Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.Zweites Capitel. Statssouveränetät und Regentensouveränetät. 7. Auszer dieser dem ganzen Stats- oder Volkskörper Zwischen jener Statssouveränetät und dieser Fürstensou- so ziemlich in der ganzen civilisirten Welt durchgedrungenen Einsicht
nicht verschlieszen, dasz das Volk doch noch etwas anderes und höheres bedente als die Gesammtheit der Gehorchenden und dasz der Stat eine Existenz, eine Hoheit und Machtfülle habe, die nicht ganz von der Hoheit und Machtfülle der Fürsten aufgezehrt werde. Ich gebe Zöpfl zu, dasz man durch die ausschlieszliche Behauptung der Fürstensouveränetät nicht logisch genöthigt wird, dieselbe als schrankenlos aufzufassen; aber die neuere Geschichte hat unwiderleglich bewiesen, dasz die Ueberspannung der fürstlichen Gewalt und die Miszachtung der Volksrechte in den deut- schen Ländern ebenso wie in den romanischen Ländern in dem Princip der ausschlieszlichen Fürstensouveränetät jederzeit eine gefährliche Un- terstützung gefunden hat. Zweites Capitel. Statssouveränetät und Regentensouveränetät. 7. Auszer dieser dem ganzen Stats- oder Volkskörper Zwischen jener Statssouveränetät und dieser Fürstensou- so ziemlich in der ganzen civilisirten Welt durchgedrungenen Einsicht
nicht verschlieszen, dasz das Volk doch noch etwas anderes und höheres bedente als die Gesammtheit der Gehorchenden und dasz der Stat eine Existenz, eine Hoheit und Machtfülle habe, die nicht ganz von der Hoheit und Machtfülle der Fürsten aufgezehrt werde. Ich gebe Zöpfl zu, dasz man durch die ausschlieszliche Behauptung der Fürstensouveränetät nicht logisch genöthigt wird, dieselbe als schrankenlos aufzufassen; aber die neuere Geschichte hat unwiderleglich bewiesen, dasz die Ueberspannung der fürstlichen Gewalt und die Miszachtung der Volksrechte in den deut- schen Ländern ebenso wie in den romanischen Ländern in dem Princip der ausschlieszlichen Fürstensouveränetät jederzeit eine gefährliche Un- terstützung gefunden hat. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0591" n="573"/> <fw place="top" type="header">Zweites Capitel. Statssouveränetät und Regentensouveränetät.</fw><lb/> <p>7. Auszer dieser dem ganzen Stats- oder Volkskörper<lb/> selbst inwohnenden Souveränetät gibt es aber noch <hi rendition="#g">inner-<lb/> halb</hi> des States eine <hi rendition="#g">Souveränetät des obersten Glie-<lb/> des</hi>, des <hi rendition="#g">Hauptes</hi>, die <hi rendition="#g">Regenten</hi>- oder, da sie in der<lb/> Monarchie am klarsten hervortritt, die <hi rendition="#g">Fürstensouveräne-<lb/> tät</hi>. Im Verhältnisz zu allen andern einzelnen Gliedern des<lb/> Statsorganismus und den einzelnen Statsbürgern kommt dem<lb/> Oberhaupte der Nation wieder die oberste Macht und Stellung<lb/> zu. So wird auch in dem englischen Statsrecht der <hi rendition="#g">König</hi><lb/> in besonderem Sinne der <hi rendition="#g">Souverän</hi> genannt, und so in<lb/> jedem monarchischen State dem <hi rendition="#g">Monarchen</hi> als solchen hin-<lb/> wieder Souveränetät beigelegt.