1. Das statlich geordnete Volk, der Stat, hat vorerst ein Recht auf Anerkennung und Achtung seiner Würde und Hoheit, oder wie die Römer sie genannt haben, seiner Ma- jestät. 1 Jede schwere Verletzung der Ehre, Macht und selbst der Ordnung des römischen States galt daher den Römern als ein crimen laesae majestatis.
2. Die Unabhängigkeit des States von fremden Staten ist ferner eine nothwendige Eigenschaft und Wirkung seiner Souveränetät. Wenn ein Stat genöthigt wird die statliche Ueberordnung eines andern States anzuerkennen, so verliert er seine Souveränetät und unterwirft sich der Souveränetät des letztern. 2
Indessen zerstört nicht jede Unterordnung eines States die Souveränetät desselben völlig, da die Abhängigkeit, welche mit derselben verbunden wird, nicht eine absolute ist und in manchen Verhältnissen die ursprüngliche Unabhängigkeit und Selbständigkeit wieder vortritt. In zusammengesetzten Staten, Statenbünden, Bundesstaten und Bundesreichen haben die Ein- zelstaten, obwohl sie in gewissen Bezichungen dem Ganzen untergeordnet sind, dennoch als Staten noch eine relative, zwar nicht dem Inhalte aber dem Umfange nach beschränkte
1Cicero de Oratore II, 39: "majestas est amplitudo ac dignitas ci- vitatis. Is eam minuit, qui exercitum hostibus populi Romani tradidit." Partit. orat. c. 30 -- "minuit is, qui per vim multitudinis rem ad sedi- tionem vocavit." Auctor ad Herennium II, 12 --: "minuit quia ea tollit ex quibus civitatis amplitudo constat -- qui amplitudinem civitatis de- trimento adficit." Vgl. Heineccii Antiquit. rom. IV, 18, 3. 46.
2 Die Römer waren daher gewohnt, in ihre Friedensschlüsse mit unterworfenen Staten die Formel aufzunehmen: "imperium majestatem- que populi Romani conservanto sine dolo malo." Cicero pro Balbo. 16. Livius 38. 11.
Drittes Capitel. I. Inhalt der Statssouveränetät.
Drittes Capitel. I. Inhalt der Statssouveränetät.
1. Das statlich geordnete Volk, der Stat, hat vorerst ein Recht auf Anerkennung und Achtung seiner Würde und Hoheit, oder wie die Römer sie genannt haben, seiner Ma- jestät. 1 Jede schwere Verletzung der Ehre, Macht und selbst der Ordnung des römischen States galt daher den Römern als ein crimen laesae majestatis.
2. Die Unabhängigkeit des States von fremden Staten ist ferner eine nothwendige Eigenschaft und Wirkung seiner Souveränetät. Wenn ein Stat genöthigt wird die statliche Ueberordnung eines andern States anzuerkennen, so verliert er seine Souveränetät und unterwirft sich der Souveränetät des letztern. 2
Indessen zerstört nicht jede Unterordnung eines States die Souveränetät desselben völlig, da die Abhängigkeit, welche mit derselben verbunden wird, nicht eine absolute ist und in manchen Verhältnissen die ursprüngliche Unabhängigkeit und Selbständigkeit wieder vortritt. In zusammengesetzten Staten, Statenbünden, Bundesstaten und Bundesreichen haben die Ein- zelstaten, obwohl sie in gewissen Bezichungen dem Ganzen untergeordnet sind, dennoch als Staten noch eine relative, zwar nicht dem Inhalte aber dem Umfange nach beschränkte
1Cicero de Oratore II, 39: „majestas est amplitudo ac dignitas ci- vitatis. Is eam minuit, qui exercitum hostibus populi Romani tradidit.“ Partit. orat. c. 30 — „minuit is, qui per vim multitudinis rem ad sedi- tionem vocavit.“ Auctor ad Herennium II, 12 —: „minuit quia ea tollit ex quibus civitatis amplitudo constat — qui amplitudinem civitatis de- trimento adficit.“ Vgl. Heineccii Antiquit. rom. IV, 18, 3. 46.
2 Die Römer waren daher gewohnt, in ihre Friedensschlüsse mit unterworfenen Staten die Formel aufzunehmen: „imperium majestatem- que populi Romani conservanto sine dolo malo.“ Cicero pro Balbo. 16. Livius 38. 11.
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Drittes Capitel. I. Inhalt der Statssouveränetät.
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I. Inhalt der Statssouveränetät.
1. Das statlich geordnete Volk, der Stat, hat vorerst ein
Recht auf Anerkennung und Achtung seiner Würde und
Hoheit, oder wie die Römer sie genannt haben, seiner Ma-
jestät. 1 Jede schwere Verletzung der Ehre, Macht und selbst
der Ordnung des römischen States galt daher den Römern als
ein crimen laesae majestatis.
2. Die Unabhängigkeit des States von fremden Staten
ist ferner eine nothwendige Eigenschaft und Wirkung seiner
Souveränetät. Wenn ein Stat genöthigt wird die statliche
Ueberordnung eines andern States anzuerkennen, so verliert
er seine Souveränetät und unterwirft sich der Souveränetät
des letztern. 2
Indessen zerstört nicht jede Unterordnung eines States
die Souveränetät desselben völlig, da die Abhängigkeit, welche
mit derselben verbunden wird, nicht eine absolute ist und in
manchen Verhältnissen die ursprüngliche Unabhängigkeit und
Selbständigkeit wieder vortritt. In zusammengesetzten Staten,
Statenbünden, Bundesstaten und Bundesreichen haben die Ein-
zelstaten, obwohl sie in gewissen Bezichungen dem Ganzen
untergeordnet sind, dennoch als Staten noch eine relative,
zwar nicht dem Inhalte aber dem Umfange nach beschränkte
1 Cicero de Oratore II, 39: „majestas est amplitudo ac dignitas ci-
vitatis. Is eam minuit, qui exercitum hostibus populi Romani tradidit.“
Partit. orat. c. 30 — „minuit is, qui per vim multitudinis rem ad sedi-
tionem vocavit.“ Auctor ad Herennium II, 12 —: „minuit quia ea tollit
ex quibus civitatis amplitudo constat — qui amplitudinem civitatis de-
trimento adficit.“ Vgl. Heineccii Antiquit. rom. IV, 18, 3. 46.
2 Die Römer waren daher gewohnt, in ihre Friedensschlüsse mit
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 575. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/593>, abgerufen am 26.06.2024.
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