[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.Von dem Sinnreichen mit Aufmerksamkeit nnd Nachdenken durchgehet,geräth öfters in Zweifel, ob er die Reinigkeit der Sprache, oder die Deutlichkeit der Begriffe, oder die Gründlichkeit der Beweise, oder die ge- schikte Verknüpfung der Wahrheiten am meisten bewundern solle. Die Lehrart in denselben hat et- was Ungemeines, und wird vermuthlich die Fin- sterniß vertreiben, in welcher die Deutschen bis- dahin gröstentheils in Ansehen derjenigen Wis- senschaften getappet haben, zu welchen etwas mehreres als die Geduld eins Lastthieres erfodert wird. Die Hoffnung, die ich desfalls auf den innerlichen Werth dieser Schriften gesezet habe, hat einen so gewissen Grund, daß ich sie nicht sin- ken lasse, ungeachtet ich wohl sehe, daß die An- zahl derer noch sehr gering ist, welche die darin- nen enthaltene Lehren mit Nuzen zu brauchen wis- sen. Dennoch hoffe ich, daß man in künftigen Zeiten die grossen und heilsamen Wirkungen der- selben schaft der deutschen Sprache hätten untersuchet werden
sollen: Allein es ist bey dem Versprechen geblieben. Da mithin in dem gedrükten Stüke die Urtheile nicht auf das Dünkel des Kunstrichters ausgesprochen, son- dern auf gewisse Grundsäze, die man jedesmal fest se- zet, gebauet werden, so glaube ich, daß mein Vorhaben die Artilel desselben sämmtlich, oder die vornehmsten in meiner Sammlung nach und nach wider aufzulegen, mei- nen Lesern nicht unangenehm seyn werde, ungeachtet die Wochenblätter, welche Anlaß dazu gegeben haben, seit etlichen Jahren die Gunst und den Beyfall der eklern Deut- schen verlohren haben. Jch will den Anfang mit dem Ab- schnitte von dem Sinnreichen und dem Scharfsinnigen ma- chen. Von dem Sinnreichen mit Aufmerkſamkeit nnd Nachdenken durchgehet,geraͤth oͤfters in Zweifel, ob er die Reinigkeit der Sprache, oder die Deutlichkeit der Begriffe, oder die Gruͤndlichkeit der Beweiſe, oder die ge- ſchikte Verknuͤpfung der Wahrheiten am meiſten bewundern ſolle. Die Lehrart in denſelben hat et- was Ungemeines, und wird vermuthlich die Fin- ſterniß vertreiben, in welcher die Deutſchen bis- dahin groͤſtentheils in Anſehen derjenigen Wiſ- ſenſchaften getappet haben, zu welchen etwas mehreres als die Geduld eins Laſtthieres erfodert wird. Die Hoffnung, die ich desfalls auf den innerlichen Werth dieſer Schriften geſezet habe, hat einen ſo gewiſſen Grund, daß ich ſie nicht ſin- ken laſſe, ungeachtet ich wohl ſehe, daß die An- zahl derer noch ſehr gering iſt, welche die darin- nen enthaltene Lehren mit Nuzen zu brauchen wiſ- ſen. Dennoch hoffe ich, daß man in kuͤnftigen Zeiten die groſſen und heilſamen Wirkungen der- ſelben ſchaft der deutſchen Sprache haͤtten unterſuchet werden
ſollen: Allein es iſt bey dem Verſprechen geblieben. Da mithin in dem gedruͤkten Stuͤke die Urtheile nicht auf das Duͤnkel des Kunſtrichters ausgeſprochen, ſon- dern auf gewiſſe Grundſaͤze, die man jedesmal feſt ſe- zet, gebauet werden, ſo glaube ich, daß mein Vorhaben die Artilel deſſelben ſaͤmmtlich, oder die vornehmſten in meiner Sammlung nach und nach wider aufzulegen, mei- nen Leſern nicht unangenehm ſeyn werde, ungeachtet die Wochenblaͤtter, welche Anlaß dazu gegeben haben, ſeit etlichen Jahren die Gunſt und den Beyfall der eklern Deut- ſchen verlohren haben. Jch will den Anfang mit dem Ab- ſchnitte von dem Sinnreichen und dem Scharfſinnigen ma- chen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0104" n="88"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dem Sinnreichen</hi></fw><lb/> mit Aufmerkſamkeit nnd Nachdenken durchgehet,<lb/> geraͤth oͤfters in Zweifel, ob er die Reinigkeit der<lb/> Sprache, oder die Deutlichkeit der Begriffe,<lb/> oder