[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.von Horazens Dichtkunst. Dort stürzt ein wilder Sturm den Schiffer in das Meer:Gesetzt, du könntest nun Cypressenwälder schildern, Was hilft dir diese Kunst? da sich in deinen Bildern Der nur daß sie übel angebracht, und nicht am rechten Orte stehen: Sed nunc non erat his locus: Angesehen er in dieser Dichtkunst selbst nicht nur die Aehnlichkeit zwischen der Mahlerkunst und Poesie vietfältig treibet; sondern sich auch als einen geschickten Mahler wircklich erwiesen hat. Wie ferne im übrigen die poetische Schilderkunst zu dem Wesen der Poesie mitgehöre, das hat Horaz hier eben so we- nig entscheiden wollen, als der deutsche Uebersetzer geschickt gewesen, solches zu erörtern. Leset seine Anmerckung nach. V. 26 - - 30. Dort stürzt ein wilder Sturm den etc.) Wenn ich nicht irre, so will Horaz ferner zeigen, daß die Kunst der poetischen Schildereyen, sonderlich in patheti- schen Stücken, wo man den Affect erregen soll, den Poe- ten leicht zu Ausschweiffungen verleiten könne, wenn sie nicht sehr behutsam und mit vielem Verstand gebraucht wer- den: Als wenn z. E. einer um Geld gedungen wäre, die er- littene Noth eines Menschen in einem Schiffbruch so beweg- lich vorzustellen, daß sie bey jedermann Mitleiden erwecken sollte; Dieser aber würde seine gantze Kunst in Beschrei- bung angenehmer Gegenstände, als etwann eines Cypres- senwalds, bey dem der Nothleidende endlich ans Land ge- stiegen, erschöpfen, anstatt daß er alle die besondere die Ge- fahr des Schiffbruchs vergrössernden Umstände gantz lebhaft und beweglich ausdrücken sollte. Es ist beynahe eben das, was Persius in seiner I. Satyre v. 88. angemercket hat: Men' moveat? quippe, & cantet si naufragus, assem V. 27. Gesezt, du könntest nun Cypressenwälder etc.) Es mag freylich wohl seyn, daß Horaz durch die Cypres- sen hier insgemein etwas habe andeuten wollen, das eben F 5
von Horazens Dichtkunſt. Dort ſtuͤrzt ein wilder Sturm den Schiffer in das Meer:Geſetzt, du koͤnnteſt nun Cypreſſenwaͤlder ſchildern, Was hilft dir dieſe Kunſt? da ſich in deinen Bildern Der nur daß ſie uͤbel angebracht, und nicht am rechten Orte ſtehen: Sed nunc non erat his locus: Angeſehen er in dieſer Dichtkunſt ſelbſt nicht nur die Aehnlichkeit zwiſchen der Mahlerkunſt und Poeſie vietfaͤltig treibet; ſondern ſich auch als einen geſchickten Mahler wircklich erwieſen hat. Wie ferne im uͤbrigen die poetiſche Schilderkunſt zu dem Weſen der Poeſie mitgehoͤre, das hat Horaz hier eben ſo we- nig entſcheiden wollen, als der deutſche Ueberſetzer geſchickt geweſen, ſolches zu eroͤrtern. Leſet ſeine Anmerckung nach. V. 26 ‒ ‒ 30. Dort ſtuͤrzt ein wilder Sturm den ꝛc.) Wenn ich nicht irre, ſo will Horaz ferner zeigen, daß die Kunſt der poetiſchen Schildereyen, ſonderlich in patheti- ſchen Stuͤcken, wo man den Affect erregen ſoll, den Poe- ten leicht zu Ausſchweiffungen verleiten koͤnne, wenn ſie nicht ſehr behutſam und mit vielem Verſtand gebraucht wer- den: Als wenn z. E. einer um Geld gedungen waͤre, die er- littene Noth eines Menſchen in einem Schiffbruch ſo beweg- lich vorzuſtellen, daß ſie bey jedermann Mitleiden erwecken ſollte; Dieſer aber wuͤrde ſeine gantze Kunſt in Beſchrei- bung angenehmer Gegenſtaͤnde, als etwann eines Cypreſ- ſenwalds, bey dem der Nothleidende endlich ans Land ge- ſtiegen, erſchoͤpfen, anſtatt daß er alle die beſondere die Ge- fahr des Schiffbruchs vergroͤſſernden Umſtaͤnde gantz lebhaft und beweglich ausdruͤcken ſollte. Es iſt beynahe eben das, was Perſius in ſeiner I. Satyre v. 88. angemercket hat: Men’ moveat? quippe, & cantet ſi naufragus, aſſem V. 27. Geſezt, du koͤnnteſt nun Cypreſſenwaͤlder ꝛc.) Es mag freylich wohl ſeyn, daß Horaz durch die Cypreſ- ſen hier insgemein etwas habe andeuten wollen, das eben F 5
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Der
V. 26 ‒ ‒ 30. Dort ſtuͤrzt ein wilder Sturm den ꝛc.)
Wenn ich nicht irre, ſo will Horaz ferner zeigen, daß
die Kunſt der poetiſchen Schildereyen, ſonderlich in patheti-
ſchen Stuͤcken, wo man den Affect erregen ſoll, den Poe-
ten leicht zu Ausſchweiffungen verleiten koͤnne, wenn ſie
nicht ſehr behutſam und mit vielem Verſtand gebraucht wer-
den: Als wenn z. E. einer um Geld gedungen waͤre, die er-
littene Noth eines Menſchen in einem Schiffbruch ſo beweg-
lich vorzuſtellen, daß ſie bey jedermann Mitleiden erwecken
ſollte; Dieſer aber wuͤrde ſeine gantze Kunſt in Beſchrei-
bung angenehmer Gegenſtaͤnde, als etwann eines Cypreſ-
ſenwalds, bey dem der Nothleidende endlich ans Land ge-
ſtiegen, erſchoͤpfen, anſtatt daß er alle die beſondere die Ge-
fahr des Schiffbruchs vergroͤſſernden Umſtaͤnde gantz lebhaft
und beweglich ausdruͤcken ſollte. Es iſt beynahe eben das,
was Perſius in ſeiner I. Satyre v. 88. angemercket hat:
Men’ moveat? quippe, & cantet ſi naufragus, aſſem
Protulerim. Cantas, cum fracta te in trabe pictum
Ex humero portas?
V. 27. Geſezt, du koͤnnteſt nun Cypreſſenwaͤlder ꝛc.)
Es mag freylich wohl ſeyn, daß Horaz durch die Cypreſ-
ſen hier insgemein etwas habe andeuten wollen, das eben
nur daß ſie uͤbel angebracht, und nicht am rechten Orte
ſtehen: Sed nunc non erat his locus: Angeſehen er in
dieſer Dichtkunſt ſelbſt nicht nur die Aehnlichkeit zwiſchen
der Mahlerkunſt und Poeſie vietfaͤltig treibet; ſondern ſich
auch als einen geſchickten Mahler wircklich erwieſen hat.
Wie ferne im uͤbrigen die poetiſche Schilderkunſt zu dem
Weſen der Poeſie mitgehoͤre, das hat Horaz hier eben ſo we-
nig entſcheiden wollen, als der deutſche Ueberſetzer geſchickt
geweſen, ſolches zu eroͤrtern. Leſet ſeine Anmerckung nach.
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