Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber wenn auch diese Anschauung an sich alt ist, so ist
jedenfalls das eine von ihr sicher, daß sie, je näher wir der
Gegenwart kommen, immer jünger, immer lebenskräftiger ge¬
worden ist. Allerdings mit einer gewissen Korrektur. Diese
zugestanden, ist es, als sei hier das Gewölk immer weiter
und weiter auseinander geflossen.

Eine Frage mußte auch hier dazwischen treten.

Ewige Menschheit .....!

Ewige Erde, -- ewige Sonne!

Giebt es in unserer modernen Auffassung überhaupt noch
etwas schlechthin "ewig" zu Denkendes?

Die alte Zeit sah ein paar hundert Jahre Menschheit
rückwärts. Ihr Blick drang innerhalb des großen Menschheits¬
lebens noch nicht einmal über die Kultur hinaus. Der Natur¬
forscher von heute aber legt deine Hand auf dieses Stück
braunen, von der Welle zerspaltenen Felsens dort. Dieser Fels
stammt aus einer Zeit, da es noch keine Menschen gab .....
Und die ganze Erde? Ist nicht auch die Erde uns bloß ein
relativer Begriff? Ein Lichtstäubchen, das aus der Tiefe der
Zeiten aufwirbelt, blitzt, abdunkelt, "lebt" und verweht? Ist
nicht die "ewige Sonne" ein Traum, ausgeträumt, seitdem wir
wissen, daß alle Fixsterne Sonnen sind und daß über solche
Fixsterne der rote Herbst bricht wie über einen irdischen Eichen¬
hain, daß Katastrophen sie treffen, die sie auflodern lassen wie
eine junge Eiche im Blitzstrahl verflammt, daß der eisige Raum
ihre Herzglut saugt bis zum starren Wintertod?

[Abbildung]

In Wahrheit schiebt sich hier für uns heute noch ein ganz
neues Bild, eine ganz neue Auffassung der Weltendinge vor,
die auch diese Idee einer Unsterblichkeit, einer Ewigkeit, einer

Aber wenn auch dieſe Anſchauung an ſich alt iſt, ſo iſt
jedenfalls das eine von ihr ſicher, daß ſie, je näher wir der
Gegenwart kommen, immer jünger, immer lebenskräftiger ge¬
worden iſt. Allerdings mit einer gewiſſen Korrektur. Dieſe
zugeſtanden, iſt es, als ſei hier das Gewölk immer weiter
und weiter auseinander gefloſſen.

Eine Frage mußte auch hier dazwiſchen treten.

Ewige Menſchheit .....!

Ewige Erde, — ewige Sonne!

Giebt es in unſerer modernen Auffaſſung überhaupt noch
etwas ſchlechthin „ewig“ zu Denkendes?

Die alte Zeit ſah ein paar hundert Jahre Menſchheit
rückwärts. Ihr Blick drang innerhalb des großen Menſchheits¬
lebens noch nicht einmal über die Kultur hinaus. Der Natur¬
forſcher von heute aber legt deine Hand auf dieſes Stück
braunen, von der Welle zerſpaltenen Felſens dort. Dieſer Fels
ſtammt aus einer Zeit, da es noch keine Menſchen gab .....
Und die ganze Erde? Iſt nicht auch die Erde uns bloß ein
relativer Begriff? Ein Lichtſtäubchen, das aus der Tiefe der
Zeiten aufwirbelt, blitzt, abdunkelt, „lebt“ und verweht? Iſt
nicht die „ewige Sonne“ ein Traum, ausgeträumt, ſeitdem wir
wiſſen, daß alle Fixſterne Sonnen ſind und daß über ſolche
Fixſterne der rote Herbſt bricht wie über einen irdiſchen Eichen¬
hain, daß Kataſtrophen ſie treffen, die ſie auflodern laſſen wie
eine junge Eiche im Blitzſtrahl verflammt, daß der eiſige Raum
ihre Herzglut ſaugt bis zum ſtarren Wintertod?

[Abbildung]

