Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
Von der Poesie
"Geschöpfe nicht so zu schanden machen. Denn
"an den Bösen nicht Rache üben, das heißt
"den Frommen Schmach anthun."

Es sind in dieser Rede Affecte und Empfin-
dungen genug; und diese sind mit einer gewissen
Scharfsinnigkeit, und einer lehrreichen Einsicht
begleitet. Sinnreiche Sprüche und kluge Lehren
regieren in dem gantzen Gedichte; sie werden nicht
zu weit hergehohlet, daß sie dem Verstande Mühe
machten, sondern sie fliessen freywillig aus dem Af-
fecte und der Sache selbst; und werden daneben
in einer deutlichen Redensart vorgetragen. Man
könnte etliche Dutzend dergleichen, die eben nicht
von den abgenutztesten sind, zusammenlesen. Z. E.

"Sorge und Angst dörret das Hertz aus, des
"Gemüthes Schmertz verzehret den Leib. - Den
"Schaden verschweigen macht ihn steigen, und
"ihn anzeigen, macht ihn neigen. - Der Witz
"der Armen liegt in der Asche, da der Rei-
"chen in der Tasche liegt. Der Tasche Witz
"gilt nicht länger, als so lange man Geld hat;
"der Aschen Witz ruhet wie ein Schatz, und
"scheinet, wenn man ihn hervorkratzet. - Das
"Kleine kömmt auch zu statten, ein kleines Här-
"gen giebt auch einen Schatten. - Schlägt List
"zu der Grausamkeit, so hilft keine Geschwin-
"digkeit für den Tod. - Auch schuldiges Blut,
"naget einem das Hertz, geschweige, was das
"unschuldige thut. - Was ist sich zu verwun-
"dern, wenn die Wolcken in der Hitze donnern,
"das ist, wenn die Jugend muthwillig ist, die
"es sich vor billig hält; so es doch kalte Wol-
"ken
Von der Poeſie
„Geſchoͤpfe nicht ſo zu ſchanden machen. Denn
„an den Boͤſen nicht Rache uͤben, das heißt
„den Frommen Schmach anthun.„

Es ſind in dieſer Rede Affecte und Empfin-
dungen genug; und dieſe ſind mit einer gewiſſen
Scharfſinnigkeit, und einer lehrreichen Einſicht
begleitet. Sinnreiche Spruͤche und kluge Lehren
regieren in dem gantzen Gedichte; ſie werden nicht
zu weit hergehohlet, daß ſie dem Verſtande Muͤhe
machten, ſondern ſie flieſſen freywillig aus dem Af-
fecte und der Sache ſelbſt; und werden daneben
in einer deutlichen Redensart vorgetragen. Man
koͤnnte etliche Dutzend dergleichen, die eben nicht
von den abgenutzteſten ſind, zuſammenleſen. Z. E.

