Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.Sechstes Buch. Die Statsformen. Vermögen in vier Classen theilte, und den oberen und reicherenClassen schwerere Pflichten und höhere Rechte im State an- wies, auch dem Vermögen und der Bildung im Rathe das Uebergewicht über die niedere Menge zu sichern gesucht. Allein auch den Rath nahm seit Klisthenes (510 v. Chr.) die Menge ganz und gar für sich in Anspruch. Der Rath der 500 war selber eine kleine Volksversammlung, ohne Rücksicht auf Vermögen und Bildung aus der gleichen Menge der Bürger hervorgegangen, nicht einmal durch die Wahl auserlesen, son- dern durch das Loos zusammengewürfelt, und ebenso durch das Loos in zehn Bureaux (Prytanien) von je 50 Räthen ver- theilt, welche alle 36 Tage in der Leitung der Geschäfte wechselten. Von einer selbständigen Autorität eines derartigen Rathes der Menge gegenüber, aus welcher er wie der auf die Höhe getriebene Schaum des Champagners wechselnd empor- stieg, und in welcher er wieder nach kurzer Frist sich auf- löste, konnte keine Rede mehr sein. Er diente blosz dazu, die äuszere Besorgung und Einleitung der Geschäfte der Menge zu erleichtern, und die Selbstregierung dieser möglich zu machen. Die Archonten, in älterer Zeit hohe Magistrate, ur- Sechstes Buch. Die Statsformen. Vermögen in vier Classen theilte, und den oberen und reicherenClassen schwerere Pflichten und höhere Rechte im State an- wies, auch dem Vermögen und der Bildung im Rathe das Uebergewicht über die niedere Menge zu sichern gesucht. Allein auch den Rath nahm seit Klisthenes (510 v. Chr.) die Menge ganz und gar für sich in Anspruch. Der Rath der 500 war selber eine kleine Volksversammlung, ohne Rücksicht auf Vermögen und Bildung aus der gleichen Menge der Bürger hervorgegangen, nicht einmal durch die Wahl auserlesen, son- dern durch das Loos zusammengewürfelt, und ebenso durch das Loos in zehn Bureaux (Prytanien) von je 50 Räthen ver- theilt, welche alle 36 Tage in der Leitung der Geschäfte wechselten. Von einer selbständigen Autorität eines derartigen Rathes der Menge gegenüber, aus welcher er wie der auf die Höhe getriebene Schaum des Champagners wechselnd empor- stieg, und in welcher er wieder nach kurzer Frist sich auf- löste, konnte keine Rede mehr sein. Er diente blosz dazu, die äuszere Besorgung und Einleitung der Geschäfte der Menge zu erleichtern, und die Selbstregierung dieser möglich zu machen. Die Archonten, in älterer Zeit hohe Magistrate, ur- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0548" n="530"/><fw place="top" type="header">Sechstes Buch. Die Statsformen.</fw><lb/> Vermögen in vier Classen theilte, und den oberen und reicheren<lb/> Classen schwerere Pflichten und höhere Rechte im State an-<lb/> wies, auch dem Vermögen und der Bildung im Rathe das<lb/> Uebergewicht über die niedere Menge zu sichern gesucht.<lb/> Allein auch den Rath nahm seit Klisthenes (510 v. Chr.) die<lb/> Menge ganz und gar für sich in Anspruch. Der Rath der<lb/> 500 war selber eine kleine Volksversammlung, ohne Rücksicht<lb/> auf Vermögen und Bildung aus der gleichen Menge der Bürger<lb/> hervorgegangen, nicht einmal durch die Wahl auserlesen, son-<lb/> dern durch das Loos zusammengewürfelt, und ebenso durch<lb/> das Loos in zehn Bureaux (Prytanien) von je 50 Räthen ver-<lb/> theilt, welche alle 36 Tage in der Leitung der Geschäfte<lb/> wechselten. Von einer selbständigen Autorität eines derartigen<lb/> Rathes der Menge gegenüber, aus welcher er wie der auf die<lb/> Höhe getriebene Schaum des Champagners wechselnd empor-<lb/> stieg, und in welcher er wieder nach kurzer Frist sich auf-<lb/> löste, konnte keine Rede mehr sein. Er diente blosz dazu, die<lb/> äuszere Besorgung und Einleitung der Geschäfte der Menge zu<lb/> erleichtern, und die Selbstregierung dieser möglich zu machen.