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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.

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Versuch eines Gedichtes
Und ob uns Ada gleich schon öffters winckte zu,
Erriethen wir doch nicht, warum sie solches thu.
Jndem schau ich mich um, ja wie mir wurd zu Muthe,
Ja wie mir wurd zu Sinn, als ich die Unglücks-Fluthe
Mit gräßlichem Gesicht so nahe sah bey mir,
Das weiß ich selbst noch nicht, und kans nicht sagen dir.820.
Jch bliebe gleichsam todt und ohn ein Wort gesprochen
Lief ich, gleich wann ich hätt was greuliches verbrochen,
Von ihm nach Ada zu, doch Adriel blieb stehn,
Und scheuete sich nicht, ihn tapfer anzusehn.
Jst das, fieng Joel an, die Ehr, die mir gebühret?
Nein, sprache Adriel, weil du bisher geführet
Dein Amt mit Sünd und Spott, ist dieses viel zu schlecht,
Daß man dich so beschreibt, denn wer das Recht so schwächt,
Gleichwie du thust, den sollt man billich anderst finden.
Du häuffest Jsrael die Straff mit deinen Sünden,830.
Und wird man in die Läng nicht sitzen dazu still,
Der nüzt uns nicht, der da das Recht nicht führen will.
Nach diesem freyen Wort hätt man ja sollen dencken,
Es würd des Richters Zorn den Adriel versencken,
Nein aber höre nur, wie gleissend er sich stellt,
Er saget lächlend drauf: Der ist nicht in der Welt,
Wer allen kan zu Danck, und wie man will, regieren.
Hiemit geht er zu mir, und sagt: Nun kan ich spüren,
Wie man hie ist gesinnt, und wie man das erkennt,
Daß eines Richters Hertz in heisser Liebe brennt.840.
Läßt uns darauf allein, und berget seine Rache,
Doch ware mir alsbald nicht wohl bey dieser Sache,
Und weil ich Adriel, der also frey geschwätzt,
Sah in der höchsten Noth, darein er sich gesetzt,
Must er auf meine Bitt aus Bersaba entweichen.
Jch konnte dieses lang bey ihme nicht erreichen,
Weil seine Großmuth ihn abhielt für dem zu gehn,
Den er nicht würdig acht, im Wege anzusehn.
Doch weil zur selben Zeit Gewalt für Recht sich wiese,
Konnt es nicht anderst seyn, ein jeder sich befliesse,850.
Zu haben Joels Gunst, wiewohl man ihm nicht gut,
Stellt man sich doch aus Furcht, als wann mans gerne thut.
Drum
Verſuch eines Gedichtes
Und ob uns Ada gleich ſchon oͤffters winckte zu,
Erriethen wir doch nicht, warum ſie ſolches thu.
Jndem ſchau ich mich um, ja wie mir wurd zu Muthe,
Ja wie mir wurd zu Sinn, als ich die Ungluͤcks-Fluthe
Mit graͤßlichem Geſicht ſo nahe ſah bey mir,
Das weiß ich ſelbſt noch nicht, und kans nicht ſagen dir.820.
Jch bliebe gleichſam todt und ohn ein Wort geſprochen
Lief ich, gleich wann ich haͤtt was greuliches verbrochen,
Von ihm nach Ada zu, doch Adriel blieb ſtehn,
Und ſcheuete ſich nicht, ihn tapfer anzuſehn.
Jſt das, fieng Joel an, die Ehr, die mir gebuͤhret?
Nein, ſprache Adriel, weil du bisher gefuͤhret
Dein Amt mit Suͤnd und Spott, iſt dieſes viel zu ſchlecht,
Daß man dich ſo beſchreibt, denn wer das Recht ſo ſchwaͤcht,
Gleichwie du thuſt, den ſollt man billich anderſt finden.
Du haͤuffeſt Jſrael die Straff mit deinen Suͤnden,830.
Und wird man in die Laͤng nicht ſitzen dazu ſtill,
Der nuͤzt uns nicht, der da das Recht nicht fuͤhren will.
