Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite
von Horazens Dichtkunst.
Mich dünkt, daß sich allda der Ordnung Schönheit zeigt, 55.
Wenn
worden, darauf sich hier der Nachsatz beziehen könnte:
Gottsched hat nur gewarnet, die Dichter sollten nicht alles
unterfangen, sondern ihre Kräfte zuerst prüffen, und die
Sache reiflich überlegen. Nun will sich die Folge: So
wird nach klugem Wehlen: etc.
mit dem Vordersatz gar
nicht reimen. Daneben schreibt er den Vortheil, der aus
einer guten Wahl natürlicher Weise herfliessen soll, nicht
dem Poeten, wie Horaz, sondern der Schrift selbst zu, die
doch in diesem Fall noch als ungebohren betrachtet werden
muß: Und endlich zertrennet er den doppelten Vortheil, den
Horaz anführet in drey Absätze. Horaz redet nur de facun-
dia,
welches unstreitig auf die Worte und einen geschickten
Ausdruck gehet; und de ordine lucido, d. i. von einer sol-
chen Verfassung der Materie, wodurch dieselbe in ihr rechtes
Licht gesetzt wird. Der Hr. von Eckard, den er doch ziem-
lich verächtlich tractirt, und weit übertroffen zu haben
gläubet, hat diese Fehler gröstentheils glücklich vermieden,
und den Verstand nicht übel ausgedrückt:
Habt ihr denn recht gewählt, so dörft ihr euch nicht
quälen,
Euch wird an Worten nicht, noch auch an Ordnung
fehlen.
Es ist auch die Verwirrung, die Gottsched in seine Ueber-
setzung gebracht hat, um so viel ungeschickter, weil sie uns die
Eintheilung und Verknüpfung der folgenden Sätze des
Horazen, die sich auf diesen doppelten Vortheil gründet,
gäntzlich aus den Augen rücket; Massen er erstlich von dem
Nutzen einer guten Ordnung, und dann von dem, was bey
dem Ausdruck und dem Gebrauch der Wörter für Behutsam-
keit zu beobachten sey, unterschiedlich handelt. Jch bin
allzeit angestanden, ob das rem potenter legere in dem
Sinn, wie es gemeiniglich genommen wird, mit dem latei-
nischen Gebrauch übereinstimme: Denn man sagt wohl pru-
denter eligere;
aber potenter ist ganz ungewöhnlich: Jch
bin darum auf die Gedancken und die Vermuthung gefallen,
res potenter lecta bezeichne hier, was man wohl gelesen
und fleißig studiert hat.
G 2
von Horazens Dichtkunſt.
Mich duͤnkt, daß ſich allda der Ordnung Schoͤnheit zeigt, 55.
Wenn
worden, darauf ſich hier der Nachſatz beziehen koͤnnte:
Gottſched hat nur gewarnet, die Dichter ſollten nicht alles
unterfangen, ſondern ihre Kraͤfte zuerſt pruͤffen, und die
Sache reiflich uͤberlegen. Nun will ſich die Folge: So
wird nach klugem Wehlen: ꝛc.
mit dem Vorderſatz gar
nicht reimen. Daneben ſchreibt er den Vortheil, der aus
einer guten Wahl natuͤrlicher Weiſe herflieſſen ſoll, nicht
dem Poeten, wie Horaz, ſondern der Schrift ſelbſt zu, die
doch in dieſem Fall noch als ungebohren betrachtet werden
muß: Und endlich zertrennet er den doppelten Vortheil, den
Horaz anfuͤhret in drey Abſaͤtze. Horaz redet nur de facun-
dia,
welches unſtreitig auf die Worte und einen geſchickten
Ausdruck gehet; und de ordine lucido, d. i. von einer ſol-
chen Verfaſſung der Materie, wodurch dieſelbe in ihr rechtes
Licht geſetzt wird. Der Hr. von Eckard, den er doch ziem-
lich veraͤchtlich tractirt, und weit uͤbertroffen zu haben
glaͤubet, hat dieſe Fehler groͤſtentheils gluͤcklich vermieden,
und den Verſtand nicht uͤbel ausgedruͤckt:
Habt ihr denn recht gewaͤhlt, ſo doͤrft ihr euch nicht
quaͤlen,
Euch wird an Worten nicht, noch auch an Ordnung
fehlen.
