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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.

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Nachrichten
gen zu frech und boshaft, massen diese Zeilen alle
andern Personen, die bisdahin an diesen vorneh-
men Herrn und Reichsgrafen geschrieben haben,
einer leichtsinnigen Schmeicheley, und den Herr
Reichsgrafen selbst einer Blödigkeit solchen das
Ohr zu leihen, offenbar bestraffen; welches mit
der Haupt-Absicht des Poeten sich eben so wohl
reimet, als die Unverschämtheit mit dem Lobe.
Wollte man sagen, des Poeten Meinung in die-
sen Zeilen sey nur zu erinnern, daß noch keiner von
den andern Lobrednern ihrer Reichsgräflichen Ex-
cellentz auf die poetische Erfindung gefallen sey,
die Wahrheit als eine Person redend einzuführen;
so würde diese Ausflucht selbst ein Zeugniß von ei-
ner unzeitigen und ruhmräthigen Prahlerey able-
gen, und einen so matten Sinn an die Hand ge-
ben, der von dem Verfolge selbst bestritten würde.
Auf der 32sten Seite, wo die Wahrheit sich er-
klärt, was sie bisanhero abgeschreckt habe, an
ihre Excell. zu schreiben, heißt es:

Dieß hat mich, grosser Graf, bisher noch abgeschreckt:
Der Staatsmann hatte mir den Wahrheits-Freund verdekt.
Doch hab ich dich geliebt. - - - -

Hier macht sich diese Schwäbische Wahrheit aber-
mahl recht unnütze, wann sie sich nicht scheuet, ei-
nem so grossen Manne unter das Angesicht zu sa-
gen:

"Sie, die Wahrheit, habe Jhn zwar für
"einen Staatsmann, aber nicht für einen Freund
"der Wahrheit erkennt, und doch geliebet."

Diese Wahrheit mag wohl selisame Begriffe von
einem ächten Staatsmanne haben, wenn sie den
Wahrheitsfreund davon trennen kan. Sie wird
ihn wohl nach den Regeln des Machiavells abbil-

den.

Nachrichten
gen zu frech und boshaft, maſſen dieſe Zeilen alle
andern Perſonen, die bisdahin an dieſen vorneh-
men Herrn und Reichsgrafen geſchrieben haben,
einer leichtſinnigen Schmeicheley, und den Herr
Reichsgrafen ſelbſt einer Bloͤdigkeit ſolchen das
Ohr zu leihen, offenbar beſtraffen; welches mit
der Haupt-Abſicht des Poeten ſich eben ſo wohl
reimet, als die Unverſchaͤmtheit mit dem Lobe.
Wollte man ſagen, des Poeten Meinung in die-
ſen Zeilen ſey nur zu erinnern, daß noch keiner von
den andern Lobrednern ihrer Reichsgraͤflichen Ex-
cellentz auf die poetiſche Erfindung gefallen ſey,
die Wahrheit als eine Perſon redend einzufuͤhren;
ſo wuͤrde dieſe Ausflucht ſelbſt ein Zeugniß von ei-
ner unzeitigen und ruhmraͤthigen Prahlerey able-
gen, und einen ſo matten Sinn an die Hand ge-
ben, der von dem Verfolge ſelbſt beſtritten wuͤrde.
Auf der 32ſten Seite, wo die Wahrheit ſich er-
klaͤrt, was ſie bisanhero abgeſchreckt habe, an
ihre Excell. zu ſchreiben, heißt es:

Dieß hat mich, groſſer Graf, bisher noch abgeſchreckt:
Der Staatsmann hatte mir den Wahrheits-Freund verdekt.
Doch hab ich dich geliebt. ‒ ‒ ‒ ‒

Hier macht ſich dieſe Schwaͤbiſche Wahrheit aber-
mahl recht unnuͤtze, wann ſie ſich nicht ſcheuet, ei-
nem ſo groſſen Manne unter das Angeſicht zu ſa-
gen:

„Sie, die Wahrheit, habe Jhn zwar fuͤr
„einen Staatsmann, aber nicht fuͤr einen Freund
„der Wahrheit erkennt, und doch geliebet.„

Dieſe Wahrheit mag wohl ſeliſame Begriffe von
einem aͤchten Staatsmanne haben, wenn ſie den
Wahrheitsfreund davon trennen kan. Sie wird
ihn wohl nach den Regeln des Machiavells abbil-

den.
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[152/0154] Nachrichten gen zu frech und boshaft, maſſen dieſe Zeilen alle andern Perſonen, die bisdahin an dieſen vorneh- men Herrn und Reichsgrafen geſchrieben haben, einer leichtſinnigen Schmeicheley, und den Herr Reichsgrafen ſelbſt einer Bloͤdigkeit ſolchen das Ohr zu leihen, offenbar beſtraffen; welches mit der Haupt-Abſicht des Poeten ſich eben ſo wohl reimet, als die Unverſchaͤmtheit mit dem Lobe. Wollte man ſagen, des Poeten Meinung in die- ſen Zeilen ſey nur zu erinnern, daß noch keiner von den andern Lobrednern ihrer Reichsgraͤflichen Ex- cellentz auf die poetiſche Erfindung gefallen ſey, die Wahrheit als eine Perſon redend einzufuͤhren; ſo wuͤrde dieſe Ausflucht ſelbſt ein Zeugniß von ei- ner unzeitigen und ruhmraͤthigen Prahlerey able- gen, und einen ſo matten Sinn an die Hand ge- ben, der von dem Verfolge ſelbſt beſtritten wuͤrde. Auf der 32ſten Seite, wo die Wahrheit ſich er- klaͤrt, was ſie bisanhero abgeſchreckt habe, an ihre Excell. zu ſchreiben, heißt es: Dieß hat mich, groſſer Graf, bisher noch abgeſchreckt: Der Staatsmann hatte mir den Wahrheits-Freund verdekt. Doch hab ich dich geliebt. ‒ ‒ ‒ ‒ Hier macht ſich dieſe Schwaͤbiſche Wahrheit aber- mahl recht unnuͤtze, wann ſie ſich nicht ſcheuet, ei- nem ſo groſſen Manne unter das Angeſicht zu ſa- gen: „Sie, die Wahrheit, habe Jhn zwar fuͤr „einen Staatsmann, aber nicht fuͤr einen Freund „der Wahrheit erkennt, und doch geliebet.„ Dieſe Wahrheit mag wohl ſeliſame Begriffe von einem aͤchten Staatsmanne haben, wenn ſie den Wahrheitsfreund davon trennen kan. Sie wird ihn wohl nach den Regeln des Machiavells abbil- den.

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/154>, abgerufen am 22.11.2024.