Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744.

Bild:
<< vorherige Seite

der Wissenschaften.
daß sie Menschen sind, damit sie so nicht nur vor
der Arbeit, sondern auch vor der Grausamkeit,
beschüzet bleiben. Und gesezt es stühnde auch mit
diesen aufs beste, so könnten sie drittens kein Ver-
gnügen an dem Umgang mit den Spaniern haben,
als deren ernsthaftes und unfreundliches Tempera-
ment derjenigen natürlichen und offenen Frö-
lichkeit, welche man überhaupt bey aller rechtschaf-
fenen Erkenntniß wahrnimmt, so sehr zuwider ist.

Jndessen wenn es iezt, da die Sachen so stehen,
möglich wäre, auf einige Weise ein Mittel zu fin-
den, durch welches man ihre verborgenen Quali-
täten aus ihnen hervorbringen könnte, so bin ich
versichert, daß dieses der gelehrten Welt, so wol
in Absicht auf die Widererlangung verlohrner Wis-
senschaften, als auf die Beförderung der noch zu-
künftigen, von einem ungemeinen Nuzen seyn wür-
de. Lieber, mag dann keine artige, geschickte
Manier erdacht werden, durch welche wir uns ih-
nen beliebt machen könnten? Jst keine Nation
in der Welt, deren natürliche Beschaffenheit so
gekehret wäre, daß sie sich ihre Gesellschaft zuwe-
gen bringen, und sie, vermittelst einer angeneh-
men Gleichheit der Manieren, gewinnen mögte?
Kein Volck, da die Männer sie durch eine aus-
nehmende Höflichkeit anlocken, und durch nachge-
machte Bewegungen auf gewisse Weise bezaubern;
das Frauenzimmer aber, durch gutmüthig erlaubte
Freyheiten und das allerfreundlichste Betragen,
diese verliebte Creaturen zu einer danckbaren Wi-
dergeltung der Höflichkeit bewegen könnte? Die
Liebe, die ich für mein Vaterland hege, giebt mir

den
D 2

der Wiſſenſchaften.
daß ſie Menſchen ſind, damit ſie ſo nicht nur vor
der Arbeit, ſondern auch vor der Grauſamkeit,
beſchuͤzet bleiben. Und geſezt es ſtuͤhnde auch mit
dieſen aufs beſte, ſo koͤnnten ſie drittens kein Ver-
gnuͤgen an dem Umgang mit den Spaniern haben,
als deren ernſthaftes und unfreundliches Tempera-
ment derjenigen natuͤrlichen und offenen Froͤ-
lichkeit, welche man uͤberhaupt bey aller rechtſchaf-
fenen Erkenntniß wahrnimmt, ſo ſehr zuwider iſt.

Jndeſſen wenn es iezt, da die Sachen ſo ſtehen,
moͤglich waͤre, auf einige Weiſe ein Mittel zu fin-
den, durch welches man ihre verborgenen Quali-
taͤten aus ihnen hervorbringen koͤnnte, ſo bin ich
verſichert, daß dieſes der gelehrten Welt, ſo wol
in Abſicht auf die Widererlangung verlohrner Wiſ-
ſenſchaften, als auf die Befoͤrderung der noch zu-
kuͤnftigen, von einem ungemeinen Nuzen ſeyn wuͤr-
de. Lieber, mag dann keine artige, geſchickte
Manier erdacht werden, durch welche wir uns ih-
nen beliebt machen koͤnnten? Jſt keine Nation
in der Welt, deren natuͤrliche Beſchaffenheit ſo
gekehret waͤre, daß ſie ſich ihre Geſellſchaft zuwe-
gen bringen, und ſie, vermittelſt einer angeneh-
men Gleichheit der Manieren, gewinnen moͤgte?
Kein Volck, da die Maͤnner ſie durch eine aus-
nehmende Hoͤflichkeit anlocken, und durch nachge-
machte Bewegungen auf gewiſſe Weiſe bezaubern;
das Frauenzimmer aber, durch gutmuͤthig erlaubte
Freyheiten und das allerfreundlichſte Betragen,
dieſe verliebte Creaturen zu einer danckbaren Wi-
dergeltung der Hoͤflichkeit bewegen koͤnnte? Die
Liebe, die ich fuͤr mein Vaterland hege, giebt mir