Es iſt auch die Verwirrung, die Gottſched in ſeine Ueber-
ſetzung gebracht hat, um ſo viel ungeſchickter, weil ſie uns die
Eintheilung und Verknuͤpfung der folgenden Saͤtze des
Horazen, die ſich auf dieſen doppelten Vortheil gruͤndet,
gaͤntzlich aus den Augen ruͤcket; Maſſen er erſtlich von dem
Nutzen einer guten Ordnung, und dann von dem, was bey
dem Ausdruck und dem Gebrauch der Woͤrter fuͤr Behutſam-
keit zu beobachten ſey, unterſchiedlich handelt. Jch bin
allzeit angeſtanden, ob das rem potenter legere in dem
Sinn, wie es gemeiniglich genommen wird, mit dem latei-
niſchen Gebrauch uͤbereinſtimme: Denn man ſagt wohl pru-
denter eligere;
aber potenter iſt ganz ungewoͤhnlich: Jch
bin darum auf die Gedancken und die Vermuthung gefallen,
res potenter lecta bezeichne hier, was man wohl geleſen
und fleißig ſtudiert hat.
G 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0099" n="99"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">von Horazens Dichtkun&#x017F;t.</hi> </fw><lb/>
            <l>Mich du&#x0364;nkt, daß &#x017F;ich allda der Ordnung Scho&#x0364;nheit zeigt, <note place="right">55.</note></l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Wenn</fw><lb/>
            <note xml:id="a018b" prev="#a018" place="foot">worden, darauf &#x017F;ich hier der Nach&#x017F;atz beziehen ko&#x0364;nnte:<lb/>
Gott&#x017F;ched hat nur gewarnet, die Dichter &#x017F;ollten nicht alles<lb/>
unterfangen, &#x017F;ondern ihre Kra&#x0364;fte zuer&#x017F;t pru&#x0364;ffen, und die<lb/>
Sache reiflich u&#x0364;berlegen. Nun will &#x017F;ich die Folge: <hi rendition="#fr">So<lb/>
wird nach klugem Wehlen: &#xA75B;c.</hi> mit dem Vorder&#x017F;atz gar<lb/>
nicht reimen. Daneben &#x017F;chreibt er den Vortheil, der aus<lb/>
einer guten Wahl natu&#x0364;rlicher Wei&#x017F;e herflie&#x017F;&#x017F;en &#x017F;oll, nicht<lb/>
dem Poeten, wie Horaz, &#x017F;ondern der Schrift &#x017F;elb&#x017F;t zu, die<lb/>
doch in die&#x017F;em Fall noch als ungebohren betrachtet werden<lb/>
muß: Und endlich zertrennet er den doppelten Vortheil, den<lb/>
Horaz anfu&#x0364;hret in drey Ab&#x017F;a&#x0364;tze. Horaz redet nur <hi rendition="#aq">de facun-<lb/>
dia,</hi> welches un&#x017F;treitig auf die Worte und einen ge&#x017F;chickten<lb/>
Ausdruck gehet; und <hi rendition="#aq">de ordine lucido,</hi> d. i. von einer &#x017F;ol-<lb/>
chen Verfa&#x017F;&#x017F;ung der Materie, wodurch die&#x017F;elbe in ihr rechtes<lb/>
Licht ge&#x017F;etzt wird. Der Hr. von Eckard, den er doch ziem-<lb/>
lich vera&#x0364;chtlich tractirt, und weit u&#x0364;bertroffen zu haben<lb/>
gla&#x0364;ubet, hat die&#x017F;e Fehler gro&#x0364;&#x017F;tentheils glu&#x0364;cklich vermieden,<lb/>
und den Ver&#x017F;tand nicht u&#x0364;bel ausgedru&#x0364;ckt:<lb/><lg type="poem"><l><hi rendition="#fr">Habt ihr denn recht gewa&#x0364;hlt, &#x017F;o do&#x0364;rft ihr euch nicht</hi></l><lb/><l><hi rendition="#fr"><hi rendition="#et">qua&#x0364;len,</hi></hi></l><lb/><l><hi rendition="#et">Euch wird an Worten nicht, noch auch an Ordnung</hi></l><lb/><l><hi rendition="#et"><hi rendition="#et">fehlen.</hi></hi></l></lg><lb/>
Es i&#x017F;t auch die Verwirrung, die Gott&#x017F;ched in &#x017F;eine Ueber-<lb/>
&#x017F;etzung gebracht hat, um &#x017F;o viel unge&#x017F;chickter, weil &#x017F;ie uns die<lb/>
Eintheilung und Verknu&#x0364;pfung der folgenden Sa&#x0364;tze des<lb/>
