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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.

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Von der Schreibart
den, ist die Manier ein Wort um eine Sylbe
zu verkürzen, oder zu verlängern, unsrer Sprache
in vielen Wörtern so gemein und eigen gewor-
den, daß sie den Dienst, den dieser Kunstlehrer
damit sucht, nicht mehr thut. Jn wieviel Zeit-
wörtern und Endungen der Nennwörter darf das
leise E. behalten oder weggeworffen werden? Je-
mand hat dieses zwar eine Dürftigkeit genennet,
die man nicht müsse von sich spüren lassen. Man
müsse nicht zeigen, daß man es nur des Maasses
wegen übrig, oder nöthig gehabt habe. Es ist
in der That eine Dürftigkeit, die von der Natur
des Verses entsteht, daß der Poet bald eine Syl-
be übrig, bald eine nöthig hat. Es ist darum
umsonst, daß er diese Dürftigkeit verbergen wolle.
Es ist auch nicht nothwendig, weil er sich dersel-
ben nicht zu schämen hat, er wolle sich denn des
Verses selber schämen. Wenn es aber eine Dürf-
tigkeit bey dem Versmacher ist, so ist es auf der
andern Seite ein Reichthum in der Sprache, die
dieser Dürftigkeit so geschickt zu Hülfe kömmt.
Jst es nicht eine Geschicklichkeit derselben, daß sie
sich nach dem Bedürffniß des Aussprechenden rich-
tet, wann er eilfertig ist, und wann er gemächlich
gehet? Eben dergleichen Geschicklichkeit weiset
unsre Sprache auch in der Verschlükung des Buch-
stabens J. Zum Exempel:

So sah man damahls auch den ein'gen Opitz fliegen.


So hat sein glücklich Schiff zwar einen lust'gen Grund.


Wenn er den sel'gen Schluß an seinem End erwegt.
Wie

Von der Schreibart
den, iſt die Manier ein Wort um eine Sylbe
zu verkuͤrzen, oder zu verlaͤngern, unſrer Sprache
in vielen Woͤrtern ſo gemein und eigen gewor-
den, daß ſie den Dienſt, den dieſer Kunſtlehrer
damit ſucht, nicht mehr thut. Jn wieviel Zeit-
woͤrtern und Endungen der Nennwoͤrter darf das
leiſe E. behalten oder weggeworffen werden? Je-
mand hat dieſes zwar eine Duͤrftigkeit genennet,
die man nicht muͤſſe von ſich ſpuͤren laſſen. Man
muͤſſe nicht zeigen, daß man es nur des Maaſſes
wegen uͤbrig, oder noͤthig gehabt habe. Es iſt
in der That eine Duͤrftigkeit, die von der Natur
des Verſes entſteht, daß der Poet bald eine Syl-
be uͤbrig, bald eine noͤthig hat. Es iſt darum
umſonſt, daß er dieſe Duͤrftigkeit verbergen wolle.
Es iſt auch nicht nothwendig, weil er ſich derſel-
ben nicht zu ſchaͤmen hat, er wolle ſich denn des
Verſes ſelber ſchaͤmen. Wenn es aber eine Duͤrf-
tigkeit bey dem Versmacher iſt, ſo iſt es auf der
andern Seite ein Reichthum in der Sprache, die
dieſer Duͤrftigkeit ſo geſchickt zu Huͤlfe koͤmmt.
Jſt es nicht eine Geſchicklichkeit derſelben, daß ſie
ſich nach dem Beduͤrffniß des Ausſprechenden rich-
tet, wann er eilfertig iſt, und wann er gemaͤchlich
gehet? Eben dergleichen Geſchicklichkeit weiſet
unſre Sprache auch in der Verſchluͤkung des Buch-
ſtabens J. Zum Exempel:

So ſah man damahls auch den ein’gen Opitz fliegen.


So hat ſein gluͤcklich Schiff zwar einen luſt’gen Grund.


Wenn er den ſel’gen Schluß an ſeinem End erwegt.
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[116/0118] Von der Schreibart den, iſt die Manier ein Wort um eine Sylbe zu verkuͤrzen, oder zu verlaͤngern, unſrer Sprache in vielen Woͤrtern ſo gemein und eigen gewor- den, daß ſie den Dienſt, den dieſer Kunſtlehrer damit ſucht, nicht mehr thut. Jn wieviel Zeit- woͤrtern und Endungen der Nennwoͤrter darf das leiſe E. behalten oder weggeworffen werden? Je- mand hat dieſes zwar eine Duͤrftigkeit genennet, die man nicht muͤſſe von ſich ſpuͤren laſſen. Man muͤſſe nicht zeigen, daß man es nur des Maaſſes wegen uͤbrig, oder noͤthig gehabt habe. Es iſt in der That eine Duͤrftigkeit, die von der Natur des Verſes entſteht, daß der Poet bald eine Syl- be uͤbrig, bald eine noͤthig hat. Es iſt darum umſonſt, daß er dieſe Duͤrftigkeit verbergen wolle. Es iſt auch nicht nothwendig, weil er ſich derſel- ben nicht zu ſchaͤmen hat, er wolle ſich denn des Verſes ſelber ſchaͤmen. Wenn es aber eine Duͤrf- tigkeit bey dem Versmacher iſt, ſo iſt es auf der andern Seite ein Reichthum in der Sprache, die dieſer Duͤrftigkeit ſo geſchickt zu Huͤlfe koͤmmt. Jſt es nicht eine Geſchicklichkeit derſelben, daß ſie ſich nach dem Beduͤrffniß des Ausſprechenden rich- tet, wann er eilfertig iſt, und wann er gemaͤchlich gehet? Eben dergleichen Geſchicklichkeit weiſet unſre Sprache auch in der Verſchluͤkung des Buch- ſtabens J. Zum Exempel: So ſah man damahls auch den ein’gen Opitz fliegen. So hat ſein gluͤcklich Schiff zwar einen luſt’gen Grund. Wenn er den ſel’gen Schluß an ſeinem End erwegt. Wie

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/118>, abgerufen am 21.11.2024.