den
D 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0053" n="51"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften.</hi></fw><lb/>
daß &#x017F;ie Men&#x017F;chen &#x017F;ind, damit &#x017F;ie &#x017F;o nicht nur vor<lb/>
der Arbeit, &#x017F;ondern auch vor der Grau&#x017F;amkeit,<lb/>
be&#x017F;chu&#x0364;zet bleiben. Und ge&#x017F;ezt es &#x017F;tu&#x0364;hnde auch mit<lb/>
die&#x017F;en aufs be&#x017F;te, &#x017F;o ko&#x0364;nnten &#x017F;ie drittens kein Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen an dem Umgang mit den Spaniern haben,<lb/>
als deren ern&#x017F;thaftes und unfreundliches Tempera-<lb/>
ment derjenigen natu&#x0364;rlichen und offenen Fro&#x0364;-<lb/>
lichkeit, welche man u&#x0364;berhaupt bey aller recht&#x017F;chaf-<lb/>
fenen Erkenntniß wahrnimmt, &#x017F;o &#x017F;ehr zuwider i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Jnde&#x017F;&#x017F;en wenn es iezt, da die Sachen &#x017F;o &#x017F;tehen,<lb/>
mo&#x0364;glich wa&#x0364;re, auf einige Wei&#x017F;e ein Mittel zu fin-<lb/>
den, durch welches man ihre verborgenen Quali-<lb/>
ta&#x0364;ten aus ihnen hervorbringen ko&#x0364;nnte, &#x017F;o bin ich<lb/>
ver&#x017F;ichert, daß die&#x017F;es der gelehrten Welt, &#x017F;o wol<lb/>
in Ab&#x017F;icht auf die Widererlangung verlohrner Wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en&#x017F;chaften, als auf die Befo&#x0364;rderung der noch zu-<lb/>
ku&#x0364;nftigen, von einem ungemeinen Nuzen &#x017F;eyn wu&#x0364;r-<lb/>
de. Lieber, mag dann keine artige, ge&#x017F;chickte<lb/>
Manier erdacht werden, durch welche wir uns ih-<lb/>
nen beliebt machen ko&#x0364;nnten? J&#x017F;t keine Nation<lb/>
in der Welt, deren natu&#x0364;rliche Be&#x017F;chaffenheit &#x017F;o<lb/>
gekehret wa&#x0364;re, daß &#x017F;ie &#x017F;ich ihre Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zuwe-<lb/>
gen bringen, und &#x017F;ie, vermittel&#x017F;t einer angeneh-<lb/>
men Gleichheit der Manieren, gewinnen mo&#x0364;gte?<lb/>
Kein Volck, da die Ma&#x0364;nner &#x017F;ie durch eine aus-<lb/>
nehmende Ho&#x0364;flichkeit anlocken, und durch nachge-<lb/>
machte Bewegungen auf gewi&#x017F;&#x017F;e Wei&#x017F;e bezaubern;<lb/>
das Frauenzimmer aber, durch gutmu&#x0364;thig erlaubte<lb/>
Freyheiten und das allerfreundlich&#x017F;te Betragen,<lb/>
die&#x017F;e verliebte Creaturen zu einer danckbaren Wi-<lb/>
dergeltung der Ho&#x0364;flichkeit bewegen ko&#x0364;nnte? Die<lb/>
Liebe, die ich fu&#x0364;r mein Vaterland hege, giebt mir<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 2</fw><fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0053] der Wiſſenſchaften. daß ſie Menſchen ſind, damit ſie ſo nicht nur vor der Arbeit, ſondern auch vor der Grauſamkeit, beſchuͤzet bleiben. Und geſezt es ſtuͤhnde auch mit dieſen aufs beſte, ſo koͤnnten ſie drittens kein Ver- gnuͤgen an dem Umgang mit den Spaniern haben, als deren ernſthaftes und unfreundliches Tempera- ment derjenigen natuͤrlichen und offenen Froͤ- lichkeit, welche man uͤberhaupt bey aller rechtſchaf- fenen Erkenntniß wahrnimmt, ſo ſehr zuwider iſt. Jndeſſen wenn es iezt, da die Sachen ſo ſtehen, moͤglich waͤre, auf einige Weiſe ein Mittel zu fin- den, durch welches man ihre verborgenen Quali- taͤten aus ihnen hervorbringen koͤnnte, ſo bin ich verſichert, daß dieſes der gelehrten Welt, ſo wol in Abſicht auf die Widererlangung verlohrner Wiſ- ſenſchaften, als auf die Befoͤrderung der noch zu- kuͤnftigen, von einem ungemeinen Nuzen ſeyn wuͤr- de. Lieber, mag dann keine artige, geſchickte Manier erdacht werden, durch welche wir uns ih- nen beliebt machen koͤnnten? Jſt keine Nation in der Welt, deren natuͤrliche Beſchaffenheit ſo gekehret waͤre, daß ſie ſich ihre Geſellſchaft zuwe- gen bringen, und ſie, vermittelſt einer angeneh- men Gleichheit der Manieren, gewinnen moͤgte? Kein Volck, da die Maͤnner ſie durch eine aus- nehmende Hoͤflichkeit anlocken, und durch nachge- machte Bewegungen auf gewiſſe Weiſe bezaubern; das Frauenzimmer aber, durch gutmuͤthig erlaubte Freyheiten und das allerfreundlichſte Betragen, dieſe verliebte Creaturen zu einer danckbaren Wi- dergeltung der Hoͤflichkeit bewegen koͤnnte? Die Liebe, die ich fuͤr mein Vaterland hege, giebt mir den D 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744/53
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744/53>, abgerufen am 17.05.2024.