Geist" hier ein. Denn das, was ich darunter verstehe, ist meines Erachtens genügend gegeben vom Moment an, da der Mensch Werkzeuge herstellte. Das Werkzeug ist im Gegensatz zum Körperorgan ein Erzeugnis des reflektierenden Geistes. Es ist ein Naturprodukt zweiten, höheren Grades. Vom Moment an, da wir es in der Hand des Menschen annehmen, besteht meines Erachtens auch die volle Freiheit, ein Symbol des Liebeslebens, das wir uns beim Tier nur eben auch als angewachsenes Körperorgan denken könnten, bei diesem Menschen als ebensolches Werk des "reflektierenden Geistes" zu setzen.
Doch wie sollen wir uns ein solches ursprüngliches Symbol¬ zeichen vorstellen, das also noch viel einfacher wäre als unsere Kulturbadehose?
[Abbildung]
Wir haben vom Eskimo geredet. Er spiegelt heute noch prächtig jenen alten Gegensatz des Urmenschen: draußen in der Kälte dick bepelzt, daheim in der warmen Hütte nackt. Ich will dabei warnen, daß du den heutigen Eskimo nicht ohne weiteres identifizierst mit dem Urmenschen. Ich sehe in ihm nichts anderes, als das am weitesten nordwärts verschlagene Seitenzweiglein vom Hauptstamm, wie er sich nach der Eiszeit in der gemäßigten Zone als "Kultur" festsetzte. In Folge dieser Polarprojektion hat der Eskimo gewisse Eiszeitzüge allerdings schärfer bewahrt als etwa die tropischen Nacktwilden. Aber herausgefallen aus der Kulturlinie ist er ganz genau wie diese, und wir wissen nicht, wie weit er, dauernd in zu rigorose Klimaverhältnisse gebannt, in der Zwischenzeit noch abwärts gegangen sein mag.
Nun denn: der Eskimomann, wenn er in Gesellschaft anderer daheim die ganzen Kleider abwirft, zieht keine Bade¬
Geiſt“ hier ein. Denn das, was ich darunter verſtehe, iſt meines Erachtens genügend gegeben vom Moment an, da der Menſch Werkzeuge herſtellte. Das Werkzeug iſt im Gegenſatz zum Körperorgan ein Erzeugnis des reflektierenden Geiſtes. Es iſt ein Naturprodukt zweiten, höheren Grades. Vom Moment an, da wir es in der Hand des Menſchen annehmen, beſteht meines Erachtens auch die volle Freiheit, ein Symbol des Liebeslebens, das wir uns beim Tier nur eben auch als angewachſenes Körperorgan denken könnten, bei dieſem Menſchen als ebenſolches Werk des „reflektierenden Geiſtes“ zu ſetzen.
Doch wie ſollen wir uns ein ſolches urſprüngliches Symbol¬ zeichen vorſtellen, das alſo noch viel einfacher wäre als unſere Kulturbadehoſe?
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Wir haben vom Eskimo geredet. Er ſpiegelt heute noch prächtig jenen alten Gegenſatz des Urmenſchen: draußen in der Kälte dick bepelzt, daheim in der warmen Hütte nackt. Ich will dabei warnen, daß du den heutigen Eskimo nicht ohne weiteres identifizierſt mit dem Urmenſchen. Ich ſehe in ihm nichts anderes, als das am weiteſten nordwärts verſchlagene Seitenzweiglein vom Hauptſtamm, wie er ſich nach der Eiszeit in der gemäßigten Zone als „Kultur“ feſtſetzte. In Folge dieſer Polarprojektion hat der Eskimo gewiſſe Eiszeitzüge allerdings ſchärfer bewahrt als etwa die tropiſchen Nacktwilden. Aber herausgefallen aus der Kulturlinie iſt er ganz genau wie dieſe, und wir wiſſen nicht, wie weit er, dauernd in zu rigoroſe Klimaverhältniſſe gebannt, in der Zwiſchenzeit noch abwärts gegangen ſein mag.
Nun denn: der Eskimomann, wenn er in Geſellſchaft anderer daheim die ganzen Kleider abwirft, zieht keine Bade¬
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Geiſt“ hier ein. Denn das, was ich darunter verſtehe, iſt
meines Erachtens genügend gegeben vom Moment an, da der
Menſch Werkzeuge herſtellte. Das Werkzeug iſt im Gegenſatz
zum Körperorgan ein Erzeugnis des reflektierenden Geiſtes.
Es iſt ein Naturprodukt zweiten, höheren Grades. Vom
Moment an, da wir es in der Hand des Menſchen annehmen,
beſteht meines Erachtens auch die volle Freiheit, ein Symbol
des Liebeslebens, das wir uns beim Tier nur eben auch als
angewachſenes Körperorgan denken könnten, bei dieſem Menſchen
als ebenſolches Werk des „reflektierenden Geiſtes“ zu ſetzen.
Doch wie ſollen wir uns ein ſolches urſprüngliches Symbol¬
zeichen vorſtellen, das alſo noch viel einfacher wäre als unſere
Kulturbadehoſe?
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Wir haben vom Eskimo geredet. Er ſpiegelt heute noch
prächtig jenen alten Gegenſatz des Urmenſchen: draußen in der
Kälte dick bepelzt, daheim in der warmen Hütte nackt. Ich
will dabei warnen, daß du den heutigen Eskimo nicht ohne
weiteres identifizierſt mit dem Urmenſchen. Ich ſehe in ihm
nichts anderes, als das am weiteſten nordwärts verſchlagene
Seitenzweiglein vom Hauptſtamm, wie er ſich nach der Eiszeit
in der gemäßigten Zone als „Kultur“ feſtſetzte. In Folge
dieſer Polarprojektion hat der Eskimo gewiſſe Eiszeitzüge
allerdings ſchärfer bewahrt als etwa die tropiſchen Nacktwilden.
Aber herausgefallen aus der Kulturlinie iſt er ganz genau wie
dieſe, und wir wiſſen nicht, wie weit er, dauernd in zu rigoroſe
Klimaverhältniſſe gebannt, in der Zwiſchenzeit noch abwärts
gegangen ſein mag.
Nun denn: der Eskimomann, wenn er in Geſellſchaft
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/122>, abgerufen am 21.11.2024.
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