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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Mal, eine Narbe entstanden ist. Nach dieser Zeit zeugst du
ein Kind. Es ist dir sonst höchst ähnlich im ganzen Gesicht.
Wird es aber auch die Narbe haben? Warum nicht, im Sinne
von Darwins Vererbungstheorie? Auch jene durch Brand
veränderten Gesichtszellen gaben ihr Scherflein zu der Samen¬
zelle in deinem Geschlechtsorgan, mit der du das Kind zeugtest --
und so käme das Brandmal beim Kinde ebenfalls heraus.
Darwin und eine ganze Masse Naturforscher versichern dir,
daß Fälle gerade solcher Vererbung vielfach beobachtet seien.
Dem widerspricht aber eine ganze andere Schule, die sich um
Weismann schart. Sie sagen: die Vererbung solcher frisch
erworbenen Dinge sei noch nie und nirgendwo beobachtet
worden. Ist dem so, so fällt's natürlich wieder ins Gewicht
gegen jene ganze Theorie vom fortgesetzten Zusammenhang
jeder Zelle des ganzen Zellverbandes mit jeder Samenzelle im
Geschlechtsorgan. Weismann hat denn auch eine ganz andere
Vererbungstheorie aufgestellt. Aber nun fragt sich: hat Weis¬
mann recht? Das bestreiten nun wieder ganz allgemein so
und so viel andere, die für sich jener Theorie Darwins gar
nicht anhangen, sondern andere Vererbungstheorien verfechten.
Schließlich siehst du in eine Debatte, wo offenbar noch an den
strittigsten Punkten die einfachste Beobachtung nicht absolut
feststeht. Das gibt aber nie und nimmermehr festen Boden, so
lange es so ist. Laß die Parteien sich einstweilen mühen, --
wir steigen hier nicht zu tief in dieses Labyrinth. Wie dort
bei der Seelenfrage. Das liegt ja im Liebesproblem: es
schneidet überall in den Kern der Dinge. Da quellen denn
alle Wasser der Tiefe auf wie in einem allzu kühnen Schacht, --
auch die ganz schwarzen, die großen unterirdischen Sintfluten,
auf denen das Wissen und die Weltanschauung des Menschen
von heute noch wie ein flottierendes Flötz schwankt.

Nein, halten wir uns resolut an die große Linie. Ohne
die Einbohrung in dunkle Spezialfragen, unter denen's gleich
bergetief liegt, purpurn, mit Molchen und Drachen.

Mal, eine Narbe entſtanden iſt. Nach dieſer Zeit zeugſt du
ein Kind. Es iſt dir ſonſt höchſt ähnlich im ganzen Geſicht.
Wird es aber auch die Narbe haben? Warum nicht, im Sinne
von Darwins Vererbungstheorie? Auch jene durch Brand
veränderten Geſichtszellen gaben ihr Scherflein zu der Samen¬
zelle in deinem Geſchlechtsorgan, mit der du das Kind zeugteſt —
und ſo käme das Brandmal beim Kinde ebenfalls heraus.
Darwin und eine ganze Maſſe Naturforſcher verſichern dir,
daß Fälle gerade ſolcher Vererbung vielfach beobachtet ſeien.
Dem widerſpricht aber eine ganze andere Schule, die ſich um
Weismann ſchart. Sie ſagen: die Vererbung ſolcher friſch
erworbenen Dinge ſei noch nie und nirgendwo beobachtet
worden. Iſt dem ſo, ſo fällt's natürlich wieder ins Gewicht
gegen jene ganze Theorie vom fortgeſetzten Zuſammenhang
jeder Zelle des ganzen Zellverbandes mit jeder Samenzelle im
Geſchlechtsorgan. Weismann hat denn auch eine ganz andere
Vererbungstheorie aufgeſtellt. Aber nun fragt ſich: hat Weis¬
mann recht? Das beſtreiten nun wieder ganz allgemein ſo
und ſo viel andere, die für ſich jener Theorie Darwins gar
nicht anhangen, ſondern andere Vererbungstheorien verfechten.
Schließlich ſiehſt du in eine Debatte, wo offenbar noch an den
ſtrittigſten Punkten die einfachſte Beobachtung nicht abſolut
feſtſteht. Das gibt aber nie und nimmermehr feſten Boden, ſo
lange es ſo iſt. Laß die Parteien ſich einſtweilen mühen, —
wir ſteigen hier nicht zu tief in dieſes Labyrinth. Wie dort
bei der Seelenfrage. Das liegt ja im Liebesproblem: es
ſchneidet überall in den Kern der Dinge. Da quellen denn
alle Waſſer der Tiefe auf wie in einem allzu kühnen Schacht, —
auch die ganz ſchwarzen, die großen unterirdiſchen Sintfluten,
auf denen das Wiſſen und die Weltanſchauung des Menſchen
von heute noch wie ein flottierendes Flötz ſchwankt.

