[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.von der deutschen Sprache. Neben diesem Vortheil hat die deutsche Spra- will: trogen, half kräftig zu dieser Unordnung: Steht in der neuen: Die Fantasey wurde durch die Sinne gereitzt und durch die heftigen Begierden betrogen, beyde aber halffen kräftig zu dieser Unordnung. Welches denn auch weit verständlicher klinget. etc. etc. Hergegen auf der 448sten Seite in der Beantwortung wegen der Unvollkom- menheit der deutschen Sprache, wird der Mangel der Schönheit, welche die Participia in eine Sprache bringen, damit beantwortet: "Unsre Poeten haben bereits den Ge- brauch der Mittelwörter vielmahlen so glücklich gewaget, daß es kein Zweifel ist, unsre Sprache werde sich end- lich auch dazu bequemen." Allein die Schuld liegt nicht an der Sprache, angesehen dieselbe zu des grossen Opitzens Zeiten und zuvor so wohl in gebundener als ungebundener Rede den freyen und uneingeschränckten Gebrauch der Mit- telwörter gehabt hat, wie in dem Wercke von den poeti- schen Gemählden, und in dem 2ten Theile der critischen Dichtkunst mit mehrerm dargethan worden: Und wenn man Hoffnung machen darf, daß sie sich auch in Zukunft dazu bequemen werde, so gestehet man zu, daß die Na- tur der Sprache dem Gebrauche derselben nicht im Wege stehe. Man hat also diesen Abgang, und den Wider- stand, den die Einführung derselben in die deutsche Sprache bisdahin erlitten, alleine der Nachlässigkeit einiger seichten Köpfe zu dancken, die emer affectierten wohlfliessenden Waschhaftigkeit den Nachdruck aufgeopfert haben. Er sagt daselbst: Man kan auf Deutsch sagen; den Menschen hat Gott gemachet, und, Gott hat den Menschen gemachet. Hingegen müssen wir sagen: Dieu a fait l'homme. B 5
von der deutſchen Sprache. Neben dieſem Vortheil hat die deutſche Spra- will: trogen, half kraͤftig zu dieſer Unordnung: Steht in der neuen: Die Fantaſey wurde durch die Sinne gereitzt und durch die heftigen Begierden betrogen, beyde aber halffen kraͤftig zu dieſer Unordnung. Welches denn auch weit verſtaͤndlicher klinget. ꝛc. ꝛc. Hergegen auf der 448ſten Seite in der Beantwortung wegen der Unvollkom- menheit der deutſchen Sprache, wird der Mangel der Schoͤnheit, welche die Participia in eine Sprache bringen, damit beantwortet: „Unſre Poeten haben bereits den Ge- brauch der Mittelwoͤrter vielmahlen ſo gluͤcklich gewaget, daß es kein Zweifel iſt, unſre Sprache werde ſich end- lich auch dazu bequemen.„ Allein die Schuld liegt nicht an der Sprache, angeſehen dieſelbe zu des groſſen Opitzens Zeiten und zuvor ſo wohl in gebundener als ungebundener Rede den freyen und uneingeſchraͤnckten Gebrauch der Mit- telwoͤrter gehabt hat, wie in dem Wercke von den poeti- ſchen Gemaͤhlden, und in dem 2ten Theile der critiſchen Dichtkunſt mit mehrerm dargethan worden: Und wenn man Hoffnung machen darf, daß ſie ſich auch in Zukunft dazu bequemen werde, ſo geſtehet man zu, daß die Na- tur der Sprache dem Gebrauche derſelben nicht im Wege ſtehe. Man hat alſo dieſen Abgang, und den Wider- ſtand, den die Einfuͤhrung derſelben in die deutſche Sprache bisdahin erlitten, alleine der Nachlaͤſſigkeit einiger ſeichten Koͤpfe zu dancken, die emer affectierten wohlflieſſenden Waſchhaftigkeit den Nachdruck aufgeopfert haben. Er ſagt daſelbſt: Man kan auf Deutſch ſagen; den Menſchen hat Gott gemachet, und, Gott hat den Menſchen gemachet. Hingegen muͤſſen wir ſagen: Dieu a fait l’homme. B 5
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von der deutſchen Sprache.
Neben dieſem Vortheil hat die deutſche Spra-
che noch dieſen, daß ſie reicher iſt, ungeachtet ſie
nicht gleich ſo viel Sachen mit eigenen Nahmen
geben kan. Ferner hat ſie das Privilegium,
daß ſie ſich nicht an gewiſſe Ausdruͤcke vor andern
binden darf. Zum Exempel wenn man ſagen
will:
(pp)
trogen, half kraͤftig zu dieſer Unordnung: Steht in der
neuen: Die Fantaſey wurde durch die Sinne gereitzt
und durch die heftigen Begierden betrogen, beyde aber
halffen kraͤftig zu dieſer Unordnung. Welches denn
auch weit verſtaͤndlicher klinget. ꝛc. ꝛc. Hergegen auf der
448ſten Seite in der Beantwortung wegen der Unvollkom-
menheit der deutſchen Sprache, wird der Mangel der
Schoͤnheit, welche die Participia in eine Sprache bringen,
damit beantwortet: „Unſre Poeten haben bereits den Ge-
brauch der Mittelwoͤrter vielmahlen ſo gluͤcklich gewaget,
daß es kein Zweifel iſt, unſre Sprache werde ſich end-
lich auch dazu bequemen.„ Allein die Schuld liegt nicht
an der Sprache, angeſehen dieſelbe zu des groſſen Opitzens
Zeiten und zuvor ſo wohl in gebundener als ungebundener
Rede den freyen und uneingeſchraͤnckten Gebrauch der Mit-
telwoͤrter gehabt hat, wie in dem Wercke von den poeti-
ſchen Gemaͤhlden, und in dem 2ten Theile der critiſchen
Dichtkunſt mit mehrerm dargethan worden: Und wenn
man Hoffnung machen darf, daß ſie ſich auch in Zukunft
dazu bequemen werde, ſo geſtehet man zu, daß die Na-
tur der Sprache dem Gebrauche derſelben nicht im Wege
ſtehe. Man hat alſo dieſen Abgang, und den Wider-
ſtand, den die Einfuͤhrung derſelben in die deutſche Sprache
bisdahin erlitten, alleine der Nachlaͤſſigkeit einiger ſeichten
Koͤpfe zu dancken, die emer affectierten wohlflieſſenden
Waſchhaftigkeit den Nachdruck aufgeopfert haben.
(pp) Er ſagt daſelbſt: Man kan auf Deutſch ſagen;
den Menſchen hat Gott gemachet, und, Gott hat den
Menſchen gemachet. Hingegen muͤſſen wir ſagen: Dieu
a fait l’homme.
B 5
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