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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Du landest auf einem Planeten dieses Jenseitsreichs.
Andere Wesen wohnen dort, in anders gewaltigen Dimensionen
als die irdischen. Wie ihre Raumbegriffe Welten statt Sterne
fassen, so ihr Zeitbegriff Jahrmillionen als Moment. Erst
solche Momente aus Millionen setzen ihre Zeitenfolge zu¬
sammen. Ein solcher Mensch tritt vor seine Thür. Er schaut
in seinen Sternenhimmel. Und wie es Tycho de Brahe einst
ging, an jenem wunderbaren Abend des 11. November 1572,
als er plötzlich die altvertraute Kassiopeja suchte und einen
neuen, nie geschauten schneeweißen Funkelstern darin gewahrte
von Jupitergröße, -- so sieht er ein fernes Sternlein gerade
aufglimmen an einer Stelle, die vorher dunkel war. Er
wundert sich und merkt sich die Stelle. In der nächsten Nacht
schaut er wieder hin. Und das Sternlein ist schon wieder
verglüht. In einem Tage. Er sieht schon nichts mehr.

Und der Mann des Überwelten-Sternes stützt die Stirn
auf die Hand und sinnt. Armes Loos dieses Sternleins. Die
ganze Vergangenheit hatte daran gebaut, daß es glühte. Und
nun glüht es ein paar Stunden und fällt wie eine Rakete ab.
Wie ist es uns hier ganz anders geworden. Seit Äonen
unserer Zeit kommen wir in steter Entwickelung empor, in
Äonen steigen wir weiter, da ist noch kein Absehen. Und
dieser arme Stern von zwölf Stunden!

Was hat er geleistet? Ein paar Stunden etwas Licht
ausgestrahlt. Gerade genug, um meine Netzhaut hier eben
zu berühren. Und dann sofort ins Nichts.

"Singt der Stern auch, Papa?"

.... Die zwölf Stunden jenes Menschen waren inner¬
halb des verschollenen Sterns hunderttausend Trillionen Jahre.
In diesen Jahren mußte für jeden Einzelstern die Epoche
seiner Glut, die jener Mensch allein sehen konnte, vorüber
sein, damit die herrliche Entwickelungsphase, die wir organisches
Leben nennen, überhaupt eintreten konnte. Was jener Mensch
in dem Augenblick sah, da ihn das Weltensternlein auf der

Du landeſt auf einem Planeten dieſes Jenſeitsreichs.
Andere Weſen wohnen dort, in anders gewaltigen Dimenſionen
als die irdiſchen. Wie ihre Raumbegriffe Welten ſtatt Sterne
faſſen, ſo ihr Zeitbegriff Jahrmillionen als Moment. Erſt
ſolche Momente aus Millionen ſetzen ihre Zeitenfolge zu¬
ſammen. Ein ſolcher Menſch tritt vor ſeine Thür. Er ſchaut
in ſeinen Sternenhimmel. Und wie es Tycho de Brahe einſt
ging, an jenem wunderbaren Abend des 11. November 1572,
als er plötzlich die altvertraute Kaſſiopeja ſuchte und einen
neuen, nie geſchauten ſchneeweißen Funkelſtern darin gewahrte
von Jupitergröße, — ſo ſieht er ein fernes Sternlein gerade
aufglimmen an einer Stelle, die vorher dunkel war. Er
wundert ſich und merkt ſich die Stelle. In der nächſten Nacht
ſchaut er wieder hin. Und das Sternlein iſt ſchon wieder
verglüht. In einem Tage. Er ſieht ſchon nichts mehr.

Und der Mann des Überwelten-Sternes ſtützt die Stirn
auf die Hand und ſinnt. Armes Loos dieſes Sternleins. Die
ganze Vergangenheit hatte daran gebaut, daß es glühte. Und
nun glüht es ein paar Stunden und fällt wie eine Rakete ab.
Wie iſt es uns hier ganz anders geworden. Seit Äonen
unſerer Zeit kommen wir in ſteter Entwickelung empor, in
Äonen ſteigen wir weiter, da iſt noch kein Abſehen. Und
dieſer arme Stern von zwölf Stunden!

Was hat er geleiſtet? Ein paar Stunden etwas Licht
ausgeſtrahlt. Gerade genug, um meine Netzhaut hier eben
zu berühren. Und dann ſofort ins Nichts.

„Singt der Stern auch, Papa?“

.... Die zwölf Stunden jenes Menſchen waren inner¬
halb des verſchollenen Sterns hunderttauſend Trillionen Jahre.
In dieſen Jahren mußte für jeden Einzelſtern die Epoche
ſeiner Glut, die jener Menſch allein ſehen konnte, vorüber
ſein, damit die herrliche Entwickelungsphaſe, die wir organiſches
Leben nennen, überhaupt eintreten konnte. Was jener Menſch
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[335/0351] Du landeſt auf einem Planeten dieſes Jenſeitsreichs. Andere Weſen wohnen dort, in anders gewaltigen Dimenſionen als die irdiſchen. Wie ihre Raumbegriffe Welten ſtatt Sterne faſſen, ſo ihr Zeitbegriff Jahrmillionen als Moment. Erſt ſolche Momente aus Millionen ſetzen ihre Zeitenfolge zu¬ ſammen. Ein ſolcher Menſch tritt vor ſeine Thür. Er ſchaut in ſeinen Sternenhimmel. Und wie es Tycho de Brahe einſt ging, an jenem wunderbaren Abend des 11. November 1572, als er plötzlich die altvertraute Kaſſiopeja ſuchte und einen neuen, nie geſchauten ſchneeweißen Funkelſtern darin gewahrte von Jupitergröße, — ſo ſieht er ein fernes Sternlein gerade aufglimmen an einer Stelle, die vorher dunkel war. Er wundert ſich und merkt ſich die Stelle. In der nächſten Nacht ſchaut er wieder hin. Und das Sternlein iſt ſchon wieder verglüht. In einem Tage. Er ſieht ſchon nichts mehr. Und der Mann des Überwelten-Sternes ſtützt die Stirn auf die Hand und ſinnt. Armes Loos dieſes Sternleins. Die ganze Vergangenheit hatte daran gebaut, daß es glühte. Und nun glüht es ein paar Stunden und fällt wie eine Rakete ab. Wie iſt es uns hier ganz anders geworden. Seit Äonen unſerer Zeit kommen wir in ſteter Entwickelung empor, in Äonen ſteigen wir weiter, da iſt noch kein Abſehen. Und dieſer arme Stern von zwölf Stunden! Was hat er geleiſtet? Ein paar Stunden etwas Licht ausgeſtrahlt. Gerade genug, um meine Netzhaut hier eben zu berühren. Und dann ſofort ins Nichts. „Singt der Stern auch, Papa?“ .... Die zwölf Stunden jenes Menſchen waren inner¬ halb des verſchollenen Sterns hunderttauſend Trillionen Jahre. In dieſen Jahren mußte für jeden Einzelſtern die Epoche ſeiner Glut, die jener Menſch allein ſehen konnte, vorüber ſein, damit die herrliche Entwickelungsphaſe, die wir organiſches Leben nennen, überhaupt eintreten konnte. Was jener Menſch in dem Augenblick ſah, da ihn das Weltenſternlein auf der

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/351>, abgerufen am 22.11.2024.