die Gruͤndlichkeit der Beweiſe, oder die ge-<lb/> ſchikte Verknuͤpfung der Wahrheiten am meiſten<lb/> bewundern ſolle. Die Lehrart in denſelben hat et-<lb/> was Ungemeines, und wird vermuthlich die Fin-<lb/> ſterniß vertreiben, in welcher die Deutſchen bis-<lb/> dahin groͤſtentheils in Anſehen derjenigen Wiſ-<lb/> ſenſchaften getappet haben, zu welchen etwas<lb/> mehreres als die Geduld eins Laſtthieres erfodert<lb/> wird. Die Hoffnung, die ich desfalls auf den<lb/> innerlichen Werth dieſer Schriften geſezet habe,<lb/> hat einen ſo gewiſſen Grund, daß ich ſie nicht ſin-<lb/> ken laſſe, ungeachtet ich wohl ſehe, daß die An-<lb/> zahl derer noch ſehr gering iſt, welche die darin-<lb/> nen enthaltene Lehren mit Nuzen zu brauchen wiſ-<lb/> ſen. Dennoch hoffe ich, daß man in kuͤnftigen<lb/> Zeiten die groſſen und heilſamen Wirkungen der-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſelben</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_10_2" prev="#seg2pn_10_1" place="foot" n="(*)">ſchaft der deutſchen Sprache haͤtten unterſuchet werden<lb/> ſollen: Allein es iſt bey dem Verſprechen geblieben.<lb/> Da mithin in dem gedruͤkten Stuͤke die Urtheile nicht<lb/> auf das Duͤnkel des Kunſtrichters ausgeſprochen, ſon-<lb/> dern auf gewiſſe Grundſaͤze, die man jedesmal feſt ſe-<lb/> zet, gebauet werden, ſo glaube ich, daß mein Vorhaben<lb/> die Artilel deſſelben ſaͤmmtlich, oder die vornehmſten in<lb/> meiner Sammlung nach und nach wider aufzulegen, mei-<lb/> nen Leſern nicht unangenehm ſeyn werde, ungeachtet die<lb/> Wochenblaͤtter, welche Anlaß dazu gegeben haben, ſeit<lb/> etlichen Jahren die Gunſt und den Beyfall der eklern Deut-<lb/> ſchen verlohren haben. Jch will den Anfang mit dem Ab-<lb/> ſchnitte von dem <hi rendition="#fr">Sinnreichen</hi> und dem <hi rendition="#fr">Scharfſinnigen</hi> ma-<lb/> chen.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [88/0104]
Von dem Sinnreichen
mit Aufmerkſamkeit nnd Nachdenken durchgehet,
geraͤth oͤfters in Zweifel, ob er die Reinigkeit der
Sprache, oder die Deutlichkeit der Begriffe,
oder die Gruͤndlichkeit der Beweiſe, oder die ge-
ſchikte Verknuͤpfung der Wahrheiten am meiſten
bewundern ſolle. Die Lehrart in denſelben hat et-
was Ungemeines, und wird vermuthlich die Fin-
ſterniß vertreiben, in welcher die Deutſchen bis-
dahin groͤſtentheils in Anſehen derjenigen Wiſ-
ſenſchaften getappet haben, zu welchen etwas
mehreres als die Geduld eins Laſtthieres erfodert
wird. Die Hoffnung, die ich desfalls auf den
innerlichen Werth dieſer Schriften geſezet habe,
hat einen ſo gewiſſen Grund, daß ich ſie nicht ſin-
ken laſſe, ungeachtet ich wohl ſehe, daß die An-
zahl derer noch ſehr gering iſt, welche die darin-
nen enthaltene Lehren mit Nuzen zu brauchen wiſ-
ſen. Dennoch hoffe ich, daß man in kuͤnftigen
Zeiten die groſſen und heilſamen Wirkungen der-
ſelben
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(*) ſchaft der deutſchen Sprache haͤtten unterſuchet werden
ſollen: Allein es iſt bey dem Verſprechen geblieben.
Da mithin in dem gedruͤkten Stuͤke die Urtheile nicht
auf das Duͤnkel des Kunſtrichters ausgeſprochen, ſon-
dern auf gewiſſe Grundſaͤze, die man jedesmal feſt ſe-
zet, gebauet werden, ſo glaube ich, daß mein Vorhaben
die Artilel deſſelben ſaͤmmtlich, oder die vornehmſten in
meiner Sammlung nach und nach wider aufzulegen, mei-
nen Leſern nicht unangenehm ſeyn werde, ungeachtet die
Wochenblaͤtter, welche Anlaß dazu gegeben haben, ſeit
etlichen Jahren die Gunſt und den Beyfall der eklern Deut-
ſchen verlohren haben. Jch will den Anfang mit dem Ab-
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chen.
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