Die Camarilla. Auf der Suche nach einem Ministerium.
IV.
Die Entwicklung der Dinge bot keine Gelegenheit, die Berliner Versammlung für die deutsche Sache nutzbar zu machen, während ihre Uebergriffe wuchsen; es reifte daher der Gedanke, sie nach einem andern Orte zu verlegen, um ihre Mitglieder dem Drucke der Einschüchterung zu entziehn, eventuell sie aufzulösen. Damit steigerte sich die Schwierigkeit, ein Ministerium zu Stande zu bringen, welches diese Maßregel durchzuführen übernehmen würde. Schon seit der Eröffnung der Versammlung war es dem Könige nicht leicht geworden, überhaupt Minister zu finden, besonders aber solche, welche auf seine sich nicht immer gleichbleibenden Ansichten gefügig eingingen, und deren furchtlose Festigkeit zugleich die Bürgschaft gewährte, daß sie bei einer entscheidenden Wendung nicht versagen würden. Es sind mir aus dem Frühjahre mehre verfehlte Ver¬ suche erinnerlich: Georg von Vincke antwortete auf meine Sondirung, er sei ein Mann der rothen Erde, zu Kritik und Opposition und nicht zu einer Ministerrolle veranlagt. Beckerath wollte die Bildung eines Ministeriums nur übernehmen, wenn die äußerste Rechte sich ihm unbedingt hingebe und ihm den König sicher mache. Männer, welche in der Nationalversammlung Einfluß hatten, wollten sich die Aussicht nicht verderben, künftig, nach Herstellung geordneter Zustände, constitutionelle Majoritätsminister zu werden und zu bleiben. Ich begegnete unter anderm bei Harkort, der als Handels¬ minister in das Auge gefaßt war, der Meinung, daß die Herstellung der Ordnung durch ein Fachministerium von Beamten und Militärs bewirkt werden müsse, ehe verfassungstreue Minister die Geschäfte übernehmen könnten; später sei man bereit.
Die Abneigung, Minister zu werden, wurde verstärkt durch die Vorstellung, daß persönliche Gefahr damit verbunden sein könne, wie das Vorkommen körperlicher Mißhandlung conservativer Ab¬ geordneter auf der Straße schon gezeigt habe. Nach den Ge¬ wöhnungen, welche die Straßenbevölkerung angenommen habe, und
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 4
Die Camarilla. Auf der Suche nach einem Miniſterium.
IV.
Die Entwicklung der Dinge bot keine Gelegenheit, die Berliner Verſammlung für die deutſche Sache nutzbar zu machen, während ihre Uebergriffe wuchſen; es reifte daher der Gedanke, ſie nach einem andern Orte zu verlegen, um ihre Mitglieder dem Drucke der Einſchüchterung zu entziehn, eventuell ſie aufzulöſen. Damit ſteigerte ſich die Schwierigkeit, ein Miniſterium zu Stande zu bringen, welches dieſe Maßregel durchzuführen übernehmen würde. Schon ſeit der Eröffnung der Verſammlung war es dem Könige nicht leicht geworden, überhaupt Miniſter zu finden, beſonders aber ſolche, welche auf ſeine ſich nicht immer gleichbleibenden Anſichten gefügig eingingen, und deren furchtloſe Feſtigkeit zugleich die Bürgſchaft gewährte, daß ſie bei einer entſcheidenden Wendung nicht verſagen würden. Es ſind mir aus dem Frühjahre mehre verfehlte Ver¬ ſuche erinnerlich: Georg von Vincke antwortete auf meine Sondirung, er ſei ein Mann der rothen Erde, zu Kritik und Oppoſition und nicht zu einer Miniſterrolle veranlagt. Beckerath wollte die Bildung eines Miniſteriums nur übernehmen, wenn die äußerſte Rechte ſich ihm unbedingt hingebe und ihm den König ſicher mache. Männer, welche in der Nationalverſammlung Einfluß hatten, wollten ſich die Ausſicht nicht verderben, künftig, nach Herſtellung geordneter Zuſtände, conſtitutionelle Majoritätsminiſter zu werden und zu bleiben. Ich begegnete unter anderm bei Harkort, der als Handels¬ miniſter in das Auge gefaßt war, der Meinung, daß die Herſtellung der Ordnung durch ein Fachminiſterium von Beamten und Militärs bewirkt werden müſſe, ehe verfaſſungstreue Miniſter die Geſchäfte übernehmen könnten; ſpäter ſei man bereit.
