genannter "Knospung". Anstatt daß das ganze Infusorium sich in zwei gleich große Hälften zum Zweck des Kinderkriegens spaltete, löst sich von dem Hauptteil bloß ein kleiner Nebenteil wie eine Art Knospe ab: die Teilung ist zwar noch Zweiteilung, aber mit sehr ungleich großen Produkten.
Umgekehrt: bei einer noch viel größeren Masse einzelliger Urwesen findest du die Zweiteilung überhaupt verlassen zu gunsten eines Zerfalles des elterlichen Geschöpfes gleich in einen ganzen Haufen von selbständigen Teilstücken. In ihrer entwickelteren, meistens bereits etwas veränderten Form pflegt man diese Methode schon als "Sporenbildung" zu bezeichnen: der Zellkörper des einen Urwesens zerplatzt gleichsam in eine ganze kleine Staubwolke von ausschwärmenden Liliputzellen ("Sporen"), von denen jede jetzt ein selbständiges neues Indi¬ viduum darstellt. Im Wesen ist's aber auch hier nur noch der zweite Zwergenfall!
Unsere Duodezzwerglein, allzu klein und kraftlos geworden, drohten auszusterben, als im letzten Moment die Verschmelzung zweier Zwergzwerglein eine Rettung schuf. Nun, die Grund¬ thatsache auch dieses Hergangs -- die Verschmelzung zweier gleichartiger kleiner Zellen zum Zweck erhöhten Kraftzuwachses -- kannst du noch heute bei ungezählten Einzellern, als da sind Konjugaten, Diatomeen, Gregarinen, Rhizopoden, Infusorien und andere mehr, aufs bequemste studieren. Ja mehrere dieser wunderlichen Heiligen haben es sich geradezu, wie es scheint, noch immer zur festen Gewohnheit gemacht, jedesmal jene Ge¬ fahr bis auf den höchsten Punkt bei sich anwachsen zu lassen, um dann das Rettungsmittel gleichsam programmmäßig wie eine abgekartete Sache ins Spiel zu setzen. Sie teilen sich einfach auf gut Glück, bis die Größe der Einzelnen auf ein Minimum herunterkommt -- dann lassen sie Verschmelzung von zwei Individuen eintreten und bringen damit wieder neues rasches Massenwachstum und neue Energie in ihr ganzes Volk. Kaum noch irgend ein Zweifel kann bestehen, daß dieser Vor¬
genannter „Knoſpung“. Anſtatt daß das ganze Infuſorium ſich in zwei gleich große Hälften zum Zweck des Kinderkriegens ſpaltete, löſt ſich von dem Hauptteil bloß ein kleiner Nebenteil wie eine Art Knoſpe ab: die Teilung iſt zwar noch Zweiteilung, aber mit ſehr ungleich großen Produkten.
Umgekehrt: bei einer noch viel größeren Maſſe einzelliger Urweſen findeſt du die Zweiteilung überhaupt verlaſſen zu gunſten eines Zerfalles des elterlichen Geſchöpfes gleich in einen ganzen Haufen von ſelbſtändigen Teilſtücken. In ihrer entwickelteren, meiſtens bereits etwas veränderten Form pflegt man dieſe Methode ſchon als „Sporenbildung“ zu bezeichnen: der Zellkörper des einen Urweſens zerplatzt gleichſam in eine ganze kleine Staubwolke von ausſchwärmenden Liliputzellen („Sporen“), von denen jede jetzt ein ſelbſtändiges neues Indi¬ viduum darſtellt. Im Weſen iſt's aber auch hier nur noch der zweite Zwergenfall!
Unſere Duodezzwerglein, allzu klein und kraftlos geworden, drohten auszuſterben, als im letzten Moment die Verſchmelzung zweier Zwergzwerglein eine Rettung ſchuf. Nun, die Grund¬ thatſache auch dieſes Hergangs — die Verſchmelzung zweier gleichartiger kleiner Zellen zum Zweck erhöhten Kraftzuwachſes — kannſt du noch heute bei ungezählten Einzellern, als da ſind Konjugaten, Diatomeen, Gregarinen, Rhizopoden, Infuſorien und andere mehr, aufs bequemſte ſtudieren. Ja mehrere dieſer wunderlichen Heiligen haben es ſich geradezu, wie es ſcheint, noch immer zur feſten Gewohnheit gemacht, jedesmal jene Ge¬ fahr bis auf den höchſten Punkt bei ſich anwachſen zu laſſen, um dann das Rettungsmittel gleichſam programmmäßig wie eine abgekartete Sache ins Spiel zu ſetzen. Sie teilen ſich einfach auf gut Glück, bis die Größe der Einzelnen auf ein Minimum herunterkommt — dann laſſen ſie Verſchmelzung von zwei Individuen eintreten und bringen damit wieder neues raſches Maſſenwachstum und neue Energie in ihr ganzes Volk. Kaum noch irgend ein Zweifel kann beſtehen, daß dieſer Vor¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0164"n="148"/>
genannter „Knoſpung“. Anſtatt daß das ganze Infuſorium<lb/>ſich in zwei gleich große Hälften zum Zweck des Kinderkriegens<lb/>ſpaltete, löſt ſich von dem Hauptteil bloß ein kleiner Nebenteil<lb/>
