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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Schreiben an den König von Baiern.
zwischen Rußland und Oestreich eine geheime Verständigung zum
Nachtheile Deutschlands stattgefunden hätte. Diese Besorgniß ist
aber unbegründet; Oestreich fühlt gegenüber der Unruhe der rus¬
sischen Politik dasselbe Unbehagen wie wir und scheint zu einer
Verständigung mit uns behufs gemeinsamer Abwehr eines et¬
waigen russischen Angriffs auf eine der beiden Mächte geneigt
zu sein.

Ich würde es für eine wesentliche Garantie des europäischen
Friedens und der Sicherheit Deutschlands halten, wenn das Deutsche
Reich auf eine solche Abmachung mit Oestreich einginge, welche
zum Zweck hätte, den Frieden mit Rußland nach wie vor sorg¬
fältig zu pflegen, aber wenn trotzdem eine der beiden Mächte an¬
gegriffen würde, einander beizustehn. Im Besitze dieser gegen¬
seitigen Assecuranz könnten beide Reiche sich nach wie vor der
erneuten Befestigung des Dreikaiserbundes widmen. Das Deutsche
Reich im Bunde mit Oestreich würde der Anlehnung Englands
nicht entbehren und bei der friedfertigen Politik der beiden großen
Reichskörper den Frieden Europas mit zwei Millionen Streitern
verbürgen. Der rein defensive Charakter dieser gegenseitigen An¬
lehnung der beiden deutschen Mächte aneinander könnte auch für
niemand etwas Herausforderndes haben, da dieselbe gegenseitige
Assecuranz beider in dem deutschen Bundesverhältniß von 1815
schon 50 Jahre völkerrechtlich bestanden hat.

Unterbleibt jedes Abkommen derart, so wird man es Oest¬
reich nicht verargen können, wenn es unter dem Drucke russischer
Drohungen und ohne Gewißheit über Deutschland schließlich ent¬
weder bei Frankreich oder bei Rußland selbst nähere Fühlung sucht.
Träte der letztre Fall ein, so wäre Deutschland bei seinem Ver¬

Enthebung vorbehalten, bis über den Nachfolger Beschluß gefaßt sei. Der Graf
verstand sich dazu, noch einige Zeit in Function zu bleiben, um das Bündniß
mit Deutschland zu Stande zu bringen. Am 8. October wurde seine Ver¬
abschiedung und die Ernennung seines Nachfolgers Haymerle veröffentlicht.
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 16

Schreiben an den König von Baiern.
zwiſchen Rußland und Oeſtreich eine geheime Verſtändigung zum
Nachtheile Deutſchlands ſtattgefunden hätte. Dieſe Beſorgniß iſt
aber unbegründet; Oeſtreich fühlt gegenüber der Unruhe der ruſ¬
ſiſchen Politik daſſelbe Unbehagen wie wir und ſcheint zu einer
Verſtändigung mit uns behufs gemeinſamer Abwehr eines et¬
waigen ruſſiſchen Angriffs auf eine der beiden Mächte geneigt
zu ſein.

Ich würde es für eine weſentliche Garantie des europäiſchen
Friedens und der Sicherheit Deutſchlands halten, wenn das Deutſche
Reich auf eine ſolche Abmachung mit Oeſtreich einginge, welche
zum Zweck hätte, den Frieden mit Rußland nach wie vor ſorg¬
fältig zu pflegen, aber wenn trotzdem eine der beiden Mächte an¬
gegriffen würde, einander beizuſtehn. Im Beſitze dieſer gegen¬
ſeitigen Aſſecuranz könnten beide Reiche ſich nach wie vor der
erneuten Befeſtigung des Dreikaiſerbundes widmen. Das Deutſche
Reich im Bunde mit Oeſtreich würde der Anlehnung Englands
nicht entbehren und bei der friedfertigen Politik der beiden großen
Reichskörper den Frieden Europas mit zwei Millionen Streitern
verbürgen. Der rein defenſive Charakter dieſer gegenſeitigen An¬
lehnung der beiden deutſchen Mächte aneinander könnte auch für
niemand etwas Herausforderndes haben, da dieſelbe gegenſeitige
Aſſecuranz beider in dem deutſchen Bundesverhältniß von 1815
ſchon 50 Jahre völkerrechtlich beſtanden hat.

