versinken, verschwimmen ineinander im Gedränge zur weichen, vom erstarkenden Mondlicht funkelnd zusammengeschmolzenen Wolke, die das düstere Wasser überhellt, als strahle sie selber eigenes Licht .... immer weiter wallt die Wolke dahin, sie rollt über die ganze Stromesbreite, -- auf das Ufer, wo die Erlen schlafen, regnet es wie unendliche mondhelle Flocken, hängt sich an die schwarzen Zweige wie leuchtender Schaum .... Schaum, aus dem Aphrodite, die Liebesgöttin, steigt.
Denn all diese schwärmenden Elfen der Gewitterstunde sind Insekten vom Schlage der Eintagsfliegen im Stadium letzter Lebensverklärung durch den allbeseligenden Liebesrausch, im Begattungssturm, der die Krone ihres ganzen Daseins ist ....
Jede dieser tanzenden Bacchantinnen im Silberduft da oben hat eine lange Arbeitszeit als Individuum hinter sich. Als häßliche, gefräßige Larve hat sie seit zwei, drei Jahren im Schlamm oder Ufersand des Flusses ihr Wesen getrieben, fressend, anschwellend, sich häutend, ein wilder, rücksichtsloser Räuber trotz ihrer Kleinheit, der mit zähester Energie Tag um Tag für seine Erhaltung als Individuum gekämpft hat. Die Zeit war lang genug, daß das kleine, ruppige, bissige Vieh sich allerlei Übung im Lebenskampfe erwerben konnte. Immer in Gefahr, immer in der Not, selber gefressen zu werden oder Hungers zu sterben, hat es sich mit äußerster Anstrengung endlich doch durchgedrückt und behauptet, bis ein gewisses Maß der Lebens¬ fülle, ein gewisser Höhepunkt individueller Artung erreicht war.
Da auf einmal, an diesem schwülen Augustabend, gegen die neunte Stunde, ein Riß im ganzen Dasein, wunderbarer als Tod, eine Auferstehung in neue Form, in ein neues Ele¬ ment, in einen gänzlich veränderten neuen Zweck ....
Jähe letzte Häutungen wandeln den Körper aus der Lar¬ venform, die dem Leben in der Wassertiefe angepaßt war, zu jener kristallhellen Sylphengestalt, die vom Mondlicht jetzt ge¬ badet statt von der trüben Flut wie flüssiges Silber über die Welle sprüht. Verschwunden ist mit dem alten Leibe der oberste
verſinken, verſchwimmen ineinander im Gedränge zur weichen, vom erſtarkenden Mondlicht funkelnd zuſammengeſchmolzenen Wolke, die das düſtere Waſſer überhellt, als ſtrahle ſie ſelber eigenes Licht .... immer weiter wallt die Wolke dahin, ſie rollt über die ganze Stromesbreite, — auf das Ufer, wo die Erlen ſchlafen, regnet es wie unendliche mondhelle Flocken, hängt ſich an die ſchwarzen Zweige wie leuchtender Schaum .... Schaum, aus dem Aphrodite, die Liebesgöttin, ſteigt.
Denn all dieſe ſchwärmenden Elfen der Gewitterſtunde ſind Inſekten vom Schlage der Eintagsfliegen im Stadium letzter Lebensverklärung durch den allbeſeligenden Liebesrauſch, im Begattungsſturm, der die Krone ihres ganzen Daſeins iſt ....
Jede dieſer tanzenden Bacchantinnen im Silberduft da oben hat eine lange Arbeitszeit als Individuum hinter ſich. Als häßliche, gefräßige Larve hat ſie ſeit zwei, drei Jahren im Schlamm oder Uferſand des Fluſſes ihr Weſen getrieben, freſſend, anſchwellend, ſich häutend, ein wilder, rückſichtsloſer Räuber trotz ihrer Kleinheit, der mit zäheſter Energie Tag um Tag für ſeine Erhaltung als Individuum gekämpft hat. Die Zeit war lang genug, daß das kleine, ruppige, biſſige Vieh ſich allerlei Übung im Lebenskampfe erwerben konnte. Immer in Gefahr, immer in der Not, ſelber gefreſſen zu werden oder Hungers zu ſterben, hat es ſich mit äußerſter Anſtrengung endlich doch durchgedrückt und behauptet, bis ein gewiſſes Maß der Lebens¬ fülle, ein gewiſſer Höhepunkt individueller Artung erreicht war.