Nein, halten wir uns reſolut an die große Linie. Ohne
die Einbohrung in dunkle Spezialfragen, unter denen's gleich
bergetief liegt, purpurn, mit Molchen und Drachen.

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[188/0204] Mal, eine Narbe entſtanden iſt. Nach dieſer Zeit zeugſt du ein Kind. Es iſt dir ſonſt höchſt ähnlich im ganzen Geſicht. Wird es aber auch die Narbe haben? Warum nicht, im Sinne von Darwins Vererbungstheorie? Auch jene durch Brand veränderten Geſichtszellen gaben ihr Scherflein zu der Samen¬ zelle in deinem Geſchlechtsorgan, mit der du das Kind zeugteſt — und ſo käme das Brandmal beim Kinde ebenfalls heraus. Darwin und eine ganze Maſſe Naturforſcher verſichern dir, daß Fälle gerade ſolcher Vererbung vielfach beobachtet ſeien. Dem widerſpricht aber eine ganze andere Schule, die ſich um Weismann ſchart. Sie ſagen: die Vererbung ſolcher friſch erworbenen Dinge ſei noch nie und nirgendwo beobachtet worden. Iſt dem ſo, ſo fällt's natürlich wieder ins Gewicht gegen jene ganze Theorie vom fortgeſetzten Zuſammenhang jeder Zelle des ganzen Zellverbandes mit jeder Samenzelle im Geſchlechtsorgan. Weismann hat denn auch eine ganz andere Vererbungstheorie aufgeſtellt. Aber nun fragt ſich: hat Weis¬ mann recht? Das beſtreiten nun wieder ganz allgemein ſo und ſo viel andere, die für ſich jener Theorie Darwins gar nicht anhangen, ſondern andere Vererbungstheorien verfechten. Schließlich ſiehſt du in eine Debatte, wo offenbar noch an den ſtrittigſten Punkten die einfachſte Beobachtung nicht abſolut feſtſteht. Das gibt aber nie und nimmermehr feſten Boden, ſo lange es ſo iſt. Laß die Parteien ſich einſtweilen mühen, — wir ſteigen hier nicht zu tief in dieſes Labyrinth. Wie dort bei der Seelenfrage. Das liegt ja im Liebesproblem: es ſchneidet überall in den Kern der Dinge. Da quellen denn alle Waſſer der Tiefe auf wie in einem allzu kühnen Schacht, — auch die ganz ſchwarzen, die großen unterirdiſchen Sintfluten, auf denen das Wiſſen und die Weltanſchauung des Menſchen von heute noch wie ein flottierendes Flötz ſchwankt. Nein, halten wir uns reſolut an die große Linie. Ohne die Einbohrung in dunkle Spezialfragen, unter denen's gleich bergetief liegt, purpurn, mit Molchen und Drachen.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/204>, abgerufen am 24.11.2024.