wie eine Art Knoſpe ab: die Teilung iſt zwar noch Zweiteilung,<lb/>
aber mit ſehr ungleich großen Produkten.</p><lb/><p>Umgekehrt: bei einer noch viel größeren Maſſe einzelliger<lb/>
Urweſen findeſt du die Zweiteilung überhaupt verlaſſen zu<lb/>
gunſten eines Zerfalles des elterlichen Geſchöpfes gleich in<lb/>
einen ganzen Haufen von ſelbſtändigen Teilſtücken. In ihrer<lb/>
entwickelteren, meiſtens bereits etwas veränderten Form pflegt<lb/>
man dieſe Methode ſchon als „Sporenbildung“ zu bezeichnen:<lb/>
der Zellkörper des einen Urweſens zerplatzt gleichſam in eine<lb/>
ganze kleine Staubwolke von ausſchwärmenden Liliputzellen<lb/>
(„Sporen“), von denen jede jetzt ein ſelbſtändiges neues Indi¬<lb/>
viduum darſtellt. Im Weſen iſt's aber auch hier nur noch der<lb/>
zweite Zwergenfall!</p><lb/><p>Unſere Duodezzwerglein, allzu klein und kraftlos geworden,<lb/>
drohten auszuſterben, als im letzten Moment die Verſchmelzung<lb/>
zweier Zwergzwerglein eine Rettung ſchuf. Nun, die Grund¬<lb/>
thatſache auch dieſes Hergangs — die Verſchmelzung zweier<lb/>
gleichartiger kleiner Zellen zum Zweck erhöhten Kraftzuwachſes —<lb/>
kannſt du noch heute bei ungezählten Einzellern, als da ſind<lb/>
Konjugaten, Diatomeen, Gregarinen, Rhizopoden, Infuſorien<lb/>
und andere mehr, aufs bequemſte ſtudieren. Ja mehrere dieſer<lb/>
wunderlichen Heiligen haben es ſich geradezu, wie es ſcheint,<lb/>
noch immer zur feſten Gewohnheit gemacht, jedesmal jene Ge¬<lb/>
fahr bis auf den höchſten Punkt bei ſich anwachſen zu laſſen,<lb/>
um dann das Rettungsmittel gleichſam programmmäßig wie<lb/>
eine abgekartete Sache ins Spiel zu ſetzen. Sie teilen ſich<lb/>
einfach auf gut Glück, bis die Größe der Einzelnen auf ein<lb/>
Minimum herunterkommt — dann laſſen ſie Verſchmelzung von<lb/>
zwei Individuen eintreten und bringen damit wieder neues<lb/>
raſches Maſſenwachstum und neue Energie in ihr ganzes Volk.<lb/>
Kaum noch irgend ein Zweifel kann beſtehen, daß dieſer Vor¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[148/0164]
genannter „Knoſpung“. Anſtatt daß das ganze Infuſorium
ſich in zwei gleich große Hälften zum Zweck des Kinderkriegens
ſpaltete, löſt ſich von dem Hauptteil bloß ein kleiner Nebenteil
wie eine Art Knoſpe ab: die Teilung iſt zwar noch Zweiteilung,
aber mit ſehr ungleich großen Produkten.
Umgekehrt: bei einer noch viel größeren Maſſe einzelliger
Urweſen findeſt du die Zweiteilung überhaupt verlaſſen zu
gunſten eines Zerfalles des elterlichen Geſchöpfes gleich in
einen ganzen Haufen von ſelbſtändigen Teilſtücken. In ihrer
entwickelteren, meiſtens bereits etwas veränderten Form pflegt
man dieſe Methode ſchon als „Sporenbildung“ zu bezeichnen:
der Zellkörper des einen Urweſens zerplatzt gleichſam in eine
ganze kleine Staubwolke von ausſchwärmenden Liliputzellen
(„Sporen“), von denen jede jetzt ein ſelbſtändiges neues Indi¬
viduum darſtellt. Im Weſen iſt's aber auch hier nur noch der
zweite Zwergenfall!
Unſere Duodezzwerglein, allzu klein und kraftlos geworden,
drohten auszuſterben, als im letzten Moment die Verſchmelzung
zweier Zwergzwerglein eine Rettung ſchuf. Nun, die Grund¬
thatſache auch dieſes Hergangs — die Verſchmelzung zweier
gleichartiger kleiner Zellen zum Zweck erhöhten Kraftzuwachſes —
kannſt du noch heute bei ungezählten Einzellern, als da ſind
Konjugaten, Diatomeen, Gregarinen, Rhizopoden, Infuſorien
und andere mehr, aufs bequemſte ſtudieren. Ja mehrere dieſer
wunderlichen Heiligen haben es ſich geradezu, wie es ſcheint,
noch immer zur feſten Gewohnheit gemacht, jedesmal jene Ge¬
fahr bis auf den höchſten Punkt bei ſich anwachſen zu laſſen,
um dann das Rettungsmittel gleichſam programmmäßig wie
eine abgekartete Sache ins Spiel zu ſetzen. Sie teilen ſich
einfach auf gut Glück, bis die Größe der Einzelnen auf ein
Minimum herunterkommt — dann laſſen ſie Verſchmelzung von
zwei Individuen eintreten und bringen damit wieder neues
raſches Maſſenwachstum und neue Energie in ihr ganzes Volk.
Kaum noch irgend ein Zweifel kann beſtehen, daß dieſer Vor¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/164>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.