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Archonten</hi>, in älterer Zeit hohe Magistrate, ur-<lb/> sprünglich Eupatriden, nach der Solonischen Verfassung aus<lb/> der Classe der Reichsten (der Pentakosiomedimnen) gewählt,<lb/> wurden, als einmal die Demokratie zu freier Entfaltung ge-<lb/> langt war, durch das Loos bestellt, zu welchem jeder Bürger<lb/> nun, ohne dasz ferner auf Geburt oder Vermögen oder Bil-<lb/> dung geachtet wurde, zugelassen wurde, und sanken herab zu<lb/> bloszen Dienern des Demos und machtlosen Vorsitzern der<lb/> zahlreichen Gerichtshöfe. Diese selber waren wieder ganz de-<lb/> mokratisch bestellt, und wiederum eine Art von Volksversamm-<lb/> lung. Nicht weniger als 6000 Geschworne nahmen an den<lb/> Gerichtsverhandlungen Theil, und je nach der Wichtigkeit der<lb/> Processe urtheilten Hunderte oder Tausende von Geschworenen.<lb/> Die Sucht der Massen, an dem Solde und an der Autorität<lb/> der Richter Theil zu nehmen, von Aristophanes in den Wespen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [530/0548]
Sechstes Buch. Die Statsformen.
Vermögen in vier Classen theilte, und den oberen und reicheren
Classen schwerere Pflichten und höhere Rechte im State an-
wies, auch dem Vermögen und der Bildung im Rathe das
Uebergewicht über die niedere Menge zu sichern gesucht.
Allein auch den Rath nahm seit Klisthenes (510 v. Chr.) die
Menge ganz und gar für sich in Anspruch. Der Rath der
500 war selber eine kleine Volksversammlung, ohne Rücksicht
auf Vermögen und Bildung aus der gleichen Menge der Bürger
hervorgegangen, nicht einmal durch die Wahl auserlesen, son-
dern durch das Loos zusammengewürfelt, und ebenso durch
das Loos in zehn Bureaux (Prytanien) von je 50 Räthen ver-
theilt, welche alle 36 Tage in der Leitung der Geschäfte
wechselten. Von einer selbständigen Autorität eines derartigen
Rathes der Menge gegenüber, aus welcher er wie der auf die
Höhe getriebene Schaum des Champagners wechselnd empor-
stieg, und in welcher er wieder nach kurzer Frist sich auf-
löste, konnte keine Rede mehr sein. Er diente blosz dazu, die
äuszere Besorgung und Einleitung der Geschäfte der Menge zu
erleichtern, und die Selbstregierung dieser möglich zu machen.
Die Archonten, in älterer Zeit hohe Magistrate, ur-
sprünglich Eupatriden, nach der Solonischen Verfassung aus
der Classe der Reichsten (der Pentakosiomedimnen) gewählt,
wurden, als einmal die Demokratie zu freier Entfaltung ge-
langt war, durch das Loos bestellt, zu welchem jeder Bürger
nun, ohne dasz ferner auf Geburt oder Vermögen oder Bil-
dung geachtet wurde, zugelassen wurde, und sanken herab zu
bloszen Dienern des Demos und machtlosen Vorsitzern der
zahlreichen Gerichtshöfe. Diese selber waren wieder ganz de-
mokratisch bestellt, und wiederum eine Art von Volksversamm-
lung. Nicht weniger als 6000 Geschworne nahmen an den
Gerichtsverhandlungen Theil, und je nach der Wichtigkeit der
Processe urtheilten Hunderte oder Tausende von Geschworenen.
Die Sucht der Massen, an dem Solde und an der Autorität
der Richter Theil zu nehmen, von Aristophanes in den Wespen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |