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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
das aber nicht etwa eine Eigenthümlichkeit des englischen
Statsrechts, sondern eine Grundansicht der modernen Reprä-
sentativverfassung überhaupt, welche den Fürsten zwar als
Haupt, aber gerade deszhalb auch als ein Glied des Volkes
betrachtet und welche die höchste, auch thatsächliche Aus-
übung der Souveränetät, die Gesetzgebung nicht dem Haupte
allein zugesteht, sondern nur dem Haupte in Verbindung mit
dem repräsentativen Körper, d. h. nur dem ganzen Stats-
körper. Die patrimoniale Statslehre, welche den Stat wie ein
Eigenthum des Fürsten ansieht und daher nur dem Fürsten
Souveränetät zuschreibt und die absolutistische Statslehre,
welche den Stat mit dem Fürsten identificirt und daher die
Statssouveränetät als Fürstensouveränetät faszt, verkennen
beide, dasz alle Macht des Fürsten wesentlich nur concentrirte
und zusammengefaszte Volksmacht ist und dasz das Volk und
der Stat als Rechtswesen bleibt, wenn gleich Fürsten
fallen und Dynastien untergehen. 6


6 Zöpfl (Grundsätze des gemeinen deutschen Statsrechts §§. 54--
56) verwirft nicht blosz für die deutschen Staten auch diese Stats-
souveränetät und behauptet, die Monarchie könne überhaupt nur die
Fürstensouveränetät, wie die Republik nur die Volkssouveränetät aner-
kennen. Das römische Statsrecht, welches die majestas populi Romani
sowohl in der republikanischen als in der kaiserlichen Periode procla-
mirte und die lex immer als voluntas populi Romani auffaszte und welches
hinwieder zur Zeit der Republik den Consuln ein regium imperium und
dem Senate die ganze oberste Verwaltungs- und Steuerhoheit (doch ge-
wisz ein Stück Regierungssouveränetät) beilegte, bleibt bei dieser Annahme
ebenso unerklärt, wie das englische Statsrecht, welches die Souveränetät
des Parlaments und des englischen Stats (Volks) in Harmonie bringt
mit der Souveränetät des Königs. Dasz völkerrechtlich auch die
deutschen Staten (ganz abgesehen von den Fürsten) als souveräne
Personen gelten, kann nicht bestritten werden. Wer aber eine Person ist
im Verkältnisz zu andern Staten, wird auch eine Person sein im Verhält-
nisz zu den Individuen im State und zu den Würdeträgern des States.
Die Gesetze sind auch in Deutschland Statsgesetze, und die Statsschulden
werden auch in Deutschland von den fürstlichen Schulden unterschieden;
d. h. auch das deutsche Statsrecht kann sich -- trotz aller Reminiscenzen
an die frühere patrimoniale oder absolute Fürstengewalt -- vor der nun

Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
das aber nicht etwa eine Eigenthümlichkeit des englischen
Statsrechts, sondern eine Grundansicht der modernen Reprä-
sentativverfassung überhaupt, welche den Fürsten zwar als
Haupt, aber gerade deszhalb auch als ein Glied des Volkes
betrachtet und welche die höchste, auch thatsächliche Aus-
übung der Souveränetät, die Gesetzgebung nicht dem Haupte
allein zugesteht, sondern nur dem Haupte in Verbindung mit
dem repräsentativen Körper, d. h. nur dem ganzen Stats-
körper. Die patrimoniale Statslehre, welche den Stat wie ein
Eigenthum des Fürsten ansieht und daher nur dem Fürsten
Souveränetät zuschreibt und die absolutistische Statslehre,
welche den Stat mit dem Fürsten identificirt und daher die
Statssouveränetät als Fürstensouveränetät faszt, verkennen
beide, dasz alle Macht des Fürsten wesentlich nur concentrirte
und zusammengefaszte Volksmacht ist und dasz das Volk und
der Stat als Rechtswesen bleibt, wenn gleich Fürsten
fallen und Dynastien untergehen. 6


