Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Gortschakow und Schuwalow. Verstimmung des Zaren. wendigkeit, Irrthümer ihrer Untergebenen durch Unaufrichtigkeitwieder gut zu machen. Lord Palmerston hat freilich am 4. April 1856 im Unterhause mit einer von der Masse der Mitglieder wahr¬ scheinlich nicht verstandenen Ironie gesagt, die Auswahl der dem Parlamente vorzulegenden Schriftstücke über Kars habe große Sorg¬ falt und Aufmerksamkeit von Personen, die nicht eine untergeord¬ nete, sondern eine hohe Stellung im Auswärtigen einnähmen, er¬ fordert. Das Blaubuch über Kars, die castrirten Depeschen von Sir Alexander Burnes aus Afghanistan und die Mittheilungen der Minister über die Entstehung der Note, welche die Wiener Con¬ ferenz 1854 dem Sultan anstatt der Mentschikowschen zur Unter¬ zeichnung empfahl, sind Proben von der Leichtigkeit, mit welcher Parlament und Presse in England getäuscht werden können. Daß die Archive des Auswärtigen Amtes in London ängstlicher als irgend¬ wo gehütet werden, läßt vermuthen, daß in ihnen noch manche ähnliche Probe zu entdecken sein würde. Im Ganzen wird man aber doch sagen dürfen, daß der Zar leichter zu belügen ist als das Parlament. Bei den diplomatischen Verhandlungen über Ausführung der Gortſchakow und Schuwalow. Verſtimmung des Zaren. wendigkeit, Irrthümer ihrer Untergebenen durch Unaufrichtigkeitwieder gut zu machen. Lord Palmerſton hat freilich am 4. April 1856 im Unterhauſe mit einer von der Maſſe der Mitglieder wahr¬ ſcheinlich nicht verſtandenen Ironie geſagt, die Auswahl der dem Parlamente vorzulegenden Schriftſtücke über Kars habe große Sorg¬ falt und Aufmerkſamkeit von Perſonen, die nicht eine untergeord¬ nete, ſondern eine hohe Stellung im Auswärtigen einnähmen, er¬ fordert. Das Blaubuch über Kars, die caſtrirten Depeſchen von Sir Alexander Burnes aus Afghaniſtan und die Mittheilungen der Miniſter über die Entſtehung der Note, welche die Wiener Con¬ ferenz 1854 dem Sultan anſtatt der Mentſchikowſchen zur Unter¬ zeichnung empfahl, ſind Proben von der Leichtigkeit, mit welcher Parlament und Preſſe in England getäuſcht werden können. Daß die Archive des Auswärtigen Amtes in London ängſtlicher als irgend¬ wo gehütet werden, läßt vermuthen, daß in ihnen noch manche ähnliche Probe zu entdecken ſein würde. Im Ganzen wird man aber doch ſagen dürfen, daß der Zar leichter zu belügen iſt als das Parlament. Bei den diplomatiſchen Verhandlungen über Ausführung der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0241" n="217"/><fw place="top" type="header">Gortſchakow und Schuwalow. Verſtimmung des Zaren.<lb/></fw>wendigkeit, Irrthümer ihrer Untergebenen durch Unaufrichtigkeit<lb/> wieder gut zu machen. Lord Palmerſton hat freilich am 4. April<lb/> 1856 im Unterhauſe mit einer von der Maſſe der Mitglieder wahr¬<lb/> ſcheinlich nicht verſtandenen Ironie geſagt, die Auswahl der dem<lb/> Parlamente vorzulegenden Schriftſtücke über Kars habe große Sorg¬<lb/> falt und Aufmerkſamkeit von Perſonen, die nicht eine untergeord¬<lb/> nete, ſondern eine hohe Stellung im Auswärtigen einnähmen, er¬<lb/> fordert. Das Blaubuch über Kars, die caſtrirten Depeſchen von<lb/> Sir Alexander Burnes aus Afghaniſtan und die Mittheilungen der<lb/> Miniſter über die Entſtehung der Note, welche die Wiener Con¬<lb/> ferenz 1854 dem Sultan anſtatt der Mentſchikowſchen zur Unter¬<lb/> zeichnung empfahl, ſind Proben von der Leichtigkeit, mit welcher<lb/> Parlament und Preſſe in England getäuſcht werden können. Daß<lb/> die Archive des Auswärtigen Amtes in London ängſtlicher als irgend¬<lb/> wo gehütet werden, läßt vermuthen, daß in ihnen noch manche<lb/> ähnliche Probe zu entdecken ſein würde. Im Ganzen wird man<lb/> aber doch ſagen dürfen, daß der Zar leichter zu belügen iſt als das<lb/> Parlament.