[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744.Wie weit sich ein Poet demnach unmöglich und utopisch, und gehörte zuder ersten Classe. Zudem hat das Mögliche schon einen Grad der Wahrscheinlichkeit, und kan also nicht schlechterdings unwahrscheinlich und doch zu- gleich möglich seyn. Was ist sichs dann zu ver- wundern, daß die gantze Abhandlung von dieser zweiten Eintheilung in diesen wenigen Worten be- stehet: Von einer solchen Art (nemlich der mög- lichen und wahrscheinlichen Erdichtungen) wäre mir fast keine bekannt, man wollte denn Güllivers oder Klimms Reisen dahin rechnen. Wohin rechnet denn der gute Mensch die Aesopi- schen Fabeln? Damit ich von so vielen emblema- tischen und allegorischen Stücken in der alten My- thologie, in Homers und Ovidius Gedichten, dies- mahlen nichts sage, weil dieses Sachen sind, die dem armen Stümper zu hoch sind. Jch rathe ihm also wohlmeynend, daß er Hrn. Prof. Breitin- gers Abhandlung von der Fabel mit Verstand durchlese, so wird er finden, daß dieses vornehme Stück der Dichtung, weder zu den wahren Er- dichtungen, noch zu den utopischen gehöret: denn aus seiner Gottschedischen Dichtkunst hat er sol- ches bisher nicht lernen können. Nicht deutlichere Begriffe, aber wohl eben so mög-
Wie weit ſich ein Poet demnach unmoͤglich und utopiſch, und gehoͤrte zuder erſten Claſſe. Zudem hat das Moͤgliche ſchon einen Grad der Wahrſcheinlichkeit, und kan alſo nicht ſchlechterdings unwahrſcheinlich und doch zu- gleich moͤglich ſeyn. Was iſt ſichs dann zu ver- wundern, daß die gantze Abhandlung von dieſer zweiten Eintheilung in dieſen wenigen Worten be- ſtehet: Von einer ſolchen Art (nemlich der moͤg- lichen und wahrſcheinlichen Erdichtungen) waͤre mir faſt keine bekannt, man wollte denn Guͤllivers oder Klimms Reiſen dahin rechnen. Wohin rechnet denn der gute Menſch die Aeſopi- ſchen Fabeln? Damit ich von ſo vielen emblema- tiſchen und allegoriſchen Stuͤcken in der alten My- thologie, in Homers und Ovidius Gedichten, dies- mahlen nichts ſage, weil dieſes Sachen ſind, die dem armen Stuͤmper zu hoch ſind. Jch rathe ihm alſo wohlmeynend, daß er Hrn. Prof. Breitin- gers Abhandlung von der Fabel mit Verſtand durchleſe, ſo wird er finden, daß dieſes vornehme Stuͤck der Dichtung, weder zu den wahren Er- dichtungen, noch zu den utopiſchen gehoͤret: denn aus ſeiner Gottſchediſchen Dichtkunſt hat er ſol- ches bisher nicht lernen koͤnnen. Nicht deutlichere Begriffe, aber wohl eben ſo moͤg-
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Wie weit ſich ein Poet
demnach unmoͤglich und utopiſch, und gehoͤrte zu
der erſten Claſſe. Zudem hat das Moͤgliche ſchon
einen Grad der Wahrſcheinlichkeit, und kan alſo
nicht ſchlechterdings unwahrſcheinlich und doch zu-
gleich moͤglich ſeyn. Was iſt ſichs dann zu ver-
wundern, daß die gantze Abhandlung von dieſer
zweiten Eintheilung in dieſen wenigen Worten be-
ſtehet: Von einer ſolchen Art (nemlich der moͤg-
lichen und wahrſcheinlichen Erdichtungen)
waͤre mir faſt keine bekannt, man wollte denn
Guͤllivers oder Klimms Reiſen dahin rechnen.
Wohin rechnet denn der gute Menſch die Aeſopi-
ſchen Fabeln? Damit ich von ſo vielen emblema-
tiſchen und allegoriſchen Stuͤcken in der alten My-
thologie, in Homers und Ovidius Gedichten, dies-
mahlen nichts ſage, weil dieſes Sachen ſind, die
dem armen Stuͤmper zu hoch ſind. Jch rathe ihm
alſo wohlmeynend, daß er Hrn. Prof. Breitin-
gers Abhandlung von der Fabel mit Verſtand
durchleſe, ſo wird er finden, daß dieſes vornehme
Stuͤck der Dichtung, weder zu den wahren Er-
dichtungen, noch zu den utopiſchen gehoͤret: denn
aus ſeiner Gottſchediſchen Dichtkunſt hat er ſol-
ches bisher nicht lernen koͤnnen.
Nicht deutlichere Begriffe, aber wohl eben ſo
viel Boßheit zeiget dieſer J. A. K. wann er auf
der 269. Seite zu der dritten Claſſe fortſchreiten
will; wo er von den wahren Erdichtungen han-
deln ſoll, die in die itzige Reihe der Dinge ge-
ſetzt werden. Da erfodert er, doch wiederum
ohne Verſtand, daß der Wahn, auf welchen
ſich eine ſolche Erdichtung gruͤnden kan, nicht nur
moͤg-
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