bis mein Zug abgeht; da werden Ew. Majeſtät doch nun
befehlen müſſen, ob ich dem Grafen Brandenburg Ja ſagen ſoll
oder Nee, oder ob ich ihm melden ſoll, daß Ew. Majeſtät nich Ja
und nich Nee ſagen wollen.“ Dieſe Aeußerung kam heraus in
dem Tone der Gereiztheit, gedämpft durch die militäriſche Diſciplin,
als Ausdruck der Verſtimmung, die bei dem klaren, entſchiedenen
und durch die lange fruchtloſe Diſcuſſion ermüdeten General erklär¬
lich war. Der König ſagte: „Na, denn meinetwegen Ja“, worauf
Rauch ſich ſofort entfernte, um in beſchleunigter Gangart durch die
Stadt zum Bahnhof zu fahren. Nachdem der König eine Weile
ſchweigend dageſtanden hatte, wie wenn er die Folgen der wider¬
willig getroffenen Entſcheidung noch erwöge, wandte er ſich gegen
Gerlach und mich und ſagte: „Dieſer Rauch! Er kann nicht richtig
Deutſch ſprechen, aber er hat mehr geſunden Menſchenverſtand als
wir Alle,“ und darauf gegen Gerlach gewandt und das Zimmer
verlaſſend: „Klüger wie Sie iſt er immer ſchon geweſen.“ Ob der
König darin Recht hatte, laſſe ich dahingeſtellt; geiſtreicher war
Gerlach, praktiſcher Rauch.

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[48/0075] Zweites Kapitel: Das Jahr 1848. er an das Gefolge eines altgermaniſchen Fürſten, das freiwillig mit ihm ſtirbt. Neben Gerlach und vielleicht in höherem Grade war Rauch ſeit 1848 von Einfluß auf den König. Sehr begabt, der fleiſch¬ gewordene geſunde Menſchenverſtand, tapfer und ehrlich, ohne Schulbildung, mit den Tendenzen eines preußiſchen Generals von der beſten Sorte, war er wiederholt als Militärbevollmächtigter in Petersburg in der Diplomatie thätig geweſen. Einmal war Rauch von Berlin in Sansſouci erſchienen mit dem mündlichen Auftrage des Miniſterpräſidenten Grafen Brandenburg, von dem Könige die Entſcheidung über eine Frage von Wichtigkeit zu erbitten. Als der König, dem die Entſcheidung ſchwer wurde, nicht zum Entſchluß kommen konnte, zog endlich Rauch die Uhr aus der Taſche und ſagte mit einem Blick auf das Zifferblatt: „Jetzt ſind noch zwanzig Minuten, bis mein Zug abgeht; da werden Ew. Majeſtät doch nun befehlen müſſen, ob ich dem Grafen Brandenburg Ja ſagen ſoll oder Nee, oder ob ich ihm melden ſoll, daß Ew. Majeſtät nich Ja und nich Nee ſagen wollen.“ Dieſe Aeußerung kam heraus in dem Tone der Gereiztheit, gedämpft durch die militäriſche Diſciplin, als Ausdruck der Verſtimmung, die bei dem klaren, entſchiedenen und durch die lange fruchtloſe Diſcuſſion ermüdeten General erklär¬ lich war. Der König ſagte: „Na, denn meinetwegen Ja“, worauf Rauch ſich ſofort entfernte, um in beſchleunigter Gangart durch die Stadt zum Bahnhof zu fahren. Nachdem der König eine Weile ſchweigend dageſtanden hatte, wie wenn er die Folgen der wider¬ willig getroffenen Entſcheidung noch erwöge, wandte er ſich gegen Gerlach und mich und ſagte: „Dieſer Rauch! Er kann nicht richtig Deutſch ſprechen, aber er hat mehr geſunden Menſchenverſtand als wir Alle,“ und darauf gegen Gerlach gewandt und das Zimmer verlaſſend: „Klüger wie Sie iſt er immer ſchon geweſen.“ Ob der König darin Recht hatte, laſſe ich dahingeſtellt; geiſtreicher war Gerlach, praktiſcher Rauch.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/75>, abgerufen am 26.11.2024.