Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Sechsundzwanzigstes Kapitel: Intrigen. in unserm Verfahren einen Mißbrauch der gewonnenen Stärke er¬blickt haben, und Jedermanns Hand, einschließlich der centrifugalen Kräfte im Reiche selbst, würde dauernd gegen Deutschland erhoben oder am Degen gewesen sein. Grade der friedliche Charakter der deutschen Politik nach den überraschenden Beweisen der militärischen Kraft der Nation hat wesentlich dazu beigetragen, die fremden Mächte und die innern Gegner früher, als wir erwarteten, wenig¬ stens bis zu einem tolerari posse mit der neudeutschen Kraftent¬ wicklung zu versöhnen und das Reich zum Theil mit Wohlwollen, zum Theil als einstweilen annehmbaren Friedenswächter sich ent¬ wickeln und festigen zu sehn. Es war für unsre Begriffe merkwürdig, daß der Kaiser von Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen. in unſerm Verfahren einen Mißbrauch der gewonnenen Stärke er¬blickt haben, und Jedermanns Hand, einſchließlich der centrifugalen Kräfte im Reiche ſelbſt, würde dauernd gegen Deutſchland erhoben oder am Degen geweſen ſein. Grade der friedliche Charakter der deutſchen Politik nach den überraſchenden Beweiſen der militäriſchen Kraft der Nation hat weſentlich dazu beigetragen, die fremden Mächte und die innern Gegner früher, als wir erwarteten, wenig¬ ſtens bis zu einem tolerari posse mit der neudeutſchen Kraftent¬ wicklung zu verſöhnen und das Reich zum Theil mit Wohlwollen, zum Theil als einſtweilen annehmbaren Friedenswächter ſich ent¬ wickeln und feſtigen zu ſehn. Es war für unſre Begriffe merkwürdig, daß der Kaiſer von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0200" n="176"/><fw place="top" type="header">Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.<lb/></fw> in unſerm Verfahren einen Mißbrauch der gewonnenen Stärke er¬<lb/> blickt haben, und Jedermanns Hand, einſchließlich der centrifugalen<lb/> Kräfte im Reiche ſelbſt, würde dauernd gegen Deutſchland erhoben<lb/> oder am Degen geweſen ſein. Grade der friedliche Charakter der<lb/> deutſchen Politik nach den überraſchenden Beweiſen der militäriſchen<lb/> Kraft der Nation hat weſentlich dazu beigetragen, die fremden<lb/> Mächte und die innern Gegner früher, als wir erwarteten, wenig¬<lb/> ſtens bis zu einem <hi rendition="#aq">tolerari posse</hi> mit der neudeutſchen Kraftent¬<lb/> wicklung zu verſöhnen und das Reich zum Theil mit Wohlwollen,<lb/> zum Theil als einſtweilen annehmbaren Friedenswächter ſich ent¬<lb/> wickeln und feſtigen zu ſehn.</p><lb/> <p>Es war für unſre Begriffe merkwürdig, daß der Kaiſer von<lb/> Rußland bei der Geringſchätzung, mit der er ſich über ſeinen<lb/> leitenden Miniſter äußerte, ihm doch die ganze Maſchine des Aus¬<lb/> wärtigen Amtes in der Hand ließ und ihm dadurch den Einfluß<lb/> auf die Miſſionen geſtattete, den er thatſächlich ausübte. Trotz<lb/> der Klarheit, mit der der Kaiſer die Abwege erkannte, die ein¬<lb/> zuſchlagen ſein Miniſter ſich durch perſönliche Gründe verleiten<lb/> ließ, unterwarf er die Concepte, die ihm Gortſchakow zu eigen¬<lb/> händigen Briefen an den Kaiſer Wilhelm vorlegte, nicht der ſcharfen<lb/> Sichtung, deren ſie bedurft hätten, wenn der Eindruck verhütet<lb/> werden ſollte, daß die wohlwollende Geſinnung des Kaiſers in der<lb/> Hauptſache den anſpruchsvollen und bedrohlichen Stimmungen Gor¬<lb/> tſchakows Platz gemacht habe. Der Kaiſer Alexander hatte eine elegante<lb/> und deutliche feine Handſchrift, und die Arbeit des Schreibens hatte<lb/> nichts Unbequemes für ihn, aber wenn auch die in der Regel ſehr<lb/> langen und in die Details eingehenden Schreiben von Souverän<lb/> zu Souverän ganz von der eignen Hand des Kaiſers herrührten,<lb/> ſo habe ich doch nach Stil und Inhalt in der Regel auf die Unter¬<lb/> lage eines von Gortſchakow redigirten Concepts ſchließen zu können<lb/> geglaubt; wie denn auch die eigenhändigen Antworten unſres Herrn<lb/> von mir zu entwerfen waren. Auf dieſe Weiſe hatte die eigen¬<lb/> händige Correſpondenz, in der beide Monarchen die wichtigſten<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [176/0200]
Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
in unſerm Verfahren einen Mißbrauch der gewonnenen Stärke er¬
blickt haben, und Jedermanns Hand, einſchließlich der centrifugalen
Kräfte im Reiche ſelbſt, würde dauernd gegen Deutſchland erhoben
oder am Degen geweſen ſein. Grade der friedliche Charakter der
deutſchen Politik nach den überraſchenden Beweiſen der militäriſchen
Kraft der Nation hat weſentlich dazu beigetragen, die fremden
Mächte und die innern Gegner früher, als wir erwarteten, wenig¬
ſtens bis zu einem tolerari posse mit der neudeutſchen Kraftent¬
wicklung zu verſöhnen und das Reich zum Theil mit Wohlwollen,
zum Theil als einſtweilen annehmbaren Friedenswächter ſich ent¬
wickeln und feſtigen zu ſehn.
Es war für unſre Begriffe merkwürdig, daß der Kaiſer von
Rußland bei der Geringſchätzung, mit der er ſich über ſeinen
leitenden Miniſter äußerte, ihm doch die ganze Maſchine des Aus¬
wärtigen Amtes in der Hand ließ und ihm dadurch den Einfluß
auf die Miſſionen geſtattete, den er thatſächlich ausübte. Trotz
der Klarheit, mit der der Kaiſer die Abwege erkannte, die ein¬
zuſchlagen ſein Miniſter ſich durch perſönliche Gründe verleiten
ließ, unterwarf er die Concepte, die ihm Gortſchakow zu eigen¬
händigen Briefen an den Kaiſer Wilhelm vorlegte, nicht der ſcharfen
Sichtung, deren ſie bedurft hätten, wenn der Eindruck verhütet
werden ſollte, daß die wohlwollende Geſinnung des Kaiſers in der
Hauptſache den anſpruchsvollen und bedrohlichen Stimmungen Gor¬
tſchakows Platz gemacht habe. Der Kaiſer Alexander hatte eine elegante
und deutliche feine Handſchrift, und die Arbeit des Schreibens hatte
nichts Unbequemes für ihn, aber wenn auch die in der Regel ſehr
langen und in die Details eingehenden Schreiben von Souverän
zu Souverän ganz von der eignen Hand des Kaiſers herrührten,
ſo habe ich doch nach Stil und Inhalt in der Regel auf die Unter¬
lage eines von Gortſchakow redigirten Concepts ſchließen zu können
geglaubt; wie denn auch die eigenhändigen Antworten unſres Herrn
von mir zu entwerfen waren. Auf dieſe Weiſe hatte die eigen¬
händige Correſpondenz, in der beide Monarchen die wichtigſten
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