Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Liebessturm der Insekten ist jetzt auf seinem Höhepunkt. In
der Fläche des Stromes bilden die aufsteigenden und versin¬
kenden Elfen weiße Lichtinseln, die sich unablässig lösen und
wieder erneuern. Auf die Uferwege wirbelt die Wolke wie
das dichteste Schneegestöber. Du selbst als einsamer Wanderer
bist im Augenblick davon umhüllt, bedeckt, daß du dir mühsam
deinen Weg bahnen mußt. Ein Boot verschwindet unter dem
lebendigen Schleier. Auf den Stufen, die zu ihm hinabführen,
wimmelt es mehrere Zoll hoch, Schicht um Schicht wirft sich
im Taumel des Fliegens, des Luftatmens, des Zueinander¬
findens und der stürmisch ausgelösten, lähmenden Wollust darauf.

Aber inmitten der aufstrebenden Bewegung ist auch schon
eine absinkende merkbar. Paar um Paar hat sein Werk voll¬
bracht. Ein Augenblick der Seligkeit und der Lenz ist hin.
Nun wirbelt es abwärts wie welkes Laub. Das Weibchen
wirft die befruchteten Eier in den Strom und stirbt als Opfer,
als sei der arme weiche Sylphenleib zu Tode getroffen durch
allzuviel Glück, Liebesfreuden und Mutterfreuden in der Spanne
eines einzigen kurzen Augenblicks. Fern verweht davon durch
den ersten Lufthauch, der von der Gewitterwolke kommt, geht
aber gleichzeitig auch das Männchen ein, getötet vom Blitz der
Liebe, der alle seine Sinne auf ihr Höchstes trieb, aber sie auch
für immer fortnahm in diesem Sturm und das ganze schwache
Leben zerbrach im Moment, da alle seine Saiten ihre gewaltigste
Melodie absangen in nie vorher erreichter Harmonie ....

Der erste ferne Donner rollt. Der Wind fällt leise singend
in die Uferbinsen. Elf Uhr. Der Elfenspuk ist aus. Myriaden
weißer Leichen hat die ruhelos sich dahinschiebende schwarze
Stromfläche aufgesaugt, hinabgeschwemmt, ein Festmahl für die
kleinen Silberfische der Tiefe. Die letzten schwachen Nachzügler,
schon vom Tode gezeichnet, wird der Regen niederschlagen.
Zwei Stunden -- und der ganze Hochzeitsrausch ist dahin, alle
Zwecke des neuen Wesens sind erfüllt bis über die Neige, bis
in den Tod. Und mitten in das Bacchantenfest hinein mäht

Liebesſturm der Inſekten iſt jetzt auf ſeinem Höhepunkt. In
der Fläche des Stromes bilden die aufſteigenden und verſin¬
kenden Elfen weiße Lichtinſeln, die ſich unabläſſig löſen und
wieder erneuern. Auf die Uferwege wirbelt die Wolke wie
das dichteſte Schneegeſtöber. Du ſelbſt als einſamer Wanderer
biſt im Augenblick davon umhüllt, bedeckt, daß du dir mühſam
deinen Weg bahnen mußt. Ein Boot verſchwindet unter dem
lebendigen Schleier. Auf den Stufen, die zu ihm hinabführen,
wimmelt es mehrere Zoll hoch, Schicht um Schicht wirft ſich
im Taumel des Fliegens, des Luftatmens, des Zueinander¬
findens und der ſtürmiſch ausgelöſten, lähmenden Wolluſt darauf.

Aber inmitten der aufſtrebenden Bewegung iſt auch ſchon
eine abſinkende merkbar. Paar um Paar hat ſein Werk voll¬
bracht. Ein Augenblick der Seligkeit und der Lenz iſt hin.
Nun wirbelt es abwärts wie welkes Laub. Das Weibchen
wirft die befruchteten Eier in den Strom und ſtirbt als Opfer,
als ſei der arme weiche Sylphenleib zu Tode getroffen durch
allzuviel Glück, Liebesfreuden und Mutterfreuden in der Spanne
eines einzigen kurzen Augenblicks. Fern verweht davon durch
den erſten Lufthauch, der von der Gewitterwolke kommt, geht
aber gleichzeitig auch das Männchen ein, getötet vom Blitz der
Liebe, der alle ſeine Sinne auf ihr Höchſtes trieb, aber ſie auch
für immer fortnahm in dieſem Sturm und das ganze ſchwache
Leben zerbrach im Moment, da alle ſeine Saiten ihre gewaltigſte
Melodie abſangen in nie vorher erreichter Harmonie ....

