[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.der herrschenden Poeten. dung urtheilte; wenn er denn zufälliger Weiseder Wahrheit gemäß urtheilete, so wäre es gu- ter Geschmak, wofern er sich betröge, wäre es schlimmer.(C) Und weil sie sich allemal über- redeten, daß sie glüklich geurtheilet hätten, so schrieben sie sich allezeit den geschikten und guten Geschmak zu. Sie sezten einen Tax von Lob auf ihre Werke, der mehr als tyrannisch war. Wer sich weigerte denselben abzutragen, dem lies- sen sie nicht für einen Heller Verstandes übrig. Wernicke hatte in schweren Tagen und unter einer Welt voll Pfuscher die Rechte der gött- lichen Critik hervorgesucht und verfochten, aber er ward zur Straffe in die unterirdischen Gewöl- ber des hamburgischen Doms zu Spierings Mak- latur geworffen, wo er des Tageslichts bis auf unsre Zeiten beraubet gewesen. Es schien die Göttin der Beurtheilungskunst hätte die Deut- schen ihren eigenen verkehrten Wegen überlassen, und suchte sich keine Ehre von ihrer Urtheilskraft. Doch nach manchem Umlaufe der Jahre und Zeiten erinnerte sie sich der Germanischen Na- tion und warf ein mitleidiges Auge auf dieselbe. Es schmerzete sie, daß ungehirnte Köpfe ein Recht ausübeten, nicht nur ungetadelt dumm zu seyn, sondern für ihre Thorhe ten noch Lob und Beyfall einzufodern. Sie beschloß ihren Nahmen auch in diesem Lande bekannt zu machen, und ihre gerechten Gerichte über diese Stümper zu schiken. Sogleich bemerket sie sich an der baltischen See einen (C) Also erkläret sich Hr. Prof. Gottsched darüber im 9ten §. des dritten Hauptst. seiner Dichtk. bl. 119. L 2
der herrſchenden Poeten. dung urtheilte; wenn er denn zufaͤlliger Weiſeder Wahrheit gemaͤß urtheilete, ſo waͤre es gu- ter Geſchmak, wofern er ſich betroͤge, waͤre es ſchlimmer.(C) Und weil ſie ſich allemal uͤber- redeten, daß ſie gluͤklich geurtheilet haͤtten, ſo ſchrieben ſie ſich allezeit den geſchikten und guten Geſchmak zu. Sie ſezten einen Tax von Lob auf ihre Werke, der mehr als tyranniſch war. Wer ſich weigerte denſelben abzutragen, dem lieſ- ſen ſie nicht fuͤr einen Heller Verſtandes uͤbrig. Wernicke hatte in ſchweren Tagen und unter einer Welt voll Pfuſcher die Rechte der goͤtt- lichen Critik hervorgeſucht und verfochten, aber er ward zur Straffe in die unterirdiſchen Gewoͤl- ber des hamburgiſchen Doms zu Spierings Mak- latur geworffen, wo er des Tageslichts bis auf unſre Zeiten beraubet geweſen. Es ſchien die Goͤttin der Beurtheilungskunſt haͤtte die Deut- ſchen ihren eigenen verkehrten Wegen uͤberlaſſen, und ſuchte ſich keine Ehre von ihrer Urtheilskraft. Doch nach manchem Umlaufe der Jahre und Zeiten erinnerte ſie ſich der Germaniſchen Na- tion und warf ein mitleidiges Auge auf dieſelbe. Es ſchmerzete ſie, daß ungehirnte Koͤpfe ein Recht ausuͤbeten, nicht nur ungetadelt dumm zu ſeyn, ſondern fuͤr ihre Thorhe ten noch Lob und Beyfall einzufodern. Sie beſchloß ihren Nahmen auch in dieſem Lande bekannt zu machen, und ihre gerechten Gerichte uͤber dieſe Stuͤmper zu ſchiken. Sogleich bemerket ſie ſich an der baltiſchen See einen (C) Alſo erklaͤret ſich Hr. Prof. Gottſched daruͤber im 9ten §. des dritten Hauptſt. ſeiner Dichtk. bl. 119. L 2
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der herrſchenden Poeten.
dung urtheilte; wenn er denn zufaͤlliger Weiſe
der Wahrheit gemaͤß urtheilete, ſo waͤre es gu-
ter Geſchmak, wofern er ſich betroͤge, waͤre es
ſchlimmer. (C) Und weil ſie ſich allemal uͤber-
redeten, daß ſie gluͤklich geurtheilet haͤtten, ſo
ſchrieben ſie ſich allezeit den geſchikten und guten
Geſchmak zu. Sie ſezten einen Tax von Lob
auf ihre Werke, der mehr als tyranniſch war.
Wer ſich weigerte denſelben abzutragen, dem lieſ-
ſen ſie nicht fuͤr einen Heller Verſtandes uͤbrig.
Wernicke hatte in ſchweren Tagen und unter
einer Welt voll Pfuſcher die Rechte der goͤtt-
lichen Critik hervorgeſucht und verfochten, aber
er ward zur Straffe in die unterirdiſchen Gewoͤl-
ber des hamburgiſchen Doms zu Spierings Mak-
latur geworffen, wo er des Tageslichts bis auf
unſre Zeiten beraubet geweſen. Es ſchien die
Goͤttin der Beurtheilungskunſt haͤtte die Deut-
ſchen ihren eigenen verkehrten Wegen uͤberlaſſen,
und ſuchte ſich keine Ehre von ihrer Urtheilskraft.
Doch nach manchem Umlaufe der Jahre und
Zeiten erinnerte ſie ſich der Germaniſchen Na-
tion und warf ein mitleidiges Auge auf dieſelbe.
Es ſchmerzete ſie, daß ungehirnte Koͤpfe ein Recht
ausuͤbeten, nicht nur ungetadelt dumm zu ſeyn,
ſondern fuͤr ihre Thorhe ten noch Lob und Beyfall
einzufodern. Sie beſchloß ihren Nahmen auch
in dieſem Lande bekannt zu machen, und ihre
gerechten Gerichte uͤber dieſe Stuͤmper zu ſchiken.
Sogleich bemerket ſie ſich an der baltiſchen See
einen
(C) Alſo erklaͤret ſich Hr. Prof. Gottſched daruͤber
im 9ten §. des dritten Hauptſt. ſeiner Dichtk. bl. 119.
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