6 Zöpfl (Grundsätze des gemeinen deutschen Statsrechts §§. 54—
56) verwirft nicht blosz für die deutschen Staten auch diese Stats-
souveränetät und behauptet, die Monarchie könne überhaupt nur die
Fürstensouveränetät, wie die Republik nur die Volkssouveränetät aner-
kennen. Das römische Statsrecht, welches die majestas populi Romani
sowohl in der republikanischen als in der kaiserlichen Periode procla-
mirte und die lex immer als voluntas populi Romani auffaszte und welches
hinwieder zur Zeit der Republik den Consuln ein regium imperium und
dem Senate die ganze oberste Verwaltungs- und Steuerhoheit (doch ge-
wisz ein Stück Regierungssouveränetät) beilegte, bleibt bei dieser Annahme
ebenso unerklärt, wie das englische Statsrecht, welches die Souveränetät
des Parlaments und des englischen Stats (Volks) in Harmonie bringt
mit der Souveränetät des Königs. Dasz völkerrechtlich auch die
deutschen Staten (ganz abgesehen von den Fürsten) als souveräne
Personen gelten, kann nicht bestritten werden. Wer aber eine Person ist
im Verkältnisz zu andern Staten, wird auch eine Person sein im Verhält-
nisz zu den Individuen im State und zu den Würdeträgern des States.
Die Gesetze sind auch in Deutschland Statsgesetze, und die Statsschulden
werden auch in Deutschland von den fürstlichen Schulden unterschieden;
d. h. auch das deutsche Statsrecht kann sich — trotz aller Reminiscenzen
an die frühere patrimoniale oder absolute Fürstengewalt — vor der nun
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[572/0590] Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc. das aber nicht etwa eine Eigenthümlichkeit des englischen Statsrechts, sondern eine Grundansicht der modernen Reprä- sentativverfassung überhaupt, welche den Fürsten zwar als Haupt, aber gerade deszhalb auch als ein Glied des Volkes betrachtet und welche die höchste, auch thatsächliche Aus- übung der Souveränetät, die Gesetzgebung nicht dem Haupte allein zugesteht, sondern nur dem Haupte in Verbindung mit dem repräsentativen Körper, d. h. nur dem ganzen Stats- körper. Die patrimoniale Statslehre, welche den Stat wie ein Eigenthum des Fürsten ansieht und daher nur dem Fürsten Souveränetät zuschreibt und die absolutistische Statslehre, welche den Stat mit dem Fürsten identificirt und daher die Statssouveränetät als Fürstensouveränetät faszt, verkennen beide, dasz alle Macht des Fürsten wesentlich nur concentrirte und zusammengefaszte Volksmacht ist und dasz das Volk und der Stat als Rechtswesen bleibt, wenn gleich Fürsten fallen und Dynastien untergehen. 6 6 Zöpfl (Grundsätze des gemeinen deutschen Statsrechts §§. 54— 56) verwirft nicht blosz für die deutschen Staten auch diese Stats- souveränetät und behauptet, die Monarchie könne überhaupt nur die Fürstensouveränetät, wie die Republik nur die Volkssouveränetät aner- kennen. Das römische Statsrecht, welches die majestas populi Romani sowohl in der republikanischen als in der kaiserlichen Periode procla- mirte und die lex immer als voluntas populi Romani auffaszte und welches hinwieder zur Zeit der Republik den Consuln ein regium imperium und dem Senate die ganze oberste Verwaltungs- und Steuerhoheit (doch ge- wisz ein Stück Regierungssouveränetät) beilegte, bleibt bei dieser Annahme ebenso unerklärt, wie das englische Statsrecht, welches die Souveränetät des Parlaments und des englischen Stats (Volks) in Harmonie bringt mit der Souveränetät des Königs. Dasz völkerrechtlich auch die deutschen Staten (ganz abgesehen von den Fürsten) als souveräne Personen gelten, kann nicht bestritten werden. Wer aber eine Person ist im Verkältnisz zu andern Staten, wird auch eine Person sein im Verhält- nisz zu den Individuen im State und zu den Würdeträgern des States. Die Gesetze sind auch in Deutschland Statsgesetze, und die Statsschulden werden auch in Deutschland von den fürstlichen Schulden unterschieden; d. h. auch das deutsche Statsrecht kann sich — trotz aller Reminiscenzen an die frühere patrimoniale oder absolute Fürstengewalt — vor der nun

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/590>, abgerufen am 22.11.2024.