Der erſte ferne Donner rollt. Der Wind fällt leiſe ſingend
in die Uferbinſen. Elf Uhr. Der Elfenſpuk iſt aus. Myriaden
weißer Leichen hat die ruhelos ſich dahinſchiebende ſchwarze
Stromfläche aufgeſaugt, hinabgeſchwemmt, ein Feſtmahl für die
kleinen Silberfiſche der Tiefe. Die letzten ſchwachen Nachzügler,
ſchon vom Tode gezeichnet, wird der Regen niederſchlagen.
Zwei Stunden — und der ganze Hochzeitsrauſch iſt dahin, alle
Zwecke des neuen Weſens ſind erfüllt bis über die Neige, bis
in den Tod. Und mitten in das Bacchantenfeſt hinein mäht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0029" n="13"/>
Liebes&#x017F;turm der In&#x017F;ekten i&#x017F;t jetzt auf &#x017F;einem Höhepunkt. In<lb/>
der Fläche des Stromes bilden die auf&#x017F;teigenden und ver&#x017F;in¬<lb/>
kenden Elfen weiße Lichtin&#x017F;eln, die &#x017F;ich unablä&#x017F;&#x017F;ig lö&#x017F;en <choice><sic>nud</sic><corr>und</corr></choice><lb/>
wieder erneuern. Auf die Uferwege wirbelt die Wolke wie<lb/>
das dichte&#x017F;te Schneege&#x017F;töber. Du &#x017F;elb&#x017F;t als ein&#x017F;amer Wanderer<lb/>
bi&#x017F;t im Augenblick davon umhüllt, bedeckt, daß du dir müh&#x017F;am<lb/>
deinen Weg bahnen mußt. Ein Boot ver&#x017F;chwindet unter dem<lb/>
lebendigen Schleier. Auf den Stufen, die zu ihm hinabführen,<lb/>
wimmelt es mehrere Zoll hoch, Schicht um Schicht wirft &#x017F;ich<lb/>
im Taumel des Fliegens, des Luftatmens, des Zueinander¬<lb/>
findens und der &#x017F;türmi&#x017F;ch ausgelö&#x017F;ten, lähmenden Wollu&#x017F;t darauf.</p><lb/>
        <p>Aber inmitten der auf&#x017F;trebenden Bewegung i&#x017F;t auch &#x017F;chon<lb/>
eine ab&#x017F;inkende merkbar. Paar um Paar hat &#x017F;ein Werk voll¬<lb/>
bracht. Ein Augenblick der Seligkeit und der Lenz i&#x017F;t hin.<lb/>
Nun wirbelt es abwärts wie welkes Laub. Das Weibchen<lb/>
wirft die befruchteten Eier in den Strom und &#x017F;tirbt als Opfer,<lb/>
als &#x017F;ei der arme weiche Sylphenleib zu Tode getroffen durch<lb/>
allzuviel Glück, Liebesfreuden und Mutterfreuden in der Spanne<lb/>
eines einzigen kurzen Augenblicks. Fern verweht davon durch<lb/>
den er&#x017F;ten Lufthauch, der von der Gewitterwolke kommt, geht<lb/>
aber gleichzeitig auch das Männchen ein, getötet vom Blitz der<lb/>
Liebe, der alle &#x017F;eine Sinne auf ihr Höch&#x017F;tes trieb, aber &#x017F;ie auch<lb/>
für immer fortnahm in die&#x017F;em Sturm und das ganze &#x017F;chwache<lb/>
Leben zerbrach im Moment, da alle &#x017F;eine Saiten ihre gewaltig&#x017F;te<lb/>
Melodie ab&#x017F;angen in nie vorher erreichter Harmonie ....</p><lb/>
        <p>Der er&#x017F;te ferne Donner rollt. Der Wind fällt lei&#x017F;e &#x017F;ingend<lb/>
in die Uferbin&#x017F;en. Elf Uhr. Der Elfen&#x017F;puk i&#x017F;t aus. Myriaden<lb/>