In Wahrheit ſchiebt ſich hier für uns heute noch ein ganz
neues Bild, eine ganz neue Auffaſſung der Weltendinge vor,
die auch dieſe Idee einer Unſterblichkeit, einer Ewigkeit, einer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0089" n="73"/>
        <p>Aber wenn auch die&#x017F;e An&#x017F;chauung an &#x017F;ich alt i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
jedenfalls das eine von ihr &#x017F;icher, daß <hi rendition="#g">&#x017F;ie</hi>, je näher wir der<lb/>
Gegenwart kommen, immer jünger, immer lebenskräftiger ge¬<lb/>
worden i&#x017F;t. Allerdings mit einer gewi&#x017F;&#x017F;en Korrektur. Die&#x017F;e<lb/>
zuge&#x017F;tanden, i&#x017F;t es, als &#x017F;ei <hi rendition="#g">hier</hi> das Gewölk immer weiter<lb/>
und weiter auseinander geflo&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Eine</hi> Frage mußte auch hier dazwi&#x017F;chen treten.</p><lb/>
        <p>Ewige Men&#x017F;chheit .....!</p><lb/>
        <p>Ewige Erde, &#x2014; ewige Sonne!</p><lb/>
        <p>Giebt es in un&#x017F;erer modernen Auffa&#x017F;&#x017F;ung überhaupt noch<lb/>
etwas &#x017F;chlechthin &#x201E;ewig&#x201C; zu Denkendes?</p><lb/>
        <p>Die alte Zeit &#x017F;ah ein paar hundert Jahre Men&#x017F;chheit<lb/>
rückwärts. Ihr Blick drang innerhalb des großen Men&#x017F;chheits¬<lb/>
lebens noch nicht einmal über die Kultur hinaus. Der Natur¬<lb/>
for&#x017F;cher von heute aber legt deine Hand auf die&#x017F;es Stück<lb/>
braunen, von der Welle zer&#x017F;paltenen Fel&#x017F;ens dort. Die&#x017F;er Fels<lb/>
&#x017F;tammt aus einer Zeit, da es noch keine Men&#x017F;chen gab .....<lb/>
Und die ganze Erde? I&#x017F;t nicht auch die Erde uns bloß ein<lb/>
relativer Begriff? Ein Licht&#x017F;täubchen, das aus der Tiefe der<lb/>
Zeiten aufwirbelt, blitzt, abdunkelt, &#x201E;lebt&#x201C; und verweht? I&#x017F;t<lb/>
nicht die &#x201E;ewige Sonne&#x201C; ein Traum, ausgeträumt, &#x017F;eitdem wir<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, daß alle Fix&#x017F;terne Sonnen &#x017F;ind und daß über &#x017F;olche<lb/>
Fix&#x017F;terne der rote Herb&#x017F;t bricht wie über einen irdi&#x017F;chen Eichen¬<lb/>
hain, daß Kata&#x017F;trophen &#x017F;ie treffen, die &#x017F;ie auflodern la&#x017F;&#x017F;en wie<lb/>
eine junge Eiche im Blitz&#x017F;trahl verflammt, daß der ei&#x017F;ige Raum<lb/>
ihre Herzglut &#x017F;augt bis zum &#x017F;tarren Wintertod?</p><lb/>
        <figure/>
        <p>In Wahrheit &#x017F;chiebt &#x017F;ich hier für uns heute noch ein ganz<lb/>
neues Bild, eine ganz neue Auffa&#x017F;&#x017F;ung der Weltendinge vor,<lb/>
die auch die&#x017F;e Idee einer Un&#x017F;terblichkeit, einer Ewigkeit, einer<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0089] Aber wenn auch dieſe Anſchauung an ſich alt iſt, ſo iſt jedenfalls das eine von ihr ſicher, daß ſie, je näher wir der Gegenwart kommen, immer jünger, immer lebenskräftiger ge¬ worden iſt. Allerdings mit einer gewiſſen Korrektur. Dieſe zugeſtanden, iſt es, als ſei hier das Gewölk immer weiter und weiter auseinander gefloſſen. Eine Frage mußte auch hier dazwiſchen treten. Ewige Menſchheit .....! Ewige Erde, — ewige Sonne! Giebt es in unſerer modernen Auffaſſung überhaupt noch etwas ſchlechthin „ewig“ zu Denkendes? Die alte Zeit ſah ein paar hundert Jahre Menſchheit rückwärts. Ihr Blick drang innerhalb des großen Menſchheits¬ lebens noch nicht einmal über die Kultur hinaus. Der Natur¬ forſcher von heute aber legt deine Hand auf dieſes Stück braunen, von der Welle zerſpaltenen Felſens dort. Dieſer Fels ſtammt aus einer Zeit, da es noch keine Menſchen gab ..... Und die ganze Erde? Iſt nicht auch die Erde uns bloß ein relativer Begriff? Ein Lichtſtäubchen, das aus der Tiefe der Zeiten aufwirbelt, blitzt, abdunkelt, „lebt“ und verweht? Iſt nicht die „ewige Sonne“ ein Traum, ausgeträumt, ſeitdem wir wiſſen, daß alle Fixſterne Sonnen ſind und daß über ſolche Fixſterne der rote Herbſt bricht wie über einen irdiſchen Eichen¬ hain, daß Kataſtrophen ſie treffen, die ſie auflodern laſſen wie eine junge Eiche im Blitzſtrahl verflammt, daß der eiſige Raum ihre Herzglut ſaugt bis zum ſtarren Wintertod? [Abbildung] In Wahrheit ſchiebt ſich hier für uns heute noch ein ganz neues Bild, eine ganz neue Auffaſſung der Weltendinge vor, die auch dieſe Idee einer Unſterblichkeit, einer Ewigkeit, einer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/89
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/89>, abgerufen am 24.11.2024.