"mögen auf ihre Schriften stoltz werden. Sie "haben ein Recht dazu, welches ich ihnen nicht "streitig machen kann. Sie sind so glücklich "dasjenige in sich selbst zu finden, was Leute von "meiner Gattung, nach Art ämsiger Bienen, "erst auf fremden Fluren mit vieler Mühe zusam- "mensuchen müssen! Jhr unerschöpflicher Witz "vertritt bey ihnen die Stelle grosser Büchersäle, "und einer langweiligen Belesenheit. Daher "können sie ungescheut diejenigen Opfer sich selbst "anzünden, die wir andern unsern Vorgängern "und Lehrern zu bringen pflegen. Was ist billi- "ger, als daß ein jeder diejenige Quelle krönet, "daraus er geschöpfet hat! Und ich bin also ver- "sichert, daß niemand von diesen grossen Gei- "stern mir das Bekänntniß mißgönnen wird, "daß ich alles, was in meiner critischen Dicht- "kunst gutes enthalten seyn würde, nicht mir "selbst, sondern den grösten Critickverständigen "alter und neuer Zeiten zu verdancken hätte."
Allein hat ihm nicht eine unzeitige Bescheidenheit diesen ironischen Schertz wider die Erfinder neuer Wahrheiten, oder wenigstens neuer Formen, schon bekannte Wahrheiten vorzutragen, in den Sinn gegeben, und ihn geheissen, auf diese Wei- se die rühmliche Eigenschaft eines Urhebers von sich abzulehnen? Jemand hat vermeinet, daß er die Sachen, so er aus andern genommen, sich durch eine gewisse Umgiessung so gar zu eigen zu machen gewußt habe, daß sie selbst schwerlich ver- mercken könnten, was davon erstlich ihnen zuge- hört hätte. Hr. Voltaire, Hr. Muratori, und
andere
Nachrichten von dem Urſprunge
„moͤgen auf ihre Schriften ſtoltz werden. Sie „haben ein Recht dazu, welches ich ihnen nicht „ſtreitig machen kann. Sie ſind ſo gluͤcklich „dasjenige in ſich ſelbſt zu finden, was Leute von „meiner Gattung, nach Art aͤmſiger Bienen, „erſt auf fremden Fluren mit vieler Muͤhe zuſam- „menſuchen muͤſſen! Jhr unerſchoͤpflicher Witz „vertritt bey ihnen die Stelle groſſer Buͤcherſaͤle, „und einer langweiligen Beleſenheit. Daher „koͤnnen ſie ungeſcheut diejenigen Opfer ſich ſelbſt „anzuͤnden, die wir andern unſern Vorgaͤngern „und Lehrern zu bringen pflegen. Was iſt billi- „ger, als daß ein jeder diejenige Quelle kroͤnet, „daraus er geſchoͤpfet hat! Und ich bin alſo ver- „ſichert, daß niemand von dieſen groſſen Gei- „ſtern mir das Bekaͤnntniß mißgoͤnnen wird, „daß ich alles, was in meiner critiſchen Dicht- „kunſt gutes enthalten ſeyn wuͤrde, nicht mir „ſelbſt, ſondern den groͤſten Critickverſtaͤndigen „alter und neuer Zeiten zu verdancken haͤtte.„
Allein hat ihm nicht eine unzeitige Beſcheidenheit dieſen ironiſchen Schertz wider die Erfinder neuer Wahrheiten, oder wenigſtens neuer Formen, ſchon bekannte Wahrheiten vorzutragen, in den Sinn gegeben, und ihn geheiſſen, auf dieſe Wei- ſe die ruͤhmliche Eigenſchaft eines Urhebers von ſich abzulehnen? Jemand hat vermeinet, daß er die Sachen, ſo er aus andern genommen, ſich durch eine gewiſſe Umgieſſung ſo gar zu eigen zu machen gewußt habe, daß ſie ſelbſt ſchwerlich ver- mercken koͤnnten, was davon erſtlich ihnen zuge- hoͤrt haͤtte. Hr. Voltaire, Hr. Muratori, und
andere
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Nachrichten von dem Urſprunge
„moͤgen auf ihre Schriften ſtoltz werden. Sie
„haben ein Recht dazu, welches ich ihnen nicht
„ſtreitig machen kann. Sie ſind ſo gluͤcklich
„dasjenige in ſich ſelbſt zu finden, was Leute von
„meiner Gattung, nach Art aͤmſiger Bienen,
„erſt auf fremden Fluren mit vieler Muͤhe zuſam-
„menſuchen muͤſſen! Jhr unerſchoͤpflicher Witz
„vertritt bey ihnen die Stelle groſſer Buͤcherſaͤle,
„und einer langweiligen Beleſenheit. Daher
„koͤnnen ſie ungeſcheut diejenigen Opfer ſich ſelbſt
„anzuͤnden, die wir andern unſern Vorgaͤngern
„und Lehrern zu bringen pflegen. Was iſt billi-
„ger, als daß ein jeder diejenige Quelle kroͤnet,
„daraus er geſchoͤpfet hat! Und ich bin alſo ver-
„ſichert, daß niemand von dieſen groſſen Gei-
„ſtern mir das Bekaͤnntniß mißgoͤnnen wird,
„daß ich alles, was in meiner critiſchen Dicht-
„kunſt gutes enthalten ſeyn wuͤrde, nicht mir
„ſelbſt, ſondern den groͤſten Critickverſtaͤndigen
„alter und neuer Zeiten zu verdancken haͤtte.„
Allein hat ihm nicht eine unzeitige Beſcheidenheit
dieſen ironiſchen Schertz wider die Erfinder neuer
Wahrheiten, oder wenigſtens neuer Formen,
ſchon bekannte Wahrheiten vorzutragen, in den
Sinn gegeben, und ihn geheiſſen, auf dieſe Wei-
ſe die ruͤhmliche Eigenſchaft eines Urhebers von
ſich abzulehnen? Jemand hat vermeinet, daß er
die Sachen, ſo er aus andern genommen, ſich
durch eine gewiſſe Umgieſſung ſo gar zu eigen zu
machen gewußt habe, daß ſie ſelbſt ſchwerlich ver-
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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/166>, abgerufen am 16.02.2025.
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