[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.Von Langnau Schreiben andern gelesen habet, und welches schon vielfältigwiederlegt worden. Jhr gebet zu, daß die streiti- ge Redens-Art, die Augen über einen Gegen- stand hinspazieren lassen, von den Schweitzern als eine Metapher aus der Analogie gründlich ge- schützt und gerechtfertiget worden: Allein sie kom- me euch dennoch noch ziemlich verdächtig für, da- rum weil sie gantz neu und ungewohut sey; und Hr. Breitinger selbs die Regel gegeben habe: Man müsse keine metaphorische Redensart für gül- tig annehmen, die mit dem allgemein einge- führten Gebrauche, und mit der guten Mundart streite. Jhr behauptet hiemit einerseits, daß es freylich erlaubt und gut, und zuweilen nothwendig sey, neue Metaphern in eine Sprache einzufüh- ren, denn dieses hat euch Hr. Breitinger so gründlich und überzeugend gelehret, daß ihr ihm euren Beyfall nicht versagen könnet. Aber auf der andern Seite glaubet ihr auch, daß es nicht er- laubt und gut sey, neue und bisher in dem Deut- schen ungebräuchliche Metaphern einzuführen, denn ihr wollet, daß man eine metaphorische Redens- art, sie mag an ihr selbs noch so richtig seyn, nur darum verwerffe, weil sie neu und bisher nicht ge- bräuchlich gewesen: und dieses sind eure alten tief- eingesessene Gedancken, die euch Hr. Gottsched gelehret, und die zu verläugnen, wenn man gleich was bessers erkennet, sehr schwer fällt. Jhr glau- bet hiemit widersprechende Sätze, daß eben dassel- be Ding zugleich erlaubt und nicht erlaubt sey. Laß mir den einen Kunstrichter seyn, der sich zur ersten Regel gemacht hat: "Jch soll mich an kei- "ne
Von Langnau Schreiben andern geleſen habet, und welches ſchon vielfaͤltigwiederlegt worden. Jhr gebet zu, daß die ſtreiti- ge Redens-Art, die Augen uͤber einen Gegen- ſtand hinſpazieren laſſen, von den Schweitzern als eine Metapher aus der Analogie gruͤndlich ge- ſchuͤtzt und gerechtfertiget worden: Allein ſie kom- me euch dennoch noch ziemlich verdaͤchtig fuͤr, da- rum weil ſie gantz neu und ungewohut ſey; und Hr. Breitinger ſelbs die Regel gegeben habe: Man muͤſſe keine metaphoriſche Redensart fuͤr guͤl- tig annehmen, die mit dem allgemein einge- fuͤhrten Gebrauche, und mit der guten Mundart ſtreite. Jhr behauptet hiemit einerſeits, daß es freylich erlaubt und gut, und zuweilen nothwendig ſey, neue Metaphern in eine Sprache einzufuͤh- ren, denn dieſes hat euch Hr. Breitinger ſo gruͤndlich und uͤberzeugend gelehret, daß ihr ihm euren Beyfall nicht verſagen koͤnnet. Aber auf der andern Seite glaubet ihr auch, daß es nicht er- laubt und gut ſey, neue und bisher in dem Deut- ſchen ungebraͤuchliche Metaphern einzufuͤhren, denn ihr wollet, daß man eine metaphoriſche Redens- art, ſie mag an ihr ſelbs noch ſo richtig ſeyn, nur darum verwerffe, weil ſie neu und bisher nicht ge- braͤuchlich geweſen: und dieſes ſind eure alten tief- eingeſeſſene Gedancken, die euch Hr. Gottſched gelehret, und die zu verlaͤugnen, wenn man gleich was beſſers erkennet, ſehr ſchwer faͤllt. Jhr glau- bet hiemit widerſprechende Saͤtze, daß eben daſſel- be Ding zugleich erlaubt und nicht erlaubt ſey. Laß mir den einen Kunſtrichter ſeyn, der ſich zur erſten Regel gemacht hat: „Jch ſoll mich an kei- „ne