Da auf einmal, an dieſem ſchwülen Auguſtabend, gegen die neunte Stunde, ein Riß im ganzen Daſein, wunderbarer als Tod, eine Auferſtehung in neue Form, in ein neues Ele¬ ment, in einen gänzlich veränderten neuen Zweck ....
Jähe letzte Häutungen wandeln den Körper aus der Lar¬ venform, die dem Leben in der Waſſertiefe angepaßt war, zu jener kriſtallhellen Sylphengeſtalt, die vom Mondlicht jetzt ge¬ badet ſtatt von der trüben Flut wie flüſſiges Silber über die Welle ſprüht. Verſchwunden iſt mit dem alten Leibe der oberſte
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verſinken, verſchwimmen ineinander im Gedränge zur weichen,
vom erſtarkenden Mondlicht funkelnd zuſammengeſchmolzenen
Wolke, die das düſtere Waſſer überhellt, als ſtrahle ſie ſelber
eigenes Licht .... immer weiter wallt die Wolke dahin, ſie
rollt über die ganze Stromesbreite, — auf das Ufer, wo die
Erlen ſchlafen, regnet es wie unendliche mondhelle Flocken,
hängt ſich an die ſchwarzen Zweige wie leuchtender Schaum ....
Schaum, aus dem Aphrodite, die Liebesgöttin, ſteigt.
Denn all dieſe ſchwärmenden Elfen der Gewitterſtunde ſind
Inſekten vom Schlage der Eintagsfliegen im Stadium letzter
Lebensverklärung durch den allbeſeligenden Liebesrauſch, im
Begattungsſturm, der die Krone ihres ganzen Daſeins iſt ....
Jede dieſer tanzenden Bacchantinnen im Silberduft da oben
hat eine lange Arbeitszeit als Individuum hinter ſich. Als
häßliche, gefräßige Larve hat ſie ſeit zwei, drei Jahren im
Schlamm oder Uferſand des Fluſſes ihr Weſen getrieben, freſſend,
anſchwellend, ſich häutend, ein wilder, rückſichtsloſer Räuber
trotz ihrer Kleinheit, der mit zäheſter Energie Tag um Tag für
ſeine Erhaltung als Individuum gekämpft hat. Die Zeit war
lang genug, daß das kleine, ruppige, biſſige Vieh ſich allerlei
Übung im Lebenskampfe erwerben konnte. Immer in Gefahr,
immer in der Not, ſelber gefreſſen zu werden oder Hungers
zu ſterben, hat es ſich mit äußerſter Anſtrengung endlich doch
durchgedrückt und behauptet, bis ein gewiſſes Maß der Lebens¬
fülle, ein gewiſſer Höhepunkt individueller Artung erreicht war.
Da auf einmal, an dieſem ſchwülen Auguſtabend, gegen
die neunte Stunde, ein Riß im ganzen Daſein, wunderbarer
als Tod, eine Auferſtehung in neue Form, in ein neues Ele¬
ment, in einen gänzlich veränderten neuen Zweck ....
Jähe letzte Häutungen wandeln den Körper aus der Lar¬
venform, die dem Leben in der Waſſertiefe angepaßt war, zu
jener kriſtallhellen Sylphengeſtalt, die vom Mondlicht jetzt ge¬
badet ſtatt von der trüben Flut wie flüſſiges Silber über die
Welle ſprüht. Verſchwunden iſt mit dem alten Leibe der oberſte
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/27>, abgerufen am 21.11.2024.
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