Unterbleibt jedes Abkommen derart, ſo wird man es Oeſt¬
reich nicht verargen können, wenn es unter dem Drucke ruſſiſcher
Drohungen und ohne Gewißheit über Deutſchland ſchließlich ent¬
weder bei Frankreich oder bei Rußland ſelbſt nähere Fühlung ſucht.
Träte der letztre Fall ein, ſo wäre Deutſchland bei ſeinem Ver¬

Enthebung vorbehalten, bis über den Nachfolger Beſchluß gefaßt ſei. Der Graf
verſtand ſich dazu, noch einige Zeit in Function zu bleiben, um das Bündniß
mit Deutſchland zu Stande zu bringen. Am 8. October wurde ſeine Ver¬
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Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 16
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[241/0265] Schreiben an den König von Baiern. zwiſchen Rußland und Oeſtreich eine geheime Verſtändigung zum Nachtheile Deutſchlands ſtattgefunden hätte. Dieſe Beſorgniß iſt aber unbegründet; Oeſtreich fühlt gegenüber der Unruhe der ruſ¬ ſiſchen Politik daſſelbe Unbehagen wie wir und ſcheint zu einer Verſtändigung mit uns behufs gemeinſamer Abwehr eines et¬ waigen ruſſiſchen Angriffs auf eine der beiden Mächte geneigt zu ſein. Ich würde es für eine weſentliche Garantie des europäiſchen Friedens und der Sicherheit Deutſchlands halten, wenn das Deutſche Reich auf eine ſolche Abmachung mit Oeſtreich einginge, welche zum Zweck hätte, den Frieden mit Rußland nach wie vor ſorg¬ fältig zu pflegen, aber wenn trotzdem eine der beiden Mächte an¬ gegriffen würde, einander beizuſtehn. Im Beſitze dieſer gegen¬ ſeitigen Aſſecuranz könnten beide Reiche ſich nach wie vor der erneuten Befeſtigung des Dreikaiſerbundes widmen. Das Deutſche Reich im Bunde mit Oeſtreich würde der Anlehnung Englands nicht entbehren und bei der friedfertigen Politik der beiden großen Reichskörper den Frieden Europas mit zwei Millionen Streitern verbürgen. Der rein defenſive Charakter dieſer gegenſeitigen An¬ lehnung der beiden deutſchen Mächte aneinander könnte auch für niemand etwas Herausforderndes haben, da dieſelbe gegenſeitige Aſſecuranz beider in dem deutſchen Bundesverhältniß von 1815 ſchon 50 Jahre völkerrechtlich beſtanden hat. Unterbleibt jedes Abkommen derart, ſo wird man es Oeſt¬ reich nicht verargen können, wenn es unter dem Drucke ruſſiſcher Drohungen und ohne Gewißheit über Deutſchland ſchließlich ent¬ weder bei Frankreich oder bei Rußland ſelbſt nähere Fühlung ſucht. Träte der letztre Fall ein, ſo wäre Deutſchland bei ſeinem Ver¬ *) *) Enthebung vorbehalten, bis über den Nachfolger Beſchluß gefaßt ſei. Der Graf verſtand ſich dazu, noch einige Zeit in Function zu bleiben, um das Bündniß mit Deutſchland zu Stande zu bringen. Am 8. October wurde ſeine Ver¬ abſchiedung und die Ernennung ſeines Nachfolgers Haymerle veröffentlicht. Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 16

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/265>, abgerufen am 21.11.2024.