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0058" n="56"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von Langnau Schreiben</hi></fw><lb/> andern geleſen habet, und welches ſchon vielfaͤltig<lb/> wiederlegt worden. Jhr gebet zu, daß die ſtreiti-<lb/> ge Redens-Art, die <hi rendition="#fr">Augen uͤber einen Gegen-<lb/> ſtand hinſpazieren laſſen,</hi> von den Schweitzern<lb/> als eine Metapher aus der Analogie gruͤndlich ge-<lb/> ſchuͤtzt und gerechtfertiget worden: Allein ſie kom-<lb/> me euch dennoch noch ziemlich verdaͤchtig fuͤr, da-<lb/> rum weil ſie gantz neu und ungewohut ſey; und<lb/> Hr. <hi rendition="#fr">Breitinger</hi> ſelbs die Regel gegeben habe:<lb/> Man muͤſſe keine metaphoriſche Redensart fuͤr guͤl-<lb/> tig annehmen, die mit dem allgemein einge-<lb/> fuͤhrten Gebrauche, und mit der guten Mundart<lb/> ſtreite. Jhr behauptet hiemit einerſeits, daß es<lb/> freylich erlaubt und gut, und zuweilen nothwendig<lb/> ſey, <hi rendition="#fr">neue</hi> Metaphern in eine Sprache einzufuͤh-<lb/> ren, denn dieſes hat euch Hr. <hi rendition="#fr">Breitinger</hi> ſo<lb/> gruͤndlich und uͤberzeugend gelehret, daß ihr ihm<lb/> euren Beyfall nicht verſagen koͤnnet. Aber auf der<lb/> andern Seite glaubet ihr auch, daß es nicht er-<lb/> laubt und gut ſey, <hi rendition="#fr">neue</hi> und bisher in dem Deut-<lb/> ſchen ungebraͤuchliche Metaphern einzufuͤhren, denn<lb/> ihr wollet, daß man eine metaphoriſche Redens-<lb/> art, ſie mag an ihr ſelbs noch ſo richtig ſeyn, nur<lb/> darum verwerffe, weil ſie neu und bisher nicht ge-<lb/> braͤuchlich geweſen: und dieſes ſind eure alten tief-<lb/> eingeſeſſene Gedancken, die euch Hr. <hi rendition="#fr">Gottſched</hi><lb/> gelehret, und die zu verlaͤugnen, wenn man gleich<lb/> was beſſers erkennet, ſehr ſchwer faͤllt. Jhr glau-<lb/> bet hiemit widerſprechende Saͤtze, daß eben daſſel-<lb/> be Ding zugleich erlaubt und nicht erlaubt ſey.<lb/> Laß mir den einen Kunſtrichter ſeyn, der ſich zur<lb/> erſten Regel gemacht hat:</p> <cit> <quote>„Jch ſoll mich an kei-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">„ne</fw><lb/></quote> </cit> </div> </div> </body> </text> </TEI> [56/0058]
Von Langnau Schreiben
andern geleſen habet, und welches ſchon vielfaͤltig
wiederlegt worden. Jhr gebet zu, daß die ſtreiti-
ge Redens-Art, die Augen uͤber einen Gegen-
ſtand hinſpazieren laſſen, von den Schweitzern
als eine Metapher aus der Analogie gruͤndlich ge-
ſchuͤtzt und gerechtfertiget worden: Allein ſie kom-
me euch dennoch noch ziemlich verdaͤchtig fuͤr, da-
rum weil ſie gantz neu und ungewohut ſey; und
Hr. Breitinger ſelbs die Regel gegeben habe:
Man muͤſſe keine metaphoriſche Redensart fuͤr guͤl-
tig annehmen, die mit dem allgemein einge-
fuͤhrten Gebrauche, und mit der guten Mundart
ſtreite. Jhr behauptet hiemit einerſeits, daß es
freylich erlaubt und gut, und zuweilen nothwendig
ſey, neue Metaphern in eine Sprache einzufuͤh-
ren, denn dieſes hat euch Hr. Breitinger ſo
gruͤndlich und uͤberzeugend gelehret, daß ihr ihm
euren Beyfall nicht verſagen koͤnnet. Aber auf der
andern Seite glaubet ihr auch, daß es nicht er-
laubt und gut ſey, neue und bisher in dem Deut-
ſchen ungebraͤuchliche Metaphern einzufuͤhren, denn
ihr wollet, daß man eine metaphoriſche Redens-
art, ſie mag an ihr ſelbs noch ſo richtig ſeyn, nur
darum verwerffe, weil ſie neu und bisher nicht ge-
braͤuchlich geweſen: und dieſes ſind eure alten tief-
eingeſeſſene Gedancken, die euch Hr. Gottſched
gelehret, und die zu verlaͤugnen, wenn man gleich
was beſſers erkennet, ſehr ſchwer faͤllt. Jhr glau-
bet hiemit widerſprechende Saͤtze, daß eben daſſel-
be Ding zugleich erlaubt und nicht erlaubt ſey.
Laß mir den einen Kunſtrichter ſeyn, der ſich zur
erſten Regel gemacht hat:
„Jch ſoll mich an kei-
„ne
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |