Allerdings darf die Regel nicht in pedantischer Weise gehandhabt werden, und musz der Stat auch für die wünsch- baren Ausnahmen sorgen, nicht blosz Ausländern gegenüber, deren Fähigkeit auch ohne die Statsprüfung offenbar geworden ist, sondern ebenso für ausgezeichnete Inländer. Gerade die am meisten begabten Menschen gehen oft einen eigenthüm- lichen Lebensweg, und da wäre es eine Thorheit, würde der Stat ihrer Dienste entbehren müssen, weil sie nicht auf den gebahnten Wegen vorgegangen sind, sondern in schwierigeren Verhältnissen ihre Fähigkeiten bewährt haben. Es gilt das vorzüglich für die Aemter, die eine erhöhte statsmänni- sche oder wissenschaftliche Befähigung erfordern, wie Minister und Statsräthe oder Professoren an Universitäten. Für solche Ausnahmsfälle läszt sich indessen leicht sorgen, ohne die Regel irgend zu gefährden oder zu schwächen.
c) Der sogenannte Referendär- oder Practicanten- dienst, das Noviciat, d. h. die practische Einübung derer, welche die theoretische Statsprüfung bestanden haben, als Gehülfen der Beamten oder der Anwälte. Am Schlusse dieses Noviciats wird gewöhnlich durch eine zweite Stats- prüfung festgestellt, ob der Practicant nun reif geworden sei, damit ihm ein Statsamt anvertraut werde.1
d) Wenn so die Bedingungen für den Eintritt in den Statsdienst erfüllt sind, so erfolgt je nach Bedürfnisz und Bewerbung die Ernennung zu einem Statsamt.
Von da an findet nun grundsätzlich ein allmählicher Fortschritt statt, je nach den Dienstjahren und der be- währten Tüchtigkeit. Beförderung im Titel und Rang, in der Besoldung, auf der Stufenleiter der Aemter selbst ist dann
1 R. v. Mohl in der Zeitschrift für Rechtswissenschaft des Aus- landes von Mittermaier XVI. S. 431 ff. Ed. Laboulaye de l'enseig- nement et du noviciat administratif en Allemagne in Wolowsky Revue XVIII. Bluntschli Deutsche Rechtsschulen. 2. Aufl. S. 92 ff. Vivien Et. Adm. I. S. 205. v. Mohl Politik Bd. II.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 39
Neuntes Capitel. Besetzung der Statsämter.
Allerdings darf die Regel nicht in pedantischer Weise gehandhabt werden, und musz der Stat auch für die wünsch- baren Ausnahmen sorgen, nicht blosz Ausländern gegenüber, deren Fähigkeit auch ohne die Statsprüfung offenbar geworden ist, sondern ebenso für ausgezeichnete Inländer. Gerade die am meisten begabten Menschen gehen oft einen eigenthüm- lichen Lebensweg, und da wäre es eine Thorheit, würde der Stat ihrer Dienste entbehren müssen, weil sie nicht auf den gebahnten Wegen vorgegangen sind, sondern in schwierigeren Verhältnissen ihre Fähigkeiten bewährt haben. Es gilt das vorzüglich für die Aemter, die eine erhöhte statsmänni- sche oder wissenschaftliche Befähigung erfordern, wie Minister und Statsräthe oder Professoren an Universitäten. Für solche Ausnahmsfälle läszt sich indessen leicht sorgen, ohne die Regel irgend zu gefährden oder zu schwächen.
c) Der sogenannte Referendär- oder Practicanten- dienst, das Noviciat, d. h. die practische Einübung derer, welche die theoretische Statsprüfung bestanden haben, als Gehülfen der Beamten oder der Anwälte. Am Schlusse dieses Noviciats wird gewöhnlich durch eine zweite Stats- prüfung festgestellt, ob der Practicant nun reif geworden sei, damit ihm ein Statsamt anvertraut werde.1
d) Wenn so die Bedingungen für den Eintritt in den Statsdienst erfüllt sind, so erfolgt je nach Bedürfnisz und Bewerbung die Ernennung zu einem Statsamt.
Von da an findet nun grundsätzlich ein allmählicher Fortschritt statt, je nach den Dienstjahren und der be- währten Tüchtigkeit. Beförderung im Titel und Rang, in der Besoldung, auf der Stufenleiter der Aemter selbst ist dann
1 R. v. Mohl in der Zeitschrift für Rechtswissenschaft des Aus- landes von Mittermaier XVI. S. 431 ff. Ed. Laboulaye de l'enseig- nement et du noviciat administratif en Allemagne in Wolowsky Revue XVIII. Bluntschli Deutsche Rechtsschulen. 2. Aufl. S. 92 ff. Vivien Ét. Adm. I. S. 205. v. Mohl Politik Bd. II.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 39
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Neuntes Capitel. Besetzung der Statsämter.
Allerdings darf die Regel nicht in pedantischer Weise
gehandhabt werden, und musz der Stat auch für die wünsch-
baren Ausnahmen sorgen, nicht blosz Ausländern gegenüber,
deren Fähigkeit auch ohne die Statsprüfung offenbar geworden
ist, sondern ebenso für ausgezeichnete Inländer. Gerade die
am meisten begabten Menschen gehen oft einen eigenthüm-
lichen Lebensweg, und da wäre es eine Thorheit, würde der
Stat ihrer Dienste entbehren müssen, weil sie nicht auf den
gebahnten Wegen vorgegangen sind, sondern in schwierigeren
Verhältnissen ihre Fähigkeiten bewährt haben. Es gilt das
vorzüglich für die Aemter, die eine erhöhte statsmänni-
sche oder wissenschaftliche Befähigung erfordern, wie
Minister und Statsräthe oder Professoren an Universitäten.
Für solche Ausnahmsfälle läszt sich indessen leicht sorgen,
ohne die Regel irgend zu gefährden oder zu schwächen.
c) Der sogenannte Referendär- oder Practicanten-
dienst, das Noviciat, d. h. die practische Einübung
derer, welche die theoretische Statsprüfung bestanden haben,
als Gehülfen der Beamten oder der Anwälte. Am Schlusse
dieses Noviciats wird gewöhnlich durch eine zweite Stats-
prüfung festgestellt, ob der Practicant nun reif geworden
sei, damit ihm ein Statsamt anvertraut werde. 1
d) Wenn so die Bedingungen für den Eintritt in den
Statsdienst erfüllt sind, so erfolgt je nach Bedürfnisz und
Bewerbung die Ernennung zu einem Statsamt.
Von da an findet nun grundsätzlich ein allmählicher
Fortschritt statt, je nach den Dienstjahren und der be-
währten Tüchtigkeit. Beförderung im Titel und Rang, in
der Besoldung, auf der Stufenleiter der Aemter selbst ist dann
1 R. v. Mohl in der Zeitschrift für Rechtswissenschaft des Aus-
landes von Mittermaier XVI. S. 431 ff. Ed. Laboulaye de l'enseig-
nement et du noviciat administratif en Allemagne in Wolowsky Revue
XVIII. Bluntschli Deutsche Rechtsschulen. 2. Aufl. S. 92 ff. Vivien
Ét. Adm. I. S. 205. v. Mohl Politik Bd. II.
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 609. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/627>, abgerufen am 22.11.2024.
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