[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.für die Tr-ll-rischen Fabeln. um von dem Werth dieser Critischen Dicht-kunst hieraus zu urtheilen; denn alles zu beant- das derselbe ist nicht von der Art derjenigen, die, wenn sie etwan mit einem strengen Gegner zu thun haben, aus einer gantzen Schrift nur dasjenige herausklauben, was am schwächsten scheinet, und noch wohl zu ver- antworten ist, inzwischen aber die stärcksten Einwürffe listiger Weise verhölen. Man darf nur diese Fragen durchlesen, so wird man mit Händen greiffen müssen, daß es lauter Kleinigkeiten sind, die keine Widerle- gung verdienen. Was liegt endlich dem Staate, oder der Kirchen, oder dem Hauswesen daran, ob die Leh- re vorne oder hinten an der Fabel stehe, wenn nur eine darinnen ist? Ob sie Wahrscheinlichkeit genug ha- be, wenn sie nur lehrreich und ergetzlich ist? Jst das Vorhaben, den Rheinstrom in zween Töpfe auszuschö- pfen, nicht eben so thöricht und unmöglich, als das Weltmeer in ein Grüblein zu leiten? etc. etc. Um von dem Werth dieser Critischen Dichtkunst hieraus zu urtheilen) Ex ungue Leonem! Es ist zwar nicht zu leugnen, was Plinius sagt: Nullus li- ber tam malus est, in quo non aliquid insit boni. Doch hindert dieses uicht, daß man nicht ein Buch dem andern vorziehen dürfe. Wir haben ja Hrn. G-ttsch-ds Critische Dichtkunst, und so hätten wir dieser neuen Critischen Dichtkunst wohl entbehren können; um so viel mehr, da jener so bescheiden und höflich ist, daß er, die Lebenden nicht zu erzörnen, sich nicht scheuet, die Manes der abgelebten Dichter in ihrer Ruhe zu stö- ren; ungeachtet es in dem gemeinen Sprüchwort heißt: De Mortuis nonnisi bene. Da hingegen der neuere Verfasser so unbescheiden ist, daß er auch der noch le- benden nicht verschonet, und ihnen ihre Fehler unter C 3
fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. um von dem Werth dieſer Critiſchen Dicht-kunſt hieraus zu urtheilen; denn alles zu beant- das derſelbe iſt nicht von der Art derjenigen, die, wenn ſie etwan mit einem ſtrengen Gegner zu thun haben, aus einer gantzen Schrift nur dasjenige herausklauben, was am ſchwaͤchſten ſcheinet, und noch wohl zu ver- antworten iſt, inzwiſchen aber die ſtaͤrckſten Einwuͤrffe liſtiger Weiſe verhoͤlen. Man darf nur dieſe Fragen durchleſen, ſo wird man mit Haͤnden greiffen muͤſſen, daß es lauter Kleinigkeiten ſind, die keine Widerle- gung verdienen. Was liegt endlich dem Staate, oder der Kirchen, oder dem Hausweſen daran, ob die Leh- re vorne oder hinten an der Fabel ſtehe, wenn nur eine darinnen iſt? Ob ſie Wahrſcheinlichkeit genug ha- be, wenn ſie nur lehrreich und ergetzlich iſt? Jſt das Vorhaben, den Rheinſtrom in zween Toͤpfe auszuſchoͤ- pfen, nicht eben ſo thoͤricht und unmoͤglich, als das Weltmeer in ein Gruͤblein zu leiten? ꝛc. ꝛc. Um von dem Werth dieſer Critiſchen Dichtkunſt hieraus zu urtheilen) Ex ungue Leonem! Es iſt zwar nicht zu leugnen, was Plinius ſagt: Nullus li- ber tam malus eſt, in quo non aliquid inſit boni. Doch hindert dieſes uicht, daß man nicht ein Buch dem andern vorziehen duͤrfe. Wir haben ja Hrn. G-ttſch-ds Critiſche Dichtkunſt, und ſo haͤtten wir dieſer neuen Critiſchen Dichtkunſt wohl entbehren koͤnnen; um ſo viel mehr, da jener ſo beſcheiden und hoͤflich iſt, daß er, die Lebenden nicht zu erzoͤrnen, ſich nicht ſcheuet, die Manes der abgelebten Dichter in ihrer Ruhe zu ſtoͤ- ren; ungeachtet es in dem gemeinen Spruͤchwort heißt: De Mortuis nonniſi bene. Da hingegen der neuere Verfaſſer ſo unbeſcheiden iſt, daß er auch der noch le- benden nicht verſchonet, und ihnen ihre Fehler unter C 3
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das
derſelbe iſt nicht von der Art derjenigen, die, wenn
ſie etwan mit einem ſtrengen Gegner zu thun haben,
aus einer gantzen Schrift nur dasjenige herausklauben,
was am ſchwaͤchſten ſcheinet, und noch wohl zu ver-
antworten iſt, inzwiſchen aber die ſtaͤrckſten Einwuͤrffe
liſtiger Weiſe verhoͤlen. Man darf nur dieſe Fragen
durchleſen, ſo wird man mit Haͤnden greiffen muͤſſen,
daß es lauter Kleinigkeiten ſind, die keine Widerle-
gung verdienen. Was liegt endlich dem Staate, oder
der Kirchen, oder dem Hausweſen daran, ob die Leh-
re vorne oder hinten an der Fabel ſtehe, wenn nur
eine darinnen iſt? Ob ſie Wahrſcheinlichkeit genug ha-
be, wenn ſie nur lehrreich und ergetzlich iſt? Jſt das
Vorhaben, den Rheinſtrom in zween Toͤpfe auszuſchoͤ-
pfen, nicht eben ſo thoͤricht und unmoͤglich, als das
Weltmeer in ein Gruͤblein zu leiten? ꝛc. ꝛc.
Um von dem Werth dieſer Critiſchen Dichtkunſt
hieraus zu urtheilen) Ex ungue Leonem! Es iſt
zwar nicht zu leugnen, was Plinius ſagt: Nullus li-
ber tam malus eſt, in quo non aliquid inſit boni. Doch
hindert dieſes uicht, daß man nicht ein Buch dem
andern vorziehen duͤrfe. Wir haben ja Hrn. G-ttſch-ds
Critiſche Dichtkunſt, und ſo haͤtten wir dieſer neuen
Critiſchen Dichtkunſt wohl entbehren koͤnnen; um ſo
viel mehr, da jener ſo beſcheiden und hoͤflich iſt, daß
er, die Lebenden nicht zu erzoͤrnen, ſich nicht ſcheuet,
die Manes der abgelebten Dichter in ihrer Ruhe zu ſtoͤ-
ren; ungeachtet es in dem gemeinen Spruͤchwort heißt:
De Mortuis nonniſi bene. Da hingegen der neuere
Verfaſſer ſo unbeſcheiden iſt, daß er auch der noch le-
benden nicht verſchonet, und ihnen ihre Fehler unter
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