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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Recht der Neutralität.
einen bestimmten Handelsverkehr erlaubt, den er vor dem Kriege nicht
gestattet hat und vielleicht nach dem Kriege wieder beschränken wird.

1. Dieser Satz spricht sich gegen die sogenannte Regel von 1756 aus,
welche früher vorzüglich von den englischen Richtern und Juristen gehandhabt
und vertheidigt worden ist. Letztere Regel wurde zuerst in dem englisch-französischen
Kriege ausgesprochen, als die Franzosen, welche durch die englische Marine verhindert
wurden, mit ihren überseeischen Colonien den Handelsverkehr fortzusetzen, den neu-
tralen Holländischen Schiffen erlaubten, diesen Handel nun zu besorgen, von dem vor
dem Kriege die Neutralen überhaupt ausgeschlossen worden waren. Manche Hollän-
dischen Schiffe wurden nun von den englischen Kreuzern als Prise aufgebracht und
sammt ihrer Ladung verurtheilt. Damals freilich konnte man für diesen Eingriff
in die Freiheit des neutralen Handels noch den Grund anführen, daß derselbe nicht
überhaupt
den Neutralen gestattet worden sei, sondern ausschließlich den
Holländern und daß die Holländischen Schiffe gewissermaßen nur die Lücke der
französischen Schiffahrt ausfüllen und das abgeschlossene System des französischen
Handels im französischen Interesse für die Kriegszeit bewahren. Die Regel wurde
aber später allgemeiner verstanden und angewendet. Man führte dafür haupt-
sächlich folgende Gründe an:

a) Die Neutralen können höchstens verlangen, daß ihre herkömmliche
Handelsverbindung
(customary trade) mit den Ländern der
Kriegsparteien nicht über die Nothdurft des Kriegs hinaus gehemmt,
nicht aber, daß ihnen nun während des Krieges neue Handelswege
in jene Länder eröffnet werden; sie sollen geschont werden in ihren in
der Friedenszeit angeknüpften Handelsbeziehungen, aber
sie sollen nicht den Kriegszustand zu einer Erweiterung ihres
Handels in Feindesland ausbeuten
dürfen.
b) Würde man das gestatten, so würde die Vertheidigungsfähigkeit
des Feindes
zum Schaden des Gegners vergrößert, was dieser
nicht zu dulden brauche.

2. Allein diese Gründe halten doch der Prüfung nicht Stand, und vermögen
die unbestreitbare Grundwahrheit, daß der Handel ein Friedensgeschäft und
daher den Neutralen nicht zu verwehren, nicht zu entkräften. Die fried-
liche Natur des Handels wird durch den Krieg nicht aufgehoben und nicht geändert.
Daher ist

a) kein Grund zwischen dem herkömmlichen Handel vor dem Krieg und
dem neuen Handel während des Kriegs zu unterscheiden und einer-
seits die Fortsetzung des ersten zu gestatten, aber andererseits diesen zu
verbieten. Der Handel ist nicht Bewahrung des Hergebrachten, sondern
sucht fortwährend neue Wege und knüpft unablässig erweiterte Verbin-
dungen an.
b) Wenn auch ausnahmsweise sich im Kriege neue günstige Chancen
für die Neutralen ergeben, so darf man ihnen diese Vortheile um so

Recht der Neutralität.
einen beſtimmten Handelsverkehr erlaubt, den er vor dem Kriege nicht
geſtattet hat und vielleicht nach dem Kriege wieder beſchränken wird.

1. Dieſer Satz ſpricht ſich gegen die ſogenannte Regel von 1756 aus,
welche früher vorzüglich von den engliſchen Richtern und Juriſten gehandhabt
und vertheidigt worden iſt. Letztere Regel wurde zuerſt in dem engliſch-franzöſiſchen
Kriege ausgeſprochen, als die Franzoſen, welche durch die engliſche Marine verhindert
wurden, mit ihren überſeeiſchen Colonien den Handelsverkehr fortzuſetzen, den neu-
tralen Holländiſchen Schiffen erlaubten, dieſen Handel nun zu beſorgen, von dem vor
dem Kriege die Neutralen überhaupt ausgeſchloſſen worden waren. Manche Hollän-
diſchen Schiffe wurden nun von den engliſchen Kreuzern als Priſe aufgebracht und
ſammt ihrer Ladung verurtheilt. Damals freilich konnte man für dieſen Eingriff
in die Freiheit des neutralen Handels noch den Grund anführen, daß derſelbe nicht
überhaupt
den Neutralen geſtattet worden ſei, ſondern ausſchließlich den
Holländern und daß die Holländiſchen Schiffe gewiſſermaßen nur die Lücke der
franzöſiſchen Schiffahrt ausfüllen und das abgeſchloſſene Syſtem des franzöſiſchen
Handels im franzöſiſchen Intereſſe für die Kriegszeit bewahren. Die Regel wurde
aber ſpäter allgemeiner verſtanden und angewendet. Man führte dafür haupt-
ſächlich folgende Gründe an:

a) Die Neutralen können höchſtens verlangen, daß ihre herkömmliche
Handelsverbindung
(customary trade) mit den Ländern der
Kriegsparteien nicht über die Nothdurft des Kriegs hinaus gehemmt,
nicht aber, daß ihnen nun während des Krieges neue Handelswege
in jene Länder eröffnet werden; ſie ſollen geſchont werden in ihren in
der Friedenszeit angeknüpften Handelsbeziehungen, aber
ſie ſollen nicht den Kriegszuſtand zu einer Erweiterung ihres
Handels in Feindesland ausbeuten
dürfen.
b) Würde man das geſtatten, ſo würde die Vertheidigungsfähigkeit
des Feindes
zum Schaden des Gegners vergrößert, was dieſer
nicht zu dulden brauche.

