Einundzwanzigstes Capitel. IV. Demokrat. Statsformen. Beurtheilung etc.
gegeiszelt, ward zu einer chronischen Krankheit Athens, und auf diesem Boden ging das schändliche Gewerbe der Sykophanten wuchernd auf. Derlei Volksgerichte betrachte- ten sich mehr als Beschützer und Förderer der Volksherr- schaft, und kümmerten sich mehr um politische Parteikämpfe und Parteiinteressen, als um die Handhabung des unparteii- schen Rechts. Sie wurden so zum Tummelplatze der öffent- lichen und Privatleidenschaften; die Bestechlichkeit der Syko- phanten und der Richter selbst nahm überhand, und in Form Rechtens wurde die äuszerste Willkür und Despotie der Menge geübt. 4
Einundzwanzigstes Capitel. Beurtheilung der unmittelbaren Demokratie.
In der begabten Natur der Athener und in der glänzen- den Geschichte ihrer Stadt spiegeln sich die Eigenthümlich- keiten, die Vorzüge und Gebrechen der unmittelbaren Demo- kratie für alle Zeiten ab.
Die Demokratie liebt die Freiheit mehr als die Auto- rität. Die Freiheitsliebe der Athener hat vornehmlich die reiche Entfaltung der ewig-jungen und ewig-schönen Werke in Kunst und Wissenschaft hervorgebracht, welche die Bewun- derung der Nachwelt erhält und verdient. Aber die demo- kratische Freiheit Aller wird zugleich als Herrschaft der Mehrheit verstanden. Die Bürgerschaft will in Per- son, d.h. durch grosze Volksversammlungen den Stat re- gieren. Diese hinwieder sind nur möglich in kleinen Staten, und bei einem Volke, welches Musze hat sich mit Stats- geschäften regelmäszig zu befassen, also nur unter der Vor-
4 Ueber die Verfassung Athens ist vorzüglich das treffliche Buch von K. Fr. Herrmann, Griech. Statsalterthümer, zu vergleichen.
Einundzwanzigstes Capitel. IV. Demokrat. Statsformen. Beurtheilung etc.
gegeiszelt, ward zu einer chronischen Krankheit Athens, und auf diesem Boden ging das schändliche Gewerbe der Sykophanten wuchernd auf. Derlei Volksgerichte betrachte- ten sich mehr als Beschützer und Förderer der Volksherr- schaft, und kümmerten sich mehr um politische Parteikämpfe und Parteiinteressen, als um die Handhabung des unparteii- schen Rechts. Sie wurden so zum Tummelplatze der öffent- lichen und Privatleidenschaften; die Bestechlichkeit der Syko- phanten und der Richter selbst nahm überhand, und in Form Rechtens wurde die äuszerste Willkür und Despotie der Menge geübt. 4
Einundzwanzigstes Capitel. Beurtheilung der unmittelbaren Demokratie.
In der begabten Natur der Athener und in der glänzen- den Geschichte ihrer Stadt spiegeln sich die Eigenthümlich- keiten, die Vorzüge und Gebrechen der unmittelbaren Demo- kratie für alle Zeiten ab.
Die Demokratie liebt die Freiheit mehr als die Auto- rität. Die Freiheitsliebe der Athener hat vornehmlich die reiche Entfaltung der ewig-jungen und ewig-schönen Werke in Kunst und Wissenschaft hervorgebracht, welche die Bewun- derung der Nachwelt erhält und verdient. Aber die demo- kratische Freiheit Aller wird zugleich als Herrschaft der Mehrheit verstanden. Die Bürgerschaft will in Per- son, d.h. durch grosze Volksversammlungen den Stat re- gieren. Diese hinwieder sind nur möglich in kleinen Staten, und bei einem Volke, welches Musze hat sich mit Stats- geschäften regelmäszig zu befassen, also nur unter der Vor-
4 Ueber die Verfassung Athens ist vorzüglich das treffliche Buch von K. Fr. Herrmann, Griech. Statsalterthümer, zu vergleichen.
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Einundzwanzigstes Capitel. IV. Demokrat. Statsformen. Beurtheilung etc.
gegeiszelt, ward zu einer chronischen Krankheit Athens,
und auf diesem Boden ging das schändliche Gewerbe der
Sykophanten wuchernd auf. Derlei Volksgerichte betrachte-
ten sich mehr als Beschützer und Förderer der Volksherr-
schaft, und kümmerten sich mehr um politische Parteikämpfe
und Parteiinteressen, als um die Handhabung des unparteii-
schen Rechts. Sie wurden so zum Tummelplatze der öffent-
lichen und Privatleidenschaften; die Bestechlichkeit der Syko-
phanten und der Richter selbst nahm überhand, und in Form
Rechtens wurde die äuszerste Willkür und Despotie der
Menge geübt. 4
Einundzwanzigstes Capitel.
Beurtheilung der unmittelbaren Demokratie.
In der begabten Natur der Athener und in der glänzen-
den Geschichte ihrer Stadt spiegeln sich die Eigenthümlich-
keiten, die Vorzüge und Gebrechen der unmittelbaren Demo-
kratie für alle Zeiten ab.
Die Demokratie liebt die Freiheit mehr als die Auto-
rität. Die Freiheitsliebe der Athener hat vornehmlich die
reiche Entfaltung der ewig-jungen und ewig-schönen Werke
in Kunst und Wissenschaft hervorgebracht, welche die Bewun-
derung der Nachwelt erhält und verdient. Aber die demo-
kratische Freiheit Aller wird zugleich als Herrschaft der
Mehrheit verstanden. Die Bürgerschaft will in Per-
son, d.h. durch grosze Volksversammlungen den Stat re-
gieren. Diese hinwieder sind nur möglich in kleinen Staten,
und bei einem Volke, welches Musze hat sich mit Stats-
geschäften regelmäszig zu befassen, also nur unter der Vor-
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/549>, abgerufen am 22.11.2024.
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