Nach dieſem freyen Wort haͤtt man ja ſollen dencken,
Es wuͤrd des Richters Zorn den Adriel verſencken,
Nein aber hoͤre nur, wie gleiſſend er ſich ſtellt,
Er ſaget laͤchlend drauf: Der iſt nicht in der Welt,
Wer allen kan zu Danck, und wie man will, regieren.
Hiemit geht er zu mir, und ſagt: Nun kan ich ſpuͤren,
Wie man hie iſt geſinnt, und wie man das erkennt,
Daß eines Richters Hertz in heiſſer Liebe brennt.840.
Laͤßt uns darauf allein, und berget ſeine Rache,
Doch ware mir alsbald nicht wohl bey dieſer Sache,
Und weil ich Adriel, der alſo frey geſchwaͤtzt,
Sah in der hoͤchſten Noth, darein er ſich geſetzt,
Muſt er auf meine Bitt aus Berſaba entweichen.
Jch konnte dieſes lang bey ihme nicht erreichen,
Weil ſeine Großmuth ihn abhielt fuͤr dem zu gehn,
Den er nicht wuͤrdig acht, im Wege anzuſehn.
Doch weil zur ſelben Zeit Gewalt fuͤr Recht ſich wieſe,
Konnt es nicht anderſt ſeyn, ein jeder ſich beflieſſe,850.
Zu haben Joels Gunſt, wiewohl man ihm nicht gut,
Stellt man ſich doch aus Furcht, als wann mans gerne thut.
Drum
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[46/0046] Verſuch eines Gedichtes Und ob uns Ada gleich ſchon oͤffters winckte zu, Erriethen wir doch nicht, warum ſie ſolches thu. Jndem ſchau ich mich um, ja wie mir wurd zu Muthe, Ja wie mir wurd zu Sinn, als ich die Ungluͤcks-Fluthe Mit graͤßlichem Geſicht ſo nahe ſah bey mir, Das weiß ich ſelbſt noch nicht, und kans nicht ſagen dir. Jch bliebe gleichſam todt und ohn ein Wort geſprochen Lief ich, gleich wann ich haͤtt was greuliches verbrochen, Von ihm nach Ada zu, doch Adriel blieb ſtehn, Und ſcheuete ſich nicht, ihn tapfer anzuſehn. Jſt das, fieng Joel an, die Ehr, die mir gebuͤhret? Nein, ſprache Adriel, weil du bisher gefuͤhret Dein Amt mit Suͤnd und Spott, iſt dieſes viel zu ſchlecht, Daß man dich ſo beſchreibt, denn wer das Recht ſo ſchwaͤcht, Gleichwie du thuſt, den ſollt man billich anderſt finden. Du haͤuffeſt Jſrael die Straff mit deinen Suͤnden, Und wird man in die Laͤng nicht ſitzen dazu ſtill, Der nuͤzt uns nicht, der da das Recht nicht fuͤhren will. Nach dieſem freyen Wort haͤtt man ja ſollen dencken, Es wuͤrd des Richters Zorn den Adriel verſencken, Nein aber hoͤre nur, wie gleiſſend er ſich ſtellt, Er ſaget laͤchlend drauf: Der iſt nicht in der Welt, Wer allen kan zu Danck, und wie man will, regieren. Hiemit geht er zu mir, und ſagt: Nun kan ich ſpuͤren, Wie man hie iſt geſinnt, und wie man das erkennt, Daß eines Richters Hertz in heiſſer Liebe brennt. Laͤßt uns darauf allein, und berget ſeine Rache, Doch ware mir alsbald nicht wohl bey dieſer Sache, Und weil ich Adriel, der alſo frey geſchwaͤtzt, Sah in der hoͤchſten Noth, darein er ſich geſetzt, Muſt er auf meine Bitt aus Berſaba entweichen. Jch konnte dieſes lang bey ihme nicht erreichen, Weil ſeine Großmuth ihn abhielt fuͤr dem zu gehn, Den er nicht wuͤrdig acht, im Wege anzuſehn. Doch weil zur ſelben Zeit Gewalt fuͤr Recht ſich wieſe, Konnt es nicht anderſt ſeyn, ein jeder ſich beflieſſe, Zu haben Joels Gunſt, wiewohl man ihm nicht gut, Stellt man ſich doch aus Furcht, als wann mans gerne thut. Drum

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/46>, abgerufen am 03.12.2024.