Horazen, die &#x017F;ich auf die&#x017F;en doppelten Vortheil gru&#x0364;ndet,<lb/>
ga&#x0364;ntzlich aus den Augen ru&#x0364;cket; Ma&#x017F;&#x017F;en er er&#x017F;tlich von dem<lb/>
Nutzen einer guten Ordnung, und dann von dem, was bey<lb/>
dem Ausdruck und dem Gebrauch der Wo&#x0364;rter fu&#x0364;r Behut&#x017F;am-<lb/>
keit zu beobachten &#x017F;ey, unter&#x017F;chiedlich handelt. Jch bin<lb/>
allzeit ange&#x017F;tanden, ob das <hi rendition="#aq">rem potenter legere</hi> in dem<lb/>
Sinn, wie es gemeiniglich genommen wird, mit dem latei-<lb/>
ni&#x017F;chen Gebrauch u&#x0364;berein&#x017F;timme: Denn man &#x017F;agt wohl <hi rendition="#aq">pru-<lb/>
denter eligere;</hi> aber <hi rendition="#aq">potenter</hi> i&#x017F;t ganz ungewo&#x0364;hnlich: Jch<lb/>
bin darum auf die Gedancken und die Vermuthung gefallen,<lb/><hi rendition="#aq">res potenter lecta</hi> bezeichne hier, was man wohl gele&#x017F;en<lb/>
und fleißig &#x017F;tudiert hat.</note><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">G 2</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0099] von Horazens Dichtkunſt. Mich duͤnkt, daß ſich allda der Ordnung Schoͤnheit zeigt, Wenn worden, darauf ſich hier der Nachſatz beziehen koͤnnte: Gottſched hat nur gewarnet, die Dichter ſollten nicht alles unterfangen, ſondern ihre Kraͤfte zuerſt pruͤffen, und die Sache reiflich uͤberlegen. Nun will ſich die Folge: So wird nach klugem Wehlen: ꝛc. mit dem Vorderſatz gar nicht reimen. Daneben ſchreibt er den Vortheil, der aus einer guten Wahl natuͤrlicher Weiſe herflieſſen ſoll, nicht dem Poeten, wie Horaz, ſondern der Schrift ſelbſt zu, die doch in dieſem Fall noch als ungebohren betrachtet werden muß: Und endlich zertrennet er den doppelten Vortheil, den Horaz anfuͤhret in drey Abſaͤtze. Horaz redet nur de facun- dia, welches unſtreitig auf die Worte und einen geſchickten Ausdruck gehet; und de ordine lucido, d. i. von einer ſol- chen Verfaſſung der Materie, wodurch dieſelbe in ihr rechtes Licht geſetzt wird. Der Hr. von Eckard, den er doch ziem- lich veraͤchtlich tractirt, und weit uͤbertroffen zu haben glaͤubet, hat dieſe Fehler groͤſtentheils gluͤcklich vermieden, und den Verſtand nicht uͤbel ausgedruͤckt: Habt ihr denn recht gewaͤhlt, ſo doͤrft ihr euch nicht quaͤlen, Euch wird an Worten nicht, noch auch an Ordnung fehlen. Es iſt auch die Verwirrung, die Gottſched in ſeine Ueber- ſetzung gebracht hat, um ſo viel ungeſchickter, weil ſie uns die Eintheilung und Verknuͤpfung der folgenden Saͤtze des Horazen, die ſich auf dieſen doppelten Vortheil gruͤndet, gaͤntzlich aus den Augen ruͤcket; Maſſen er erſtlich von dem Nutzen einer guten Ordnung, und dann von dem, was bey dem Ausdruck und dem Gebrauch der Woͤrter fuͤr Behutſam- keit zu beobachten ſey, unterſchiedlich handelt. Jch bin allzeit angeſtanden, ob das rem potenter legere in dem Sinn, wie es gemeiniglich genommen wird, mit dem latei- niſchen Gebrauch uͤbereinſtimme: Denn man ſagt wohl pru- denter eligere; aber potenter iſt ganz ungewoͤhnlich: Jch bin darum auf die Gedancken und die Vermuthung gefallen, res potenter lecta bezeichne hier, was man wohl geleſen und fleißig ſtudiert hat. G 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung09_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung09_1743/99
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung09_1743/99>, abgerufen am 21.11.2024.