Nimm ein einfaches Beispiel. Hier sind zwei Quallen von jenem Siphonophoren-Schlage. Zwei Personen, jede an sich dir gleichwertig. Sie gehen aber eine höhere Genossen¬ schaft ein, versuchen ein neues höheres Individuum aus sich zu machen. Jede soll in dieser Genossenschaft nur ein Organ gleichsam wieder vertreten. Sagen wir: die eine soll Nahrung beschaffen und verdauen. Und die andere soll ihre Augen und Ohren anspannen, soll auf Gefahr achten, den Weg weisen und so weiter. Was sollen die beiden machen, um in ordentlichen Austausch ihrer Fähigkeiten zu kommen? Sie wachsen mit derbem Stiel aneinander. Durch diesen Stiel fließt die Nähr¬ suppe, die Qualle Nr. Eins gebraut hat, in Qualle Nr. Zwei über. Und gleichzeitig zieht die Seh- und Hör-Qualle Nr. Zwei die Suppen-Qualle Nr. Eins an dem Stiel dahin und dorthin, von der Gefahr fort, auf gute Orte zu wie ein Sehender einen Blinden an der Hand führt. Genau so ist es bei den lebenden Siphonophoren-Quallen wirklich ge¬ worden.
Nun nimm zwei Kultur-Menschen im zwanzigsten Jahr¬ hundert. Auch sie wollen in eine höhere Interessen-Gemein¬ schaft eintreten, ihre beiden Personen-Individualitäten zur Stock-Individualität vereinigen. Der eine soll Nahrung be¬ schaffen, die den andern mit ernährt. Der andere soll gleich¬ sam Auge und Ohr für beide sein. Sagen wir etwa: der eine ist der Besitzer einer großen Zeitung in Amerika. Und der andere ist Reporter dieser Zeitung. Zu sehen und zu hören soll etwas für die Zeitung besonders Wichtiges in Europa sein, während der Brodherr, der Zeitungsbesitzer, absolut not¬ wendig seinen Sitz in Amerika wahren muß. Nun überdenke rasch, wie die Sache sich für diese Menschenpersonen vollzieht.
Von körperlichem Aneinanderwachsen nach der Methode der Quallen, also Verwachsen der realen Zellen-Leiber mit¬ einander, kein Gedanke! Gewisse stoffliche Verbindungen werden allerdings auch hier hergestellt, aber unendlich viel feinere und
Nimm ein einfaches Beiſpiel. Hier ſind zwei Quallen von jenem Siphonophoren-Schlage. Zwei Perſonen, jede an ſich dir gleichwertig. Sie gehen aber eine höhere Genoſſen¬ ſchaft ein, verſuchen ein neues höheres Individuum aus ſich zu machen. Jede ſoll in dieſer Genoſſenſchaft nur ein Organ gleichſam wieder vertreten. Sagen wir: die eine ſoll Nahrung beſchaffen und verdauen. Und die andere ſoll ihre Augen und Ohren anſpannen, ſoll auf Gefahr achten, den Weg weiſen und ſo weiter. Was ſollen die beiden machen, um in ordentlichen Austauſch ihrer Fähigkeiten zu kommen? Sie wachſen mit derbem Stiel aneinander. Durch dieſen Stiel fließt die Nähr¬ ſuppe, die Qualle Nr. Eins gebraut hat, in Qualle Nr. Zwei über. Und gleichzeitig zieht die Seh- und Hör-Qualle Nr. Zwei die Suppen-Qualle Nr. Eins an dem Stiel dahin und dorthin, von der Gefahr fort, auf gute Orte zu wie ein Sehender einen Blinden an der Hand führt. Genau ſo iſt es bei den lebenden Siphonophoren-Quallen wirklich ge¬ worden.
Nun nimm zwei Kultur-Menſchen im zwanzigſten Jahr¬ hundert. Auch ſie wollen in eine höhere Intereſſen-Gemein¬ ſchaft eintreten, ihre beiden Perſonen-Individualitäten zur Stock-Individualität vereinigen. Der eine ſoll Nahrung be¬ ſchaffen, die den andern mit ernährt. Der andere ſoll gleich¬ ſam Auge und Ohr für beide ſein. Sagen wir etwa: der eine iſt der Beſitzer einer großen Zeitung in Amerika. Und der andere iſt Reporter dieſer Zeitung. Zu ſehen und zu hören ſoll etwas für die Zeitung beſonders Wichtiges in Europa ſein, während der Brodherr, der Zeitungsbeſitzer, abſolut not¬ wendig ſeinen Sitz in Amerika wahren muß. Nun überdenke raſch, wie die Sache ſich für dieſe Menſchenperſonen vollzieht.
Von körperlichem Aneinanderwachſen nach der Methode der Quallen, alſo Verwachſen der realen Zellen-Leiber mit¬ einander, kein Gedanke! Gewiſſe ſtoffliche Verbindungen werden allerdings auch hier hergeſtellt, aber unendlich viel feinere und
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Nimm ein einfaches Beiſpiel. Hier ſind zwei Quallen
von jenem Siphonophoren-Schlage. Zwei Perſonen, jede an
ſich dir gleichwertig. Sie gehen aber eine höhere Genoſſen¬
ſchaft ein, verſuchen ein neues höheres Individuum aus ſich
zu machen. Jede ſoll in dieſer Genoſſenſchaft nur ein Organ
gleichſam wieder vertreten. Sagen wir: die eine ſoll Nahrung
beſchaffen und verdauen. Und die andere ſoll ihre Augen und
Ohren anſpannen, ſoll auf Gefahr achten, den Weg weiſen und
ſo weiter. Was ſollen die beiden machen, um in ordentlichen
Austauſch ihrer Fähigkeiten zu kommen? Sie wachſen mit
derbem Stiel aneinander. Durch dieſen Stiel fließt die Nähr¬
ſuppe, die Qualle Nr. Eins gebraut hat, in Qualle Nr. Zwei
über. Und gleichzeitig zieht die Seh- und Hör-Qualle Nr.
Zwei die Suppen-Qualle Nr. Eins an dem Stiel dahin und
dorthin, von der Gefahr fort, auf gute Orte zu wie ein
Sehender einen Blinden an der Hand führt. Genau ſo iſt
es bei den lebenden Siphonophoren-Quallen wirklich ge¬
worden.
Nun nimm zwei Kultur-Menſchen im zwanzigſten Jahr¬
hundert. Auch ſie wollen in eine höhere Intereſſen-Gemein¬
ſchaft eintreten, ihre beiden Perſonen-Individualitäten zur
Stock-Individualität vereinigen. Der eine ſoll Nahrung be¬
ſchaffen, die den andern mit ernährt. Der andere ſoll gleich¬
ſam Auge und Ohr für beide ſein. Sagen wir etwa: der
eine iſt der Beſitzer einer großen Zeitung in Amerika. Und
der andere iſt Reporter dieſer Zeitung. Zu ſehen und zu
hören ſoll etwas für die Zeitung beſonders Wichtiges in Europa
ſein, während der Brodherr, der Zeitungsbeſitzer, abſolut not¬
wendig ſeinen Sitz in Amerika wahren muß. Nun überdenke
raſch, wie die Sache ſich für dieſe Menſchenperſonen vollzieht.
Von körperlichem Aneinanderwachſen nach der Methode
der Quallen, alſo Verwachſen der realen Zellen-Leiber mit¬
einander, kein Gedanke! Gewiſſe ſtoffliche Verbindungen werden
allerdings auch hier hergeſtellt, aber unendlich viel feinere und
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/148>, abgerufen am 24.11.2024.
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