2. Allein dieſe Gründe halten doch der Prüfung nicht Stand, und vermögen
die unbeſtreitbare Grundwahrheit, daß der Handel ein Friedensgeſchäft und
daher den Neutralen nicht zu verwehren, nicht zu entkräften. Die fried-
liche Natur des Handels wird durch den Krieg nicht aufgehoben und nicht geändert.
Daher iſt

a) kein Grund zwiſchen dem herkömmlichen Handel vor dem Krieg und
dem neuen Handel während des Kriegs zu unterſcheiden und einer-
ſeits die Fortſetzung des erſten zu geſtatten, aber andererſeits dieſen zu
verbieten. Der Handel iſt nicht Bewahrung des Hergebrachten, ſondern
ſucht fortwährend neue Wege und knüpft unabläſſig erweiterte Verbin-
dungen an.
b) Wenn auch ausnahmsweiſe ſich im Kriege neue günſtige Chancen
für die Neutralen ergeben, ſo darf man ihnen dieſe Vortheile um ſo
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[431/0453] Recht der Neutralität. einen beſtimmten Handelsverkehr erlaubt, den er vor dem Kriege nicht geſtattet hat und vielleicht nach dem Kriege wieder beſchränken wird. 1. Dieſer Satz ſpricht ſich gegen die ſogenannte Regel von 1756 aus, welche früher vorzüglich von den engliſchen Richtern und Juriſten gehandhabt und vertheidigt worden iſt. Letztere Regel wurde zuerſt in dem engliſch-franzöſiſchen Kriege ausgeſprochen, als die Franzoſen, welche durch die engliſche Marine verhindert wurden, mit ihren überſeeiſchen Colonien den Handelsverkehr fortzuſetzen, den neu- tralen Holländiſchen Schiffen erlaubten, dieſen Handel nun zu beſorgen, von dem vor dem Kriege die Neutralen überhaupt ausgeſchloſſen worden waren. Manche Hollän- diſchen Schiffe wurden nun von den engliſchen Kreuzern als Priſe aufgebracht und ſammt ihrer Ladung verurtheilt. Damals freilich konnte man für dieſen Eingriff in die Freiheit des neutralen Handels noch den Grund anführen, daß derſelbe nicht überhaupt den Neutralen geſtattet worden ſei, ſondern ausſchließlich den Holländern und daß die Holländiſchen Schiffe gewiſſermaßen nur die Lücke der franzöſiſchen Schiffahrt ausfüllen und das abgeſchloſſene Syſtem des franzöſiſchen Handels im franzöſiſchen Intereſſe für die Kriegszeit bewahren. Die Regel wurde aber ſpäter allgemeiner verſtanden und angewendet. Man führte dafür haupt- ſächlich folgende Gründe an: a) Die Neutralen können höchſtens verlangen, daß ihre herkömmliche Handelsverbindung (customary trade) mit den Ländern der Kriegsparteien nicht über die Nothdurft des Kriegs hinaus gehemmt, nicht aber, daß ihnen nun während des Krieges neue Handelswege in jene Länder eröffnet werden; ſie ſollen geſchont werden in ihren in der Friedenszeit angeknüpften Handelsbeziehungen, aber ſie ſollen nicht den Kriegszuſtand zu einer Erweiterung ihres Handels in Feindesland ausbeuten dürfen. b) Würde man das geſtatten, ſo würde die Vertheidigungsfähigkeit des Feindes zum Schaden des Gegners vergrößert, was dieſer nicht zu dulden brauche. 2. Allein dieſe Gründe halten doch der Prüfung nicht Stand, und vermögen die unbeſtreitbare Grundwahrheit, daß der Handel ein Friedensgeſchäft und daher den Neutralen nicht zu verwehren, nicht zu entkräften. Die fried- liche Natur des Handels wird durch den Krieg nicht aufgehoben und nicht geändert. Daher iſt a) kein Grund zwiſchen dem herkömmlichen Handel vor dem Krieg und dem neuen Handel während des Kriegs zu unterſcheiden und einer- ſeits die Fortſetzung des erſten zu geſtatten, aber andererſeits dieſen zu verbieten. Der Handel iſt nicht Bewahrung des Hergebrachten, ſondern ſucht fortwährend neue Wege und knüpft unabläſſig erweiterte Verbin- dungen an. b) Wenn auch ausnahmsweiſe ſich im Kriege neue günſtige Chancen für die Neutralen ergeben, ſo darf man ihnen dieſe Vortheile um ſo

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/453>, abgerufen am 22.11.2024.