„Sorge und Angſt doͤrret das Hertz aus, des
„Gemuͤthes Schmertz verzehret den Leib. - Den
„Schaden verſchweigen macht ihn ſteigen, und
„ihn anzeigen, macht ihn neigen. - Der Witz
„der Armen liegt in der Aſche, da der Rei-
„chen in der Taſche liegt. Der Taſche Witz
„gilt nicht laͤnger, als ſo lange man Geld hat;
„der Aſchen Witz ruhet wie ein Schatz, und
„ſcheinet, wenn man ihn hervorkratzet. - Das
„Kleine koͤmmt auch zu ſtatten, ein kleines Haͤr-
„gen giebt auch einen Schatten. - Schlaͤgt Liſt
„zu der Grauſamkeit, ſo hilft keine Geſchwin-
„digkeit fuͤr den Tod. - Auch ſchuldiges Blut,
„naget einem das Hertz, geſchweige, was das
„unſchuldige thut. - Was iſt ſich zu verwun-
„dern, wenn die Wolcken in der Hitze donnern,
„das iſt, wenn die Jugend muthwillig iſt, die
„es ſich vor billig haͤlt; ſo es doch kalte Wol-
„ken
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <cit>
          <quote><pb facs="#f0076" n="76"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von der Poe&#x017F;ie</hi></fw><lb/>
&#x201E;Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe nicht &#x017F;o zu &#x017F;chanden machen. Denn<lb/>
&#x201E;an den Bo&#x0364;&#x017F;en nicht Rache u&#x0364;ben, das heißt<lb/>
&#x201E;den Frommen Schmach anthun.&#x201E;</quote>
        </cit><lb/>
        <p>Es &#x017F;ind in die&#x017F;er Rede Affecte und Empfin-<lb/>
dungen genug; und die&#x017F;e &#x017F;ind mit einer gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Scharf&#x017F;innigkeit, und einer lehrreichen Ein&#x017F;icht<lb/>
begleitet. Sinnreiche Spru&#x0364;che und kluge Lehren<lb/>
regieren in dem gantzen Gedichte; &#x017F;ie werden nicht<lb/>
zu weit hergehohlet, daß &#x017F;ie dem Ver&#x017F;tande Mu&#x0364;he<lb/>
machten, &#x017F;ondern &#x017F;ie flie&#x017F;&#x017F;en freywillig aus dem Af-<lb/>
fecte und der Sache &#x017F;elb&#x017F;t; und werden daneben<lb/>
in einer deutlichen Redensart vorgetragen. Man<lb/>
ko&#x0364;nnte etliche Dutzend dergleichen, die eben nicht<lb/>
von den abgenutzte&#x017F;ten &#x017F;ind, zu&#x017F;ammenle&#x017F;en. Z. E.</p><lb/>
        <cit>
          <quote>&#x201E;Sorge und Ang&#x017F;t do&#x0364;rret das Hertz aus, des<lb/>
&#x201E;Gemu&#x0364;thes Schmertz verzehret den Leib. - Den<lb/>
&#x201E;Schaden ver&#x017F;chweigen macht ihn &#x017F;teigen, und<lb/>
&#x201E;ihn anzeigen, macht ihn neigen. - Der Witz<lb/>
&#x201E;der Armen liegt in der A&#x017F;che, da der Rei-<lb/>
&#x201E;chen in der Ta&#x017F;che liegt. Der Ta&#x017F;che Witz<lb/>
&#x201E;gilt nicht la&#x0364;nger, als &#x017F;o lange man Geld hat;<lb/>
&#x201E;der A&#x017F;chen Witz ruhet wie ein Schatz, und<lb/>
&#x201E;&#x017F;cheinet, wenn man ihn hervorkratzet. - Das<lb/>
&#x201E;Kleine ko&#x0364;mmt auch zu &#x017F;tatten, ein kleines Ha&#x0364;r-<lb/>
&#x201E;gen giebt auch einen Schatten. - Schla&#x0364;gt Li&#x017F;t<lb/>
&#x201E;zu der Grau&#x017F;amkeit, &#x017F;o hilft keine Ge&#x017F;chwin-<lb/>
&#x201E;digkeit fu&#x0364;r den Tod. - Auch &#x017F;chuldiges Blut,<lb/>
&#x201E;naget einem das Hertz, ge&#x017F;chweige, was das<lb/>
&#x201E;un&#x017F;chuldige thut. - Was i&#x017F;t &#x017F;ich zu verwun-<lb/>
&#x201E;dern, wenn die Wolcken in der Hitze donnern,<lb/>
&#x201E;das i&#x017F;t, wenn die Jugend muthwillig i&#x017F;t, die<lb/>
&#x201E;es &#x017F;ich vor billig ha&#x0364;lt; &#x017F;o es doch kalte Wol-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;ken</fw><lb/></quote>
        </cit>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0076] Von der Poeſie „Geſchoͤpfe nicht ſo zu ſchanden machen. Denn „an den Boͤſen nicht Rache uͤben, das heißt „den Frommen Schmach anthun.„ Es ſind in dieſer Rede Affecte und Empfin- dungen genug; und dieſe ſind mit einer gewiſſen Scharfſinnigkeit, und einer lehrreichen Einſicht begleitet. Sinnreiche Spruͤche und kluge Lehren regieren in dem gantzen Gedichte; ſie werden nicht zu weit hergehohlet, daß ſie dem Verſtande Muͤhe machten, ſondern ſie flieſſen freywillig aus dem Af- fecte und der Sache ſelbſt; und werden daneben in einer deutlichen Redensart vorgetragen. Man koͤnnte etliche Dutzend dergleichen, die eben nicht von den abgenutzteſten ſind, zuſammenleſen. Z. E. „Sorge und Angſt doͤrret das Hertz aus, des „Gemuͤthes Schmertz verzehret den Leib. - Den „Schaden verſchweigen macht ihn ſteigen, und „ihn anzeigen, macht ihn neigen. - Der Witz „der Armen liegt in der Aſche, da der Rei- „chen in der Taſche liegt. Der Taſche Witz „gilt nicht laͤnger, als ſo lange man Geld hat; „der Aſchen Witz ruhet wie ein Schatz, und „ſcheinet, wenn man ihn hervorkratzet. - Das „Kleine koͤmmt auch zu ſtatten, ein kleines Haͤr- „gen giebt auch einen Schatten. - Schlaͤgt Liſt „zu der Grauſamkeit, ſo hilft keine Geſchwin- „digkeit fuͤr den Tod. - Auch ſchuldiges Blut, „naget einem das Hertz, geſchweige, was das „unſchuldige thut. - Was iſt ſich zu verwun- „dern, wenn die Wolcken in der Hitze donnern, „das iſt, wenn die Jugend muthwillig iſt, die „es ſich vor billig haͤlt; ſo es doch kalte Wol- „ken

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/76
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/76>, abgerufen am 21.11.2024.