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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.

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in Miltons verlohrnen Paradiese.
keinem andern Poeten begangenen Schnizern be-
stühnde:

"Wenn das eine Sprache reich und
"geschmeidig machet, sagt er, daß man sie ver-
"derbt, wieder alle Regeln handelt, und fast
"bey jedem Worte Schnizer macht; so ist ja
"Hans Sachse unser geschmeidigster und bester
"Poet gewesen, und man hat sehr übel gethan,
"daß man die Freyheit der alten Poeten in die-
"sem Stüke gezähmet. Man hätte ja billig das
"hahn, lahn, und stahn, beybehalten sollen, wie
"die Jtaliener ihr Alma für Anima und speme
"für spe sezen."

Dieses Urtheil trägt das
Brandmahl eines aufgebrachten Richters so deut-
lich, daß ich mich vor den Engelländern schäme,
indem ich es anziehe; was Milton in zerstreuten
Stellen, in einzeln Wörtern oder deren Zusam-
menordnung vor Licenzen genommen, wird hier
soweit aufgemuzet, als ob er seine ganze Sprache
daraus formiert hätte. Ein paar Worte dieses
Kunstrichters, die nach Miltons Schreibart ge-
geben seyn sollen, verrathen noch mehr, was vor
einen verkehrten Begriff er davon gehabt habe:

"Addisons Cato, sagt er an einem Orte, lan-
"get im Original, ich will einmahl auf gut Mil-
"tonisch reden, nicht an das gedankenträchti-
"ge, sinnenschwangere,
und gräßlich-erha-
"bene Wesen
Miltons."

Dieses wird vornehmlich das seyn, was er Ziegle-
rischen und Lohensteinischen Schwulst
heißt,
dessen er den Poeten beschuldiget. Doch hat er
diesen nicht nur in dergleichen hochtrabenden Aus-
drükungen, sondern auch in der ungeheuren Ein-

bildung

in Miltons verlohrnen Paradieſe.
keinem andern Poeten begangenen Schnizern be-
ſtuͤhnde:

„Wenn das eine Sprache reich und
„geſchmeidig machet, ſagt er, daß man ſie ver-
„derbt, wieder alle Regeln handelt, und faſt
„bey jedem Worte Schnizer macht; ſo iſt ja
„Hans Sachſe unſer geſchmeidigſter und beſter
„Poet geweſen, und man hat ſehr uͤbel gethan,
„daß man die Freyheit der alten Poeten in die-
„ſem Stuͤke gezaͤhmet. Man haͤtte ja billig das
hahn, lahn, und ſtahn, beybehalten ſollen, wie
„die Jtaliener ihr Alma fuͤr Anima und ſpeme
„fuͤr ſpe ſezen.„

Dieſes Urtheil traͤgt das
Brandmahl eines aufgebrachten Richters ſo deut-
lich, daß ich mich vor den Engellaͤndern ſchaͤme,
indem ich es anziehe; was Milton in zerſtreuten
Stellen, in einzeln Woͤrtern oder deren Zuſam-
menordnung vor Licenzen genommen, wird hier
ſoweit aufgemuzet, als ob er ſeine ganze Sprache
daraus formiert haͤtte. Ein paar Worte dieſes
Kunſtrichters, die nach Miltons Schreibart ge-
geben ſeyn ſollen, verrathen noch mehr, was vor
einen verkehrten Begriff er davon gehabt habe:

„Addiſons Cato, ſagt er an einem Orte, lan-
„get im Original, ich will einmahl auf gut Mil-
„toniſch reden, nicht an das gedankentraͤchti-
„ge, ſinnenſchwangere,
und graͤßlich-erha-
„bene Weſen
Miltons.„

Dieſes wird vornehmlich das ſeyn, was er Ziegle-
riſchen und Lohenſteiniſchen Schwulſt
heißt,
deſſen er den Poeten beſchuldiget. Doch hat er
dieſen nicht nur in dergleichen hochtrabenden Aus-
druͤkungen, ſondern auch in der ungeheuren Ein-

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[123/0125] in Miltons verlohrnen Paradieſe. keinem andern Poeten begangenen Schnizern be- ſtuͤhnde: „Wenn das eine Sprache reich und „geſchmeidig machet, ſagt er, daß man ſie ver- „derbt, wieder alle Regeln handelt, und faſt „bey jedem Worte Schnizer macht; ſo iſt ja „Hans Sachſe unſer geſchmeidigſter und beſter „Poet geweſen, und man hat ſehr uͤbel gethan, „daß man die Freyheit der alten Poeten in die- „ſem Stuͤke gezaͤhmet. Man haͤtte ja billig das „hahn, lahn, und ſtahn, beybehalten ſollen, wie „die Jtaliener ihr Alma fuͤr Anima und ſpeme „fuͤr ſpe ſezen.„ Dieſes Urtheil traͤgt das Brandmahl eines aufgebrachten Richters ſo deut- lich, daß ich mich vor den Engellaͤndern ſchaͤme, indem ich es anziehe; was Milton in zerſtreuten Stellen, in einzeln Woͤrtern oder deren Zuſam- menordnung vor Licenzen genommen, wird hier ſoweit aufgemuzet, als ob er ſeine ganze Sprache daraus formiert haͤtte. Ein paar Worte dieſes Kunſtrichters, die nach Miltons Schreibart ge- geben ſeyn ſollen, verrathen noch mehr, was vor einen verkehrten Begriff er davon gehabt habe: „Addiſons Cato, ſagt er an einem Orte, lan- „get im Original, ich will einmahl auf gut Mil- „toniſch reden, nicht an das gedankentraͤchti- „ge, ſinnenſchwangere, und graͤßlich-erha- „bene Weſen Miltons.„ Dieſes wird vornehmlich das ſeyn, was er Ziegle- riſchen und Lohenſteiniſchen Schwulſt heißt, deſſen er den Poeten beſchuldiget. Doch hat er dieſen nicht nur in dergleichen hochtrabenden Aus- druͤkungen, ſondern auch in der ungeheuren Ein- bildung

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/125>, abgerufen am 16.07.2024.