</p><lb/> <p>Bei den diplomatiſchen Verhandlungen über Ausführung der<lb/> Beſtimmungen des Berliner Congreſſes wurde in Petersburg er¬<lb/> wartet, daß wir jede ruſſiſche Auffaſſung der öſtreichiſch-engliſchen<lb/> gegenüber ohne weitres und namentlich ohne vorgängige Ver¬<lb/> ſtändigung zwiſchen Berlin und Petersburg unterſtützen und durch¬<lb/> ſetzen würden. Meine angedeutete, endlich ausgeſprochene Forderung,<lb/> die ruſſiſchen Wünſche uns vertraulich, aber deutlich auszuſprechen<lb/> und darüber zu verhandeln, wurde eludirt, und ich erhielt den<lb/> Eindruck, daß Fürſt Gortſchakow von mir, wie eine Dame von<lb/> ihrem Verehrer, erwartete, daß ich die ruſſiſchen Wünſche errathen<lb/> und vertreten würde, ohne daß Rußland ſelbſt ſie auszuſprechen<lb/> und dadurch eine Verantwortlichkeit zu übernehmen brauchte. Selbſt<lb/> in Fällen, wo wir annehmen durften, der ruſſiſchen Intereſſen und<lb/> Abſichten völlig gewiß zu ſein, und glaubten, der ruſſiſchen Politik<lb/> einen Beweis unſrer Freundſchaft freiwillig geben zu können, ohne<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [217/0241]
Gortſchakow und Schuwalow. Verſtimmung des Zaren.
wendigkeit, Irrthümer ihrer Untergebenen durch Unaufrichtigkeit
wieder gut zu machen. Lord Palmerſton hat freilich am 4. April
1856 im Unterhauſe mit einer von der Maſſe der Mitglieder wahr¬
ſcheinlich nicht verſtandenen Ironie geſagt, die Auswahl der dem
Parlamente vorzulegenden Schriftſtücke über Kars habe große Sorg¬
falt und Aufmerkſamkeit von Perſonen, die nicht eine untergeord¬
nete, ſondern eine hohe Stellung im Auswärtigen einnähmen, er¬
fordert. Das Blaubuch über Kars, die caſtrirten Depeſchen von
Sir Alexander Burnes aus Afghaniſtan und die Mittheilungen der
Miniſter über die Entſtehung der Note, welche die Wiener Con¬
ferenz 1854 dem Sultan anſtatt der Mentſchikowſchen zur Unter¬
zeichnung empfahl, ſind Proben von der Leichtigkeit, mit welcher
Parlament und Preſſe in England getäuſcht werden können. Daß
die Archive des Auswärtigen Amtes in London ängſtlicher als irgend¬
wo gehütet werden, läßt vermuthen, daß in ihnen noch manche
ähnliche Probe zu entdecken ſein würde. Im Ganzen wird man
aber doch ſagen dürfen, daß der Zar leichter zu belügen iſt als das
Parlament.
Bei den diplomatiſchen Verhandlungen über Ausführung der
Beſtimmungen des Berliner Congreſſes wurde in Petersburg er¬
wartet, daß wir jede ruſſiſche Auffaſſung der öſtreichiſch-engliſchen
gegenüber ohne weitres und namentlich ohne vorgängige Ver¬
ſtändigung zwiſchen Berlin und Petersburg unterſtützen und durch¬
ſetzen würden. Meine angedeutete, endlich ausgeſprochene Forderung,
die ruſſiſchen Wünſche uns vertraulich, aber deutlich auszuſprechen
und darüber zu verhandeln, wurde eludirt, und ich erhielt den
Eindruck, daß Fürſt Gortſchakow von mir, wie eine Dame von
ihrem Verehrer, erwartete, daß ich die ruſſiſchen Wünſche errathen
und vertreten würde, ohne daß Rußland ſelbſt ſie auszuſprechen
und dadurch eine Verantwortlichkeit zu übernehmen brauchte. Selbſt
in Fällen, wo wir annehmen durften, der ruſſiſchen Intereſſen und
Abſichten völlig gewiß zu ſein, und glaubten, der ruſſiſchen Politik
einen Beweis unſrer Freundſchaft freiwillig geben zu können, ohne
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