in Rechtsbeziehungen treten, welche einen mehr oder weniger ausgeprägten völkerrechtlichen Charakter haben.
Im Mittelalter betrachtete sich die römisch-katholische Kirche als oberste völkerrechtliche Autorität. Das heutige Völkerrecht aber beruht nicht auf einer reli- giösen und kirchlichen, sondern allein auf politischer und statlicher Autorität. Aber es erkennt die Persönlichkeit der Kirchen an und betrachtet die Verträge zwischen Kirche und Stat besonders dann ähnlich wie die Verträge zwischen Stat und Stat, wenn die Kirche nicht bloß auf das Statsgebiet begränzt ist, und ihr selbständiger Charakter auch in der Organisation ausgebildet erscheint. Am deutlich- sten zeigt sich das in den Concordaten zwischen einzelnen Staten und dem päpst- lichen Stuhl. Aber auch eine Landeskirche kann vertragsmäßige Rechte haben gegenüber dem State, mit dem sie verbunden ist. Nur wird dann das Verhältniß eher einen stats- oder privatrechtlichen, seltener einen völkerrechtlichen Cha- rakter haben.
27.
Die Statshäupter (Souveräne) und die Gesanten der Staten sind nur in abgeleitetem Sinne als völkerrechtliche Personen insofern zu betrach- ten, als sie als Organe oder Repräsentanten der Staten erscheinen und mit andern Staten in Beziehung treten.
Es gilt das nicht allein von den Fürsten, sondern auch von republikanischen Regierungen, ebenso nicht bloß von den eigentlichen Gesanten, sondern von den diplo- matischen Personen überhaupt. Sie alle aber sind nur völkerrechtliche Personen in mittelbarem Sinne, durch Vermittlung der Staten als der eigentlichen völker- rechtlichen Personen. Hören sie auf, Organe oder Vertreter der Staten zu sein, so erlischt damit ihre völkerrechtliche Bedeutung von selbst.
2. Entstehung und Anerkennung neuer Staten.
28.
Die neue Statenbildung ist ein geschichtlicher Vorgang in dem poli- tischen Leben der Völker.
Das Völkerrecht schafft nicht neue Staten, aber es verbindet die gleichzeitig vorhandenen Staten zu einer gemeinsamen menschlichen Rechts- ordnung.
5*
Völkerrechtliche Perſonen.
in Rechtsbeziehungen treten, welche einen mehr oder weniger ausgeprägten völkerrechtlichen Charakter haben.
Im Mittelalter betrachtete ſich die römiſch-katholiſche Kirche als oberſte völkerrechtliche Autorität. Das heutige Völkerrecht aber beruht nicht auf einer reli- giöſen und kirchlichen, ſondern allein auf politiſcher und ſtatlicher Autorität. Aber es erkennt die Perſönlichkeit der Kirchen an und betrachtet die Verträge zwiſchen Kirche und Stat beſonders dann ähnlich wie die Verträge zwiſchen Stat und Stat, wenn die Kirche nicht bloß auf das Statsgebiet begränzt iſt, und ihr ſelbſtändiger Charakter auch in der Organiſation ausgebildet erſcheint. Am deutlich- ſten zeigt ſich das in den Concordaten zwiſchen einzelnen Staten und dem päpſt- lichen Stuhl. Aber auch eine Landeskirche kann vertragsmäßige Rechte haben gegenüber dem State, mit dem ſie verbunden iſt. Nur wird dann das Verhältniß eher einen ſtats- oder privatrechtlichen, ſeltener einen völkerrechtlichen Cha- rakter haben.
27.
Die Statshäupter (Souveräne) und die Geſanten der Staten ſind nur in abgeleitetem Sinne als völkerrechtliche Perſonen inſofern zu betrach- ten, als ſie als Organe oder Repräſentanten der Staten erſcheinen und mit andern Staten in Beziehung treten.
Es gilt das nicht allein von den Fürſten, ſondern auch von republikaniſchen Regierungen, ebenſo nicht bloß von den eigentlichen Geſanten, ſondern von den diplo- matiſchen Perſonen überhaupt. Sie alle aber ſind nur völkerrechtliche Perſonen in mittelbarem Sinne, durch Vermittlung der Staten als der eigentlichen völker- rechtlichen Perſonen. Hören ſie auf, Organe oder Vertreter der Staten zu ſein, ſo erliſcht damit ihre völkerrechtliche Bedeutung von ſelbſt.
2. Entſtehung und Anerkennung neuer Staten.
28.
Die neue Statenbildung iſt ein geſchichtlicher Vorgang in dem poli- tiſchen Leben der Völker.
Das Völkerrecht ſchafft nicht neue Staten, aber es verbindet die gleichzeitig vorhandenen Staten zu einer gemeinſamen menſchlichen Rechts- ordnung.
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Völkerrechtliche Perſonen.
in Rechtsbeziehungen treten, welche einen mehr oder weniger ausgeprägten
völkerrechtlichen Charakter haben.
Im Mittelalter betrachtete ſich die römiſch-katholiſche Kirche als oberſte
völkerrechtliche Autorität. Das heutige Völkerrecht aber beruht nicht auf einer reli-
giöſen und kirchlichen, ſondern allein auf politiſcher und ſtatlicher Autorität. Aber
es erkennt die Perſönlichkeit der Kirchen an und betrachtet die Verträge
zwiſchen Kirche und Stat beſonders dann ähnlich wie die Verträge zwiſchen Stat
und Stat, wenn die Kirche nicht bloß auf das Statsgebiet begränzt iſt, und ihr
ſelbſtändiger Charakter auch in der Organiſation ausgebildet erſcheint. Am deutlich-
ſten zeigt ſich das in den Concordaten zwiſchen einzelnen Staten und dem päpſt-
lichen Stuhl. Aber auch eine Landeskirche kann vertragsmäßige Rechte haben
gegenüber dem State, mit dem ſie verbunden iſt. Nur wird dann das Verhältniß
eher einen ſtats- oder privatrechtlichen, ſeltener einen völkerrechtlichen Cha-
rakter haben.
27.
Die Statshäupter (Souveräne) und die Geſanten der Staten ſind
nur in abgeleitetem Sinne als völkerrechtliche Perſonen inſofern zu betrach-
ten, als ſie als Organe oder Repräſentanten der Staten erſcheinen und
mit andern Staten in Beziehung treten.
Es gilt das nicht allein von den Fürſten, ſondern auch von republikaniſchen
Regierungen, ebenſo nicht bloß von den eigentlichen Geſanten, ſondern von den diplo-
matiſchen Perſonen überhaupt. Sie alle aber ſind nur völkerrechtliche Perſonen in
mittelbarem Sinne, durch Vermittlung der Staten als der eigentlichen völker-
rechtlichen Perſonen. Hören ſie auf, Organe oder Vertreter der Staten zu ſein, ſo
erliſcht damit ihre völkerrechtliche Bedeutung von ſelbſt.
2. Entſtehung und Anerkennung neuer Staten.
28.
Die neue Statenbildung iſt ein geſchichtlicher Vorgang in dem poli-
tiſchen Leben der Völker.
Das Völkerrecht ſchafft nicht neue Staten, aber es verbindet die
gleichzeitig vorhandenen Staten zu einer gemeinſamen menſchlichen Rechts-
ordnung.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/89>, abgerufen am 21.11.2024.
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