Die Abneigung, Miniſter zu werden, wurde verſtärkt durch die Vorſtellung, daß perſönliche Gefahr damit verbunden ſein könne, wie das Vorkommen körperlicher Mißhandlung conſervativer Ab¬ geordneter auf der Straße ſchon gezeigt habe. Nach den Ge¬ wöhnungen, welche die Straßenbevölkerung angenommen habe, und
Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0076"n="49"/><fwplace="top"type="header">Die Camarilla. Auf der Suche nach einem Miniſterium.<lb/></fw></div><divn="2"><head><hirendition="#aq">IV.</hi><lb/></head><p>Die Entwicklung der Dinge bot keine Gelegenheit, die Berliner<lb/>
Verſammlung für die deutſche Sache nutzbar zu machen, während<lb/>
ihre Uebergriffe wuchſen; es reifte daher der Gedanke, ſie nach<lb/>
einem andern Orte zu verlegen, um ihre Mitglieder dem Drucke<lb/>
der Einſchüchterung zu entziehn, eventuell ſie aufzulöſen. Damit<lb/>ſteigerte ſich die Schwierigkeit, ein Miniſterium zu Stande zu bringen,<lb/>
welches dieſe Maßregel durchzuführen übernehmen würde. Schon<lb/>ſeit der Eröffnung der Verſammlung war es dem Könige nicht<lb/>
leicht geworden, überhaupt Miniſter zu finden, beſonders aber ſolche,<lb/>
welche auf ſeine ſich nicht immer gleichbleibenden Anſichten gefügig<lb/>
eingingen, und deren furchtloſe Feſtigkeit zugleich die Bürgſchaft<lb/>
gewährte, daß ſie bei einer entſcheidenden Wendung nicht verſagen<lb/>
würden. Es ſind mir aus dem Frühjahre mehre verfehlte Ver¬<lb/>ſuche erinnerlich: Georg von Vincke antwortete auf meine Sondirung,<lb/>
er ſei ein Mann der rothen Erde, zu Kritik und Oppoſition und<lb/>
nicht zu einer Miniſterrolle veranlagt. Beckerath wollte die Bildung<lb/>
eines Miniſteriums nur übernehmen, wenn die äußerſte Rechte ſich<lb/>
ihm unbedingt hingebe und ihm den König ſicher mache. Männer,<lb/>
welche in der Nationalverſammlung Einfluß hatten, wollten ſich<lb/>
die Ausſicht nicht verderben, künftig, nach Herſtellung geordneter<lb/>
Zuſtände, conſtitutionelle Majoritätsminiſter zu werden und zu<lb/>
bleiben. Ich begegnete unter anderm bei Harkort, der als Handels¬<lb/>
miniſter in das Auge gefaßt war, der Meinung, daß die Herſtellung<lb/>
der Ordnung durch ein Fachminiſterium von Beamten und Militärs<lb/>
bewirkt werden müſſe, ehe verfaſſungstreue Miniſter die Geſchäfte<lb/>
übernehmen könnten; ſpäter ſei man bereit.</p><lb/><p>Die Abneigung, Miniſter zu werden, wurde verſtärkt durch<lb/>
die Vorſtellung, daß perſönliche Gefahr damit verbunden ſein könne,<lb/>
wie das Vorkommen körperlicher Mißhandlung conſervativer Ab¬<lb/>
geordneter auf der Straße ſchon gezeigt habe. Nach den Ge¬<lb/>
wöhnungen, welche die Straßenbevölkerung angenommen habe, und<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Otto Fürſt von Bismarck</hi>, Gedanken und Erinnerungen. <hirendition="#aq">I</hi>. 4<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[49/0076]
Die Camarilla. Auf der Suche nach einem Miniſterium.
IV.
Die Entwicklung der Dinge bot keine Gelegenheit, die Berliner
Verſammlung für die deutſche Sache nutzbar zu machen, während
ihre Uebergriffe wuchſen; es reifte daher der Gedanke, ſie nach
einem andern Orte zu verlegen, um ihre Mitglieder dem Drucke
der Einſchüchterung zu entziehn, eventuell ſie aufzulöſen. Damit
ſteigerte ſich die Schwierigkeit, ein Miniſterium zu Stande zu bringen,
welches dieſe Maßregel durchzuführen übernehmen würde. Schon
ſeit der Eröffnung der Verſammlung war es dem Könige nicht
leicht geworden, überhaupt Miniſter zu finden, beſonders aber ſolche,
welche auf ſeine ſich nicht immer gleichbleibenden Anſichten gefügig
eingingen, und deren furchtloſe Feſtigkeit zugleich die Bürgſchaft
gewährte, daß ſie bei einer entſcheidenden Wendung nicht verſagen
würden. Es ſind mir aus dem Frühjahre mehre verfehlte Ver¬
ſuche erinnerlich: Georg von Vincke antwortete auf meine Sondirung,
er ſei ein Mann der rothen Erde, zu Kritik und Oppoſition und
nicht zu einer Miniſterrolle veranlagt. Beckerath wollte die Bildung
eines Miniſteriums nur übernehmen, wenn die äußerſte Rechte ſich
ihm unbedingt hingebe und ihm den König ſicher mache. Männer,
welche in der Nationalverſammlung Einfluß hatten, wollten ſich
die Ausſicht nicht verderben, künftig, nach Herſtellung geordneter
Zuſtände, conſtitutionelle Majoritätsminiſter zu werden und zu
bleiben. Ich begegnete unter anderm bei Harkort, der als Handels¬
miniſter in das Auge gefaßt war, der Meinung, daß die Herſtellung
der Ordnung durch ein Fachminiſterium von Beamten und Militärs
bewirkt werden müſſe, ehe verfaſſungstreue Miniſter die Geſchäfte
übernehmen könnten; ſpäter ſei man bereit.
Die Abneigung, Miniſter zu werden, wurde verſtärkt durch
die Vorſtellung, daß perſönliche Gefahr damit verbunden ſein könne,
wie das Vorkommen körperlicher Mißhandlung conſervativer Ab¬
geordneter auf der Straße ſchon gezeigt habe. Nach den Ge¬
wöhnungen, welche die Straßenbevölkerung angenommen habe, und
Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/76>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.