</p><lb/> <p>Zwischen jener Statssouveränetät und dieser Fürstensou-<lb/> veränetät ist kein Widerspruch. Die Souveränetät wird nicht<lb/> dadurch gespalten, dasz etwa die eine Hälfte dem Volke, die<lb/> andere dem Fürsten zugetheilt wird. Das Verhältnisz der-<lb/> selben ist nicht das zweier eifersüchtiger Mächte, die sich um<lb/> die Herrschaft streiten. In beiden ist Einheit und Fülle der<lb/> Macht; aber es versteht sich von selbst, dasz hinwieder das<lb/><hi rendition="#g">Ganze</hi>, in welchem das Haupt selbst seiner obersten Stellung<lb/> im Körper gemäsz <hi rendition="#g">inbegriffen</hi> ist, auch dem Haupte <hi rendition="#g">für<lb/> sich allein</hi> übergeordnet ist. Das ganze Volk (der Stat) gibt<lb/> das Gesetz, aber innerhalb dessen Schranken bewegt sich das<lb/> Haupt mit voller Freiheit in der Ausübung der ihm zugehörigen<lb/><note xml:id="note-0591" prev="#note-0590" place="foot" n="6">so ziemlich in der ganzen civilisirten Welt durchgedrungenen Einsicht<lb/> nicht verschlieszen, dasz das Volk doch noch etwas anderes und höheres<lb/> bedente als die Gesammtheit der Gehorchenden und dasz der Stat eine<lb/> Existenz, eine Hoheit und Machtfülle habe, die nicht ganz von der Hoheit<lb/> und Machtfülle der Fürsten aufgezehrt werde. Ich gebe Zöpfl zu, dasz<lb/> man durch die ausschlieszliche Behauptung der Fürstensouveränetät nicht<lb/> logisch genöthigt wird, dieselbe als schrankenlos aufzufassen; aber die<lb/> neuere Geschichte hat unwiderleglich bewiesen, dasz die Ueberspannung<lb/> der fürstlichen Gewalt und die Miszachtung der Volksrechte in den deut-<lb/> schen Ländern ebenso wie in den romanischen Ländern in dem Princip<lb/> der ausschlieszlichen Fürstensouveränetät jederzeit eine gefährliche Un-<lb/> terstützung gefunden hat.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [573/0591]
Zweites Capitel. Statssouveränetät und Regentensouveränetät.
7. Auszer dieser dem ganzen Stats- oder Volkskörper
selbst inwohnenden Souveränetät gibt es aber noch inner-
halb des States eine Souveränetät des obersten Glie-
des, des Hauptes, die Regenten- oder, da sie in der
Monarchie am klarsten hervortritt, die Fürstensouveräne-
tät. Im Verhältnisz zu allen andern einzelnen Gliedern des
Statsorganismus und den einzelnen Statsbürgern kommt dem
Oberhaupte der Nation wieder die oberste Macht und Stellung
zu. So wird auch in dem englischen Statsrecht der König
in besonderem Sinne der Souverän genannt, und so in
jedem monarchischen State dem Monarchen als solchen hin-
wieder Souveränetät beigelegt.
Zwischen jener Statssouveränetät und dieser Fürstensou-
veränetät ist kein Widerspruch. Die Souveränetät wird nicht
dadurch gespalten, dasz etwa die eine Hälfte dem Volke, die
andere dem Fürsten zugetheilt wird. Das Verhältnisz der-
selben ist nicht das zweier eifersüchtiger Mächte, die sich um
die Herrschaft streiten. In beiden ist Einheit und Fülle der
Macht; aber es versteht sich von selbst, dasz hinwieder das
Ganze, in welchem das Haupt selbst seiner obersten Stellung
im Körper gemäsz inbegriffen ist, auch dem Haupte für
sich allein übergeordnet ist. Das ganze Volk (der Stat) gibt
das Gesetz, aber innerhalb dessen Schranken bewegt sich das
Haupt mit voller Freiheit in der Ausübung der ihm zugehörigen
6
6 so ziemlich in der ganzen civilisirten Welt durchgedrungenen Einsicht
nicht verschlieszen, dasz das Volk doch noch etwas anderes und höheres
bedente als die Gesammtheit der Gehorchenden und dasz der Stat eine
Existenz, eine Hoheit und Machtfülle habe, die nicht ganz von der Hoheit
und Machtfülle der Fürsten aufgezehrt werde. Ich gebe Zöpfl zu, dasz
man durch die ausschlieszliche Behauptung der Fürstensouveränetät nicht
logisch genöthigt wird, dieselbe als schrankenlos aufzufassen; aber die
neuere Geschichte hat unwiderleglich bewiesen, dasz die Ueberspannung
der fürstlichen Gewalt und die Miszachtung der Volksrechte in den deut-
schen Ländern ebenso wie in den romanischen Ländern in dem Princip
der ausschlieszlichen Fürstensouveränetät jederzeit eine gefährliche Un-
terstützung gefunden hat.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |