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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Fünftes Capitel. V. Von der Gebietshoheit.
lage eines Gesetzes oder in Folge von völkerrecht-
lichen Verträgen
, wohin denn auch die Friedens-
schlüsse
gehören. 4

Hugo Grotius fordert überdem nach natürlichem Rechte,
wenn ein Theil des Statsgebietes veräuszert werden soll, nicht
blosz die Zustimmung des ganzen Statskörpers, sondern
auch die der Einwohner dieses Gebietstheiles: ein
gerechtes Erfordernisz, da es sich um die ganze statliche
Existenz derselben handelt und sie durch die Gesetzgebung
des ganzen States unmöglich in einem Momente genügend
vertreten werden, in welchem diese zur Auflösung der Ge-
meinschaft geneigt ist. Aber die Noth der Umstände wird
in den meisten Fällen der Art stärker sein, als jener Grund-
satz des natürlichen Rechts. 5

Beschränkungen der Gebietshoheit zu Gunsten an-
derer Staten (statsrechtliche Dienstbarkeiten) können
vorkommen, und zwar analog den Servituten des Privatrechtes.
Nur bedürfen auch diese Beschränkungen, damit das Statsrecht
sie anerkenne, einer statsrechtlichen oder völkerrechtlichen
Begründung im einzelnen Fall und eines statsrechtlichen
Inhalts
. Z. B. durch Statsvertrag wird dem benachbarten
State die freie Benutzung einer Militärstrasze über das Stats-
gebiet zugesichert; oder eine Stadt wird mit Rücksicht auf
die Begehren des Nachbarstates als Freihafen erklärt; oder
die Ausübung des Postregals wird an eine fremde Postver-
waltung überlassen. In höherem Masze aber, als im Privat-
rechte zweifelhafte Fälle zu Gunsten der Freiheit des Eigen-

4 Preuszische Verf. von 1850. Art. 2. "Die Grenzen dieses Stats-
gebiets können nur durch ein Gesetz verändert werden."
5 Hugo Grot. II. 6. §. 4 ff. Vgl. Wiener Schluszakte von
1828, Art. 6. "Eine freiwillige Abtretung auf einem Bundesgebiete
haftender Souveränitäts-Rechte kann ohne Zustimmung (der Gesammt-
heit) nur zu Gunsten eines Mitverbündeten geschehen." Vgl. die nähere
Ausführung in Bluntschli Modernes Völkerrecht §. 286.

Fünftes Capitel. V. Von der Gebietshoheit.
lage eines Gesetzes oder in Folge von völkerrecht-
lichen Verträgen
, wohin denn auch die Friedens-
schlüsse
gehören. 4

Hugo Grotius fordert überdem nach natürlichem Rechte,
wenn ein Theil des Statsgebietes veräuszert werden soll, nicht
blosz die Zustimmung des ganzen Statskörpers, sondern
auch die der Einwohner dieses Gebietstheiles: ein
gerechtes Erfordernisz, da es sich um die ganze statliche
Existenz derselben handelt und sie durch die Gesetzgebung
des ganzen States unmöglich in einem Momente genügend
vertreten werden, in welchem diese zur Auflösung der Ge-
meinschaft geneigt ist. Aber die Noth der Umstände wird
in den meisten Fällen der Art stärker sein, als jener Grund-
satz des natürlichen Rechts. 5

Beschränkungen der Gebietshoheit zu Gunsten an-
derer Staten (statsrechtliche Dienstbarkeiten) können
vorkommen, und zwar analog den Servituten des Privatrechtes.
Nur bedürfen auch diese Beschränkungen, damit das Statsrecht
sie anerkenne, einer statsrechtlichen oder völkerrechtlichen
Begründung im einzelnen Fall und eines statsrechtlichen
Inhalts
. Z. B. durch Statsvertrag wird dem benachbarten
State die freie Benutzung einer Militärstrasze über das Stats-
gebiet zugesichert; oder eine Stadt wird mit Rücksicht auf
die Begehren des Nachbarstates als Freihafen erklärt; oder
die Ausübung des Postregals wird an eine fremde Postver-
waltung überlassen. In höherem Masze aber, als im Privat-
rechte zweifelhafte Fälle zu Gunsten der Freiheit des Eigen-

4 Preuszische Verf. von 1850. Art. 2. „Die Grenzen dieses Stats-
gebiets können nur durch ein Gesetz verändert werden.“
5 Hugo Grot. II. 6. §. 4 ff. Vgl. Wiener Schluszakte von
1828, Art. 6. „Eine freiwillige Abtretung auf einem Bundesgebiete
haftender Souveränitäts-Rechte kann ohne Zustimmung (der Gesammt-
heit) nur zu Gunsten eines Mitverbündeten geschehen.“ Vgl. die nähere
Ausführung in Bluntschli Modernes Völkerrecht §. 286.
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[281/0299] Fünftes Capitel. V. Von der Gebietshoheit. lage eines Gesetzes oder in Folge von völkerrecht- lichen Verträgen, wohin denn auch die Friedens- schlüsse gehören. 4 Hugo Grotius fordert überdem nach natürlichem Rechte, wenn ein Theil des Statsgebietes veräuszert werden soll, nicht blosz die Zustimmung des ganzen Statskörpers, sondern auch die der Einwohner dieses Gebietstheiles: ein gerechtes Erfordernisz, da es sich um die ganze statliche Existenz derselben handelt und sie durch die Gesetzgebung des ganzen States unmöglich in einem Momente genügend vertreten werden, in welchem diese zur Auflösung der Ge- meinschaft geneigt ist. Aber die Noth der Umstände wird in den meisten Fällen der Art stärker sein, als jener Grund- satz des natürlichen Rechts. 5 Beschränkungen der Gebietshoheit zu Gunsten an- derer Staten (statsrechtliche Dienstbarkeiten) können vorkommen, und zwar analog den Servituten des Privatrechtes. Nur bedürfen auch diese Beschränkungen, damit das Statsrecht sie anerkenne, einer statsrechtlichen oder völkerrechtlichen Begründung im einzelnen Fall und eines statsrechtlichen Inhalts. Z. B. durch Statsvertrag wird dem benachbarten State die freie Benutzung einer Militärstrasze über das Stats- gebiet zugesichert; oder eine Stadt wird mit Rücksicht auf die Begehren des Nachbarstates als Freihafen erklärt; oder die Ausübung des Postregals wird an eine fremde Postver- waltung überlassen. In höherem Masze aber, als im Privat- rechte zweifelhafte Fälle zu Gunsten der Freiheit des Eigen- 4 Preuszische Verf. von 1850. Art. 2. „Die Grenzen dieses Stats- gebiets können nur durch ein Gesetz verändert werden.“ 5 Hugo Grot. II. 6. §. 4 ff. Vgl. Wiener Schluszakte von 1828, Art. 6. „Eine freiwillige Abtretung auf einem Bundesgebiete haftender Souveränitäts-Rechte kann ohne Zustimmung (der Gesammt- heit) nur zu Gunsten eines Mitverbündeten geschehen.“ Vgl. die nähere Ausführung in Bluntschli Modernes Völkerrecht §. 286.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/299>, abgerufen am 25.11.2024.