weißer Leichen hat die ruhelos &#x017F;ich dahin&#x017F;chiebende &#x017F;chwarze<lb/>
Stromfläche aufge&#x017F;augt, hinabge&#x017F;chwemmt, ein Fe&#x017F;tmahl für die<lb/>
kleinen Silberfi&#x017F;che der Tiefe. Die letzten &#x017F;chwachen Nachzügler,<lb/>
&#x017F;chon vom Tode gezeichnet, wird der Regen nieder&#x017F;chlagen.<lb/>
Zwei Stunden &#x2014; und der ganze Hochzeitsrau&#x017F;ch i&#x017F;t dahin, alle<lb/>
Zwecke des neuen We&#x017F;ens &#x017F;ind erfüllt bis über die Neige, bis<lb/>
in den Tod. Und mitten in das Bacchantenfe&#x017F;t hinein mäht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0029] Liebesſturm der Inſekten iſt jetzt auf ſeinem Höhepunkt. In der Fläche des Stromes bilden die aufſteigenden und verſin¬ kenden Elfen weiße Lichtinſeln, die ſich unabläſſig löſen und wieder erneuern. Auf die Uferwege wirbelt die Wolke wie das dichteſte Schneegeſtöber. Du ſelbſt als einſamer Wanderer biſt im Augenblick davon umhüllt, bedeckt, daß du dir mühſam deinen Weg bahnen mußt. Ein Boot verſchwindet unter dem lebendigen Schleier. Auf den Stufen, die zu ihm hinabführen, wimmelt es mehrere Zoll hoch, Schicht um Schicht wirft ſich im Taumel des Fliegens, des Luftatmens, des Zueinander¬ findens und der ſtürmiſch ausgelöſten, lähmenden Wolluſt darauf. Aber inmitten der aufſtrebenden Bewegung iſt auch ſchon eine abſinkende merkbar. Paar um Paar hat ſein Werk voll¬ bracht. Ein Augenblick der Seligkeit und der Lenz iſt hin. Nun wirbelt es abwärts wie welkes Laub. Das Weibchen wirft die befruchteten Eier in den Strom und ſtirbt als Opfer, als ſei der arme weiche Sylphenleib zu Tode getroffen durch allzuviel Glück, Liebesfreuden und Mutterfreuden in der Spanne eines einzigen kurzen Augenblicks. Fern verweht davon durch den erſten Lufthauch, der von der Gewitterwolke kommt, geht aber gleichzeitig auch das Männchen ein, getötet vom Blitz der Liebe, der alle ſeine Sinne auf ihr Höchſtes trieb, aber ſie auch für immer fortnahm in dieſem Sturm und das ganze ſchwache Leben zerbrach im Moment, da alle ſeine Saiten ihre gewaltigſte Melodie abſangen in nie vorher erreichter Harmonie .... Der erſte ferne Donner rollt. Der Wind fällt leiſe ſingend in die Uferbinſen. Elf Uhr. Der Elfenſpuk iſt aus. Myriaden weißer Leichen hat die ruhelos ſich dahinſchiebende ſchwarze Stromfläche aufgeſaugt, hinabgeſchwemmt, ein Feſtmahl für die kleinen Silberfiſche der Tiefe. Die letzten ſchwachen Nachzügler, ſchon vom Tode gezeichnet, wird der Regen niederſchlagen. Zwei Stunden — und der ganze Hochzeitsrauſch iſt dahin, alle Zwecke des neuen Weſens ſind erfüllt bis über die Neige, bis in den Tod. Und mitten in das Bacchantenfeſt hinein mäht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/29
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/29